Elitenforscher „Es gibt kaum etwas Stabileres als Großvermögen“

Wer es sich leisten kann, schottet sich von der Außenwelt ab. Quelle: Getty Images

Der Soziologe Michael Hartmann erforscht seit Jahrzehnten die Eliten. In seinem neuen Buch moniert er: Sie werden homogener, vermögender und entfernen sich immer weiter von der Bevölkerung. Das stärkt die AfD.

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Herr Hartmann, ich bin 25 Jahre alt und habe an einer Universität im Ruhrpott studiert. Wie schätzen Sie meine Chancen ein, einer der Entscheider von morgen zu werden?
Die dürften nicht besonders groß sein. Die relevanten Positionen im privaten Medienbereich sind für Aufsteiger heute fast so unerreichbar wie in der Wirtschaft. Wenn ihre Eltern nicht bereits zu den oberen fünf Prozent der Bevölkerung zählen, stehen Ihre Chancen nicht gut. Drei Viertel derer, die Spitzenpositionen im Medienbereich besetzen, stammen aus entsprechenden Verhältnissen. Hinzukommt, dass im Medienbereich nur sehr wenige Positionen wirkliche Elitepositionen sind.

Zur Person

Welche Rolle spielen Leistung und Ausbildung? Hätte mir der Besuch einer Privatschule oder einer altehrwürdigen Universität bessere Chancen beschert?
Privatschulen spielen für den Zugang zu Spitzenpositionen in Deutschland kaum eine Rolle. Bei den Universitäten zeigt sich zwar eine zunehmende Ausdifferenzierung – die Ludwig-Maximilian-Universität München oder die Universität Heidelberg werden wichtiger. Aber bis das auf die Rekrutierung von Firmen für Spitzenpositionen durchschlägt, dauert es mit Sicherheit noch zwei oder drei Jahrzehnte. Insofern wäre eine Ruhrpott-Universität unproblematisch, sofern Sie aus dem richtigen Elternhaus kämen. Die Herkunft ist der zentrale Faktor, wenn es um die Spitzenpositionen geht.

Wer sind denn überhaupt die Eliten?
Der zentrale Maßstab ist in der Wissenschaft unstrittig: Eliten verfügen über Macht, sie können die gesellschaftlichen Entwicklungen maßgeblich beeinflussen. Es handelt sich um eine extrem kleine Zahl von Personen. In der Wirtschaft gehen Elitepositionen meist einher mit großen Vermögen – entweder gehören den betreffenden Personen Unternehmen oder sie verdienen als Spitzenmanager mittlerweile so viel, dass sie relativ schnell ein Vermögen aufbauen können. Bundesrichter oder Staatssekretäre, also die Mitglieder der Justiz- und Verwaltungselite, verdienen in der Regel monatlich fünfstellig. Damit gehören sie zwar zum oberen Prozent der Einkommensbezieher, sind aber nicht direkt reich – dafür einflussreich. Betrachten wir die Kernelite, handelt es sich um circa 1000 Personen.

Nur wenige schaffen es an internationale Kaderschmieden wie Harvard, Oxford oder ENA. Drei jungen Deutschen ist es gelungen. Hier berichten sie, was sie dabei erlebt haben und wie ihre Jobaussichten sind.
von Milena Merten

In Ihrem aktuellen Buch kritisieren Sie, dass sich die Eliten zu weit von der Bevölkerung entfernt haben. Bevor wir auf Ihre Kritik zu sprechen kommen, welche Funktion übernehmen Eliten für eine Gesellschaft?
Sie arbeiten viel, sind gut ausgebildet und treffen in den wesentlichen Sektoren unserer Gesellschaft die maßgeblichen Entscheidungen. Historisch betrachtet gab es Zeiträume, in denen die Eliten überwiegend vernünftige Entscheidungen trafen und es gab Zeiträume, in denen die Entscheidungen katastrophal waren, denken wir nur an die Weltkriege. In den vergangenen drei Jahrzehnten waren die Entscheidungen aus meiner Sicht eher schlecht, insbesondere in puncto Steuer- und Sozialpolitik. Das hat zum Erstarken der AfD und der Politikverdrossenheit im Allgemeinen beigetragen.

Sie machen dafür die Zusammensetzung der Eliten verantwortlich. Wie hat sich diese in den vergangenen Jahren denn geändert? 
Die Eliten haben sich einander stark angenähert – wir können von einer Verbürgerlichung der Eliten sprechen. Die politische Elite war, was ihre Zusammensetzung anbetrifft, lange ein Gegenpol zur Wirtschaftselite, die schon immer relativ geschlossen war. Menschen aus einfacheren Schichten hatten früher die Möglichkeit, in die Politikelite aufzusteigen. Das ist heute viel schwerer. Wir stellen heute fest, dass das obere Fünftel der Gesellschaft verstärkt in Parteien engagiert ist, während sich die einfachen Menschen immer weiter aus den Parteien zurückziehen.

„Neun von zehn Bundestagsabgeordneten haben studiert“

Woran machen Sie das fest?
Am deutlichsten zeigt sich dieser Wandel in der SPD, die sich von einer Arbeiterpartei zu einer Partei der öffentlich Bediensteten entwickelt hat. Fast die Hälfte der Mitglieder ist im öffentlichen Dienst tätig. Außerdem hat sich der Anteil der Akademiker deutlich auf inzwischen fast 40 Prozent erhöht. Das verändert die Diskussionskultur innerhalb der Partei und wirkt ausschließend auf die frühere Klientel, die Arbeiter. Auch in anderen Parteien haben die Arbeiter an Bedeutung verloren, entsprechend haben heute neun von zehn Bundestagsabgeordneten studiert. Das hat gravierende Folgen: In den Parteien sind die einfachen Menschen nicht mehr vertreten, sie nehmen also auch keinen Einfluss auf das Parteiprogramm. Da keine Partei sie mehr angemessen repräsentiert, gehen viele nicht mehr wählen. Das macht sie wiederum uninteressant für die Parteien. Ein Teufelskreis.

„Die Abgehoben – Wie die Eliten die Demokratie gefährden“ ist am 16. August im Campus-Verlag erschienen und kostet 19,95 Euro. Quelle: Presse

Sie schreiben, dass sich seit 2010 die Zahl der Milliardäre in Deutschland verdoppelt hat – ebenso die Zahl der Obdachlosen. Sehen Sie da wirklich einen Zusammenhang?
Da besteht natürlich kein direkter Zusammenhang, aber diese Entwicklung illustriert, dass große Vermögen in den vergangenen Jahren steuerlich extrem begünstigt worden sind. Die dadurch entfallenden Steuereinnahmen haben wiederum dazu geführt, dass die öffentlichen Haushalte an vielen Ecken und Enden sparen mussten, daraus resultiert auch Obdachlosigkeit. Denn die Kommunen und Länder haben sich massiv aus dem öffentlichen Wohnungsbereich zurückgezogen und flächendeckend Wohnungsbestände verkauft. Deswegen befindet sich Vonovia jetzt im Dax – vor 20 Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ein Wohnungsunternehmen mal im Dax landet.

Sie schreiben, zwei Drittel der 100 reichsten Deutschen haben ihre Vermögen geerbt. Zudem stellen Sie fest, dass die meisten Familien über Generationen reich bleiben. Ein Blick in Rudolf Martins Millionärsbuch von 1913 zeigt, dass jede zwölfte der 500 reichsten Familien von heute schon damals dort zu finden waren.
In der Regel werden aus Großvermögen höchstens mittlere Vermögen, wie etwa bei der Fugger-Dynastie geschehen. Dass Vermögen vollständig verschwinden, kommt höchstens vor, wenn Geschlechter enteignet werden. Es gibt kaum etwas Stabileres als Großvermögen. Frappierend ist, wie sehr die Konzentration der Vermögen an der Spitze zugenommen hat. Ich bin auf eine Studie des Bundesfinanzministeriums aus den Siebzigern gestoßen. Gegenüber damals hat sich die Konzentration der Vermögen an der Spitze fast verdoppelt. Heute besitzt das oberste Prozent der Bevölkerung ein Drittel des Vermögens. Damals waren es noch 1,7 Prozent der Bevölkerung.

Eine globale Finanzelite hat sich ihre eigene Parallelgesellschaft erschaffen. Die Bewohner dieser entgrenzten Welt sind höchstbezahlt, kosmopolitisch, gesellschaftlich entkoppelt und über die Maße privilegiert.

Was sollte Ihrer Meinung nach dagegen getan werden?
Wir brauchen eine Erbschaftssteuer von 15 bis 20 Prozent auf größere Erbschaften. Und die Vermögenssteuer müsste wiedereingeführt werden. Ein dritter Punkt wäre eine Anhebung des Spitzensteuersatzes.

Allerdings tragen die oberen zehn Prozent der Einkommensbezieher heute schon gut die Hälfte der Einkommenssteuer.
Das stimmt, aber sie vereinen auf sich auch 40 Prozent der Markteinkommen, die überhaupt zu versteuern sind. Außerdem wird bei diesem Argument nur auf die direkten Steuern geschielt. Die machen aber nur die Hälfte des deutschen Steueraufkommens auf. Die andere Hälfte besteht aus indirekten Steuern – und hier ist die Verteilung genau umgekehrt. Die indirekte Besteuerung belastet niedrigere Einkommen stärker als die großen. Laut DIW ist die Gesamtsteuerbelastung zwischen 1998 und 2015 am oberen Ende deutlich gesunken und am unteren deutlich gestiegen.

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