Elektrifizierung der Autobranche „Die Fachinformatiker werden uns aus den Händen gerissen“

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Erst einmal: Arbeitsgruppen gründen

Heil sprach auch davon, dass die bevorstehende Transformation der Autobranche „kein Spaziergang“ werde. Man brauche eine „aktive Innovationspolitik“, damit der Wandel gelinge, in Konkurrenz zu anderen Standorten auf der Welt. Und hier kommt wieder der Kölner Transformation- & Innovation-Manager Kalandranis ins Spiel.

Zum Start seiner neuen Tätigkeit machte er etwas, worüber Start-up-Gründer wohl lächeln würden, was aber in einem Großkonzern offenbar schwer zu umgehen ist: Er bildete Arbeitsgruppen. Die wurden auf drei Themen aufgeteilt: das Produkt (neue Technologie rund um Elektroantrieb), Industrie 4.0 (Arbeitsorganisation im Wandel, neue Zusammenarbeit in der digitalisierten Welt) sowie Qualifizierung und Training der Belegschaft.

„Um zu erfahren, was Menschen denken und fühlen, muss man die Antennen ausrichten“, sagt Kalandranis: „Beschäftigte mitnehmen – das sind nicht nur Worthülsen.“ Er organisierte Workshops, an denen jeweils rund 50 Personen teilnahmen und über die neue Arbeitswelt diskutierten. Es waren gemischte Teams, vom Azubi über den Arbeitsdirektor bis zu Gunnar Herrmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Ford-Werke. Gemeinsam habe man Visionsleitsätze formuliert. „Uns ist wichtig, die Menschen am Prozess zu beteiligen“, sagt Kalandranis.

Damit in solchen Konstellationen ein Dialog zustande komme, ergänzt Rene Wolf, brauche es Vertrauen. „Eine gewisse Scheu dürfte bei manchem Azubi doch vorhanden gewesen sein. Das dauerte ein bisschen.“ Aber es sei dann doch „ein aktiver Dialog von allen Seiten“ gewesen, sagt Wolf. „Mit der Folge, dass wir jetzt eine Vision formuliert haben, von der wir sagen können, dass sie von allen getragen wird und nicht im Hinterzimmer entstanden ist.“ Das so formulierte Leitbild wird jetzt in den kommenden Tagen und Wochen nach und nach ausgerollt, über die App für die Ford-Belegschaft, aber auch klassisch über Plakate.

Mehr Fachinformatiker, weniger Zerspanungsmechaniker

Änderungen passieren schon. In der Produktentwicklung etwa stellt Ford heute mehr Softwareingenieure ein als in der Vergangenheit. Im Manufacturing-Bereich sind in den vergangenen Jahren schon viel mehr Elektromechaniker, Elektroniker, Fachinformatiker ausgebildet worden, dafür andere Berufe weniger wie zum Beispiel Zerspanungsmechaniker und Werkzeugmechaniker. 2017 führte der Autobauer den dualen Studiengang „do2Informatik“ ein, eine Ausbildung zum Fachinformatiker kombiniert mit einem Bachelor-Studium Wirtschaftsinformatik. Und seit 2016 gibt es bei Ford einen neuen Beruf zu erlernen: Fachinformatiker für Systemintegration. 2019 haben die ersten Auszubildenden ihre Ausbildung abgeschlossen – „und die werden dem Ausbildungszentrum aus den Händen gerissen“, schwärmt Wolf. „Bevor sie fertig werden, streiten sich Fachbereiche, wo sie hingehen.“

Worüber die Ford-Verantwortlichen weniger gerne sprechen: Im Rahmen des größten europäischen Restrukturierungsprogramms der Firmengeschichte verkleinerte der Autobauer in Köln die Zahl seiner Belegschaft seit 2019 von etwa 18.000 auf heute knapp 15.000 Menschen. Man kann das Sparprogramm als Vorspiel für besagte Transformation lesen. Europaweit baute Ford in der Zeit rund 12.000 Stellen ab. Allein in Deutschland sparte der Autobauer seitdem rund 500 Millionen Euro ein.

Das Programm ist noch nicht abgeschlossen, wann es ausläuft, ist offen. Dass die Mutterfirma in den USA nach einem internen Abwägungsprozess schließlich das Kölner Ford-Werk als Standort für das europäische E-Werk auswählte, habe die Belegschaft verständlicherweise mit „Riesenstolz und auch Erleichterung“ zur Kenntnis genommen, erzählt Wolf.

Nur ein Elektroautomodell wird nicht reichen

Details zu Aussehen und Leistung des neuen Elektroautos gibt es noch nicht, auch der Name ist noch unter Verschluss. Was bekannt ist: Der Elektro-Ford wird eine Kooperation mit VW. Die Wolfsburger liefern die Fahrzeugplattform, also Unterboden und Antriebstrang sowie die Batterien. Fords Pkw-Entwicklungszentrum in Köln-Merkenich, einem Nachbarstadtteil von Köln-Niehl, entwickelt das Fahrzeug, das auf diese Plattform gesetzt wird. Kritik, dass Ford das Elektro-Projekt nun nicht alleine stemmt, tut Wolf ab: „Dass Autohersteller kooperieren, ist nichts Neues.“ Dass das Projekt aber nur der Anfang sein kann, will er nicht absprechen: „Wenn man sich vor Augen führt, welchen Marktanteil und welche Volumina wir heute im Pkw-Bereich in Europa haben, dann wird auch klar, dass wir das nicht mit nur zwei oder drei E-Modellen abdecken können. Da werden wir sicherlich noch nachlegen müssen.“

Wert legt man bei Ford übrigens auf die Formulierung, dass der neue Elektro-Ford das erste vollelektrische Volumen-Modell Europas werde. Denn der erste europäische Ford wurde bereits 2013 in Saarlouis gebaut: Es war der Ford Focus Electric – tatsächlich der erste in Deutschland produzierte Elektrowagen. Allerdings war es bloß die Elektrifizierung eines bestehenden Benziners. „Dabei mussten wir zu viele Kompromisse eingehen“, sagt Rene Wolf, der zu jener Zeit am betreffenden Ford-Standort in Saarlouis arbeitete. „Der größte Kompromiss betraf die Batterie. Das Auto war nicht wirklich darauf zugeschnitten, und der Markt war zu der Zeit noch nicht bereit.“

Das Auto, mit einer Reichweite von anfangs 162 Kilometern, wurde laut Medienberichten pro Jahr nur in zweistelliger Stückzahl verkauft. 2017 stellte Ford dessen Produktion in Saarlouis wieder ein. Doch einen prominenten Fahrer hatte der elektrische Focus: Peter Altmaier, damals Bundesumweltminister, nutzte das Auto zeitweise als Dienstwagen. Altmaiers Wahlkreis liegt übrigens in: Saarlouis.

Mehr zum Thema: Dieser Artikel ist Teil unserer Serie zur Bundestagswahl 2021. Wir folgen der längsten IC-Strecke Deutschlands – vom Südwesten bis in den Nordosten. Nächster Halt: Aufbruch – Fahrt durch eine unterschätzte Republik

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