Elektrifizierung der Autobranche „Die Fachinformatiker werden uns aus den Händen gerissen“

Quelle: dpa, PR

Das Ford-Werk in Köln-Niehl soll bis 2023 bereit dafür sein, das erste vollelektrische Volumen-Modell in Europa zu bauen. Was bedeutet die Antriebswende für die rund 15.000 Mitarbeiter? Teil 8 von „Nächster Halt: Aufbruch“, unserer Serie zur Bundestagswahl.

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Dieser Artikel ist Teil unserer Serie zur Bundestagswahl 2021. Wir folgen der längsten IC-Strecke Deutschlands – vom Südwesten bis in den Nordosten. Nächster Halt: Aufbruch – Fahrt durch eine unterschätzte Republik

Manchmal beginnt eine Transformation mit einem Abriss. In Niehl, einem Stadtteil im Norden Kölns direkt am Rhein, reißen Baggerfahrer zurzeit zwei große Hallen nieder. Darin befanden sich bis vor kurzem Werkstätten des Autobauers Ford, der in Köln seine Deutschland- und Europazentrale beherbergt. Ford beschäftigt hier etwa 15.000 Angestellte. Im vergangenen Jahr rollten hier 147.000 „Fiesta“ vom Band; im Vor-Corona-Jahr 2019 waren es sogar 244.000 Autos. Die Ford-Werke sind der mit Abstand größte Arbeitgeber in Köln. Insofern hat die Transformation, die hier zu beobachten ist, Auswirkungen über das Werksgelände hinaus.

Dem Baggereinsatz ging eine gewichtige Bekanntmachung voraus: Im Februar verkündete die Konzernmutter, die Ford Motor Company in Dearborn (Michigan), am Standort Köln eine Milliarde US-Dollar zu investieren für den Aufbau eines sogenannten Electrification Centers. Darin soll ab 2023 das erste vollelektrische Ford-Volumenmodell Europas gebaut werden.

Im Rahmen dieser Verkündung teilte Ford-Europachef Stuart Rowley zudem mit, ab 2030 nur noch batteriebetriebene Pkw zu bauen. Die Milliardenspritze aus den USA ist die größte Investition in der Geschichte der Ford-Werke – seit der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer vor 90 Jahren den US-Autohersteller von seiner Stadt überzeugte.

Der Rekordwert wirkt angemessen angesichts der gewaltigen Herausforderung. Denn die Elektrifizierung, der Austausch der Antriebsart, ist die wohl größte und kostspieligste Umwälzung der Automobilbranche seit Jahrzehnten – und die Autobranche stellt noch immer die wirtschaftlich stärkste Industrie Deutschlands. Damit das auch im Elektrozeitalter so bleibt, müssen Hersteller und Zulieferer versuchen, Schritt zu halten: sowohl auf technologischer, als auch auf Mitarbeiter-Ebene. Es gehe darum, „die Belegschaft im Fahrzeugwerk mitzunehmen“, so formuliert es Panagiotis Kalandranis.

Deutsche Autobauer stehen in Europa digital gut da

Für den 42-Jährigen bedeutete der Strategieschwenk von Ford ganz konkret den Umzug von Saarlouis nach Köln. Kalandranis ist seit 16 Jahren im Unternehmen, zuletzt arbeitete er als Personalleiter am kleineren Ford-Standort Saarlouis, wo rund 5000 Menschen beschäftigt sind und den „Focus“ bauen. Nun nennt er sich Transformation- & Innovation-Manager. Die Position wurde in Köln neu geschaffen. Er arbeitet mit Rene Wolf (58) zusammen, dem Fertigungsdirektor der Ford-Werke in Köln. Wolf kennt das Unternehmen sehr genau, vor 30 Jahren fing er dort an. Vor allem auf diese beiden Manager wird es bei Ford in den kommenden zwei Jahren ankommen. „Wir sind uns der Größe der Aufgabe bewusst“, sagt Wolf.

Dass digitale Kompetenzen bei den Beschäftigten der deutschen Automobilindustrie in den vergangenen Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen haben, dürfte kein Geheimnis mehr sein. Kürzlich erst haben das Münchner Ifo-Institut und das berufliche Netzwerk LinkedIn dies in einer gemeinsamen Studie nachgewiesen.

Überraschend war dabei der internationale Vergleich: Laut der Studie beschäftigt die deutsche Autobranche mehr Expertinnen und Experten für Tätigkeiten im Bereich Digitalisierung – wie Ingenieurwesen, IT und Bildung – als die Autoindustriefirmen anderer Länder. Zwischen 2015 und 2020 hat sich der Anteil digitaler Kompetenzen bei den Beschäftigten in der deutschen Autoindustrie verdoppelt, von 6,5 Prozent auf nun 13,3 Prozent.

Zu einem gewissen Teil werden Autobauer bei dieser Transformation auch getrieben – von der Politik. Europaweit schon seit 2009 durch die CO2-Grenzwerte der EU. Doch wie stark deutsche Autobauer darüber hinaus künftig auf ihrem Heimatmarkt reguliert werden, hängt davon ab, welche Parteien nach der Bundestagswahl das Land regieren. Denn hier gibt es durchaus Unterschiede.

Die CDU schreibt etwa im Wahlprogramm ausdrücklich, dass in Deutschland weiterhin Autos mit „allen Antriebsformen“ produziert werden sollen. Die Forderung der SPD: „2030 sollen mindestens 15 Millionen Pkw in Deutschland voll elektrisch fahren.“ Ein Verbot für Verbrenner lehnen beide Volksparteien wie auch die FDP ab – im Gegensatz zu den Grünen. Sie fordern im Wahlprogramm: Die Autos sollen künftig „leider, kleiner und leichter“ werden, und ab 2030 sollen „nur noch emissionsfreie Autos neu zugelassen werden“. Auch die Linke schreibt, der „Ausstieg aus dem fossilen Verbrennungsmotor bis spätestens 2030 ist (…) klimapolitisch alternativlos“.

Nächster Halt: Aufbruch

Fahrt durch eine unterschätzte Republik

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Ford-Fertigungsdirektor Rene Wolf müsste zumindest in dieser Hinsicht mit allen Parteien leben können, er will sich parteipolitisch allerdings nicht äußern. Er verweist nur noch einmal auf Fords „Elektrifizierungsstrategie“, die gelte, „unabhängig davon, in welchem Land die Wahlen wie ausgehen“. Womöglich sieht Ford – wie viele andere Autohersteller auch – sich darin bestätigt, mit den eigenen Plänen und Konzepten ambitionierter, konkreter und damit weiter zu sein als viele Politiker mit ihren Programmen. 

Anmerken lässt er sich das aber nicht. Gefragt nach Forderungen an die Politik sagt Wolf bloß: Die Infrastruktur müsse sich „im selben Tempo entwickeln“ wie es die Autohersteller tun, „der Kunde muss das Fahrzeug ja auch laden können.“ Und damit klingt er fast wie Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der vergangene Woche auf der Automesse IAA im Prinzip das Gleiche forderte.

Erst einmal: Arbeitsgruppen gründen

Heil sprach auch davon, dass die bevorstehende Transformation der Autobranche „kein Spaziergang“ werde. Man brauche eine „aktive Innovationspolitik“, damit der Wandel gelinge, in Konkurrenz zu anderen Standorten auf der Welt. Und hier kommt wieder der Kölner Transformation- & Innovation-Manager Kalandranis ins Spiel.

Zum Start seiner neuen Tätigkeit machte er etwas, worüber Start-up-Gründer wohl lächeln würden, was aber in einem Großkonzern offenbar schwer zu umgehen ist: Er bildete Arbeitsgruppen. Die wurden auf drei Themen aufgeteilt: das Produkt (neue Technologie rund um Elektroantrieb), Industrie 4.0 (Arbeitsorganisation im Wandel, neue Zusammenarbeit in der digitalisierten Welt) sowie Qualifizierung und Training der Belegschaft.

„Um zu erfahren, was Menschen denken und fühlen, muss man die Antennen ausrichten“, sagt Kalandranis: „Beschäftigte mitnehmen – das sind nicht nur Worthülsen.“ Er organisierte Workshops, an denen jeweils rund 50 Personen teilnahmen und über die neue Arbeitswelt diskutierten. Es waren gemischte Teams, vom Azubi über den Arbeitsdirektor bis zu Gunnar Herrmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Ford-Werke. Gemeinsam habe man Visionsleitsätze formuliert. „Uns ist wichtig, die Menschen am Prozess zu beteiligen“, sagt Kalandranis.

Damit in solchen Konstellationen ein Dialog zustande komme, ergänzt Rene Wolf, brauche es Vertrauen. „Eine gewisse Scheu dürfte bei manchem Azubi doch vorhanden gewesen sein. Das dauerte ein bisschen.“ Aber es sei dann doch „ein aktiver Dialog von allen Seiten“ gewesen, sagt Wolf. „Mit der Folge, dass wir jetzt eine Vision formuliert haben, von der wir sagen können, dass sie von allen getragen wird und nicht im Hinterzimmer entstanden ist.“ Das so formulierte Leitbild wird jetzt in den kommenden Tagen und Wochen nach und nach ausgerollt, über die App für die Ford-Belegschaft, aber auch klassisch über Plakate.

Mehr Fachinformatiker, weniger Zerspanungsmechaniker

Änderungen passieren schon. In der Produktentwicklung etwa stellt Ford heute mehr Softwareingenieure ein als in der Vergangenheit. Im Manufacturing-Bereich sind in den vergangenen Jahren schon viel mehr Elektromechaniker, Elektroniker, Fachinformatiker ausgebildet worden, dafür andere Berufe weniger wie zum Beispiel Zerspanungsmechaniker und Werkzeugmechaniker. 2017 führte der Autobauer den dualen Studiengang „do2Informatik“ ein, eine Ausbildung zum Fachinformatiker kombiniert mit einem Bachelor-Studium Wirtschaftsinformatik. Und seit 2016 gibt es bei Ford einen neuen Beruf zu erlernen: Fachinformatiker für Systemintegration. 2019 haben die ersten Auszubildenden ihre Ausbildung abgeschlossen – „und die werden dem Ausbildungszentrum aus den Händen gerissen“, schwärmt Wolf. „Bevor sie fertig werden, streiten sich Fachbereiche, wo sie hingehen.“

Worüber die Ford-Verantwortlichen weniger gerne sprechen: Im Rahmen des größten europäischen Restrukturierungsprogramms der Firmengeschichte verkleinerte der Autobauer in Köln die Zahl seiner Belegschaft seit 2019 von etwa 18.000 auf heute knapp 15.000 Menschen. Man kann das Sparprogramm als Vorspiel für besagte Transformation lesen. Europaweit baute Ford in der Zeit rund 12.000 Stellen ab. Allein in Deutschland sparte der Autobauer seitdem rund 500 Millionen Euro ein.

Das Programm ist noch nicht abgeschlossen, wann es ausläuft, ist offen. Dass die Mutterfirma in den USA nach einem internen Abwägungsprozess schließlich das Kölner Ford-Werk als Standort für das europäische E-Werk auswählte, habe die Belegschaft verständlicherweise mit „Riesenstolz und auch Erleichterung“ zur Kenntnis genommen, erzählt Wolf.

Nur ein Elektroautomodell wird nicht reichen

Details zu Aussehen und Leistung des neuen Elektroautos gibt es noch nicht, auch der Name ist noch unter Verschluss. Was bekannt ist: Der Elektro-Ford wird eine Kooperation mit VW. Die Wolfsburger liefern die Fahrzeugplattform, also Unterboden und Antriebstrang sowie die Batterien. Fords Pkw-Entwicklungszentrum in Köln-Merkenich, einem Nachbarstadtteil von Köln-Niehl, entwickelt das Fahrzeug, das auf diese Plattform gesetzt wird. Kritik, dass Ford das Elektro-Projekt nun nicht alleine stemmt, tut Wolf ab: „Dass Autohersteller kooperieren, ist nichts Neues.“ Dass das Projekt aber nur der Anfang sein kann, will er nicht absprechen: „Wenn man sich vor Augen führt, welchen Marktanteil und welche Volumina wir heute im Pkw-Bereich in Europa haben, dann wird auch klar, dass wir das nicht mit nur zwei oder drei E-Modellen abdecken können. Da werden wir sicherlich noch nachlegen müssen.“

Wert legt man bei Ford übrigens auf die Formulierung, dass der neue Elektro-Ford das erste vollelektrische Volumen-Modell Europas werde. Denn der erste europäische Ford wurde bereits 2013 in Saarlouis gebaut: Es war der Ford Focus Electric – tatsächlich der erste in Deutschland produzierte Elektrowagen. Allerdings war es bloß die Elektrifizierung eines bestehenden Benziners. „Dabei mussten wir zu viele Kompromisse eingehen“, sagt Rene Wolf, der zu jener Zeit am betreffenden Ford-Standort in Saarlouis arbeitete. „Der größte Kompromiss betraf die Batterie. Das Auto war nicht wirklich darauf zugeschnitten, und der Markt war zu der Zeit noch nicht bereit.“

Das Auto, mit einer Reichweite von anfangs 162 Kilometern, wurde laut Medienberichten pro Jahr nur in zweistelliger Stückzahl verkauft. 2017 stellte Ford dessen Produktion in Saarlouis wieder ein. Doch einen prominenten Fahrer hatte der elektrische Focus: Peter Altmaier, damals Bundesumweltminister, nutzte das Auto zeitweise als Dienstwagen. Altmaiers Wahlkreis liegt übrigens in: Saarlouis.

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