Elitenforscher Michael Hartmann „Die globalisierte Wirtschaftselite ist eine Legende“

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„Nur drei der 300 reichsten Amerikaner leben im Ausland“

Gilt ihre Legenden-These auch für die Superreichen?  

Auch von den 1000 reichsten Menschen der Welt leben weniger als 100 außerhalb ihres Landes. Die Frage, ob die Reichen abwandern, wenn sie zu hoch besteuert werden, hängt nicht nur mit dem Steuersystem zusammen, sondern auch damit, wohin die Reichen gehen können, und wie eng ihre Bindungen an staatliche Strukturen sind. Die russischen Milliardäre leben fast alle wieder in Russland, weil ihr Reichtum vom direkten Draht zur Moskauer Regierung abhängig ist. Für China und für die meisten Schwellenländer gilt das genauso. Auch amerikanische Milliardäre leben fast alle in den USA. Nur drei der 300 reichsten Amerikaner leben im Ausland. Der Grund ist ganz einfach: Amerikaner werden auch im Ausland nach amerikanischem Recht besteuert.

Im Ausland leben vor allem Milliardäre aus bestimmten europäischen Ländern – Deutschland, Frankreich, Italien. Aber die gehen nicht irgendwohin. Die konzentrieren sich in der Schweiz. Und zwar immer da, wo dieselbe Kultur und Sprache dominiert. Von den 19 deutschen Milliardären außerhalb Deutschlands leben 14 in der Schweiz, davon 12 am Zürichsee, und zwei in Österreich. Die Franzosen wohnen am Genfer See und die Italiener im Tessin. Auch die Milliardäre, die ihr Land verlassen, sind in der Regel also keine echten Kosmopoliten. Sie gehen, wenn sie in einem Nachbarland mit gleicher Kultur und Sprache viel weniger Steuern zahlen müssen. Reiche Franzosen können problemlos an den Genfer See gehen und die niedrigen Schweizer Steuern zahlen. Sie würden sicher gerne auch nach Monaco gehen. Dort aber sind sie anders als in der Schweiz gemäß eines alten Abkommens weiter in Frankreich steuerpflichtig.

Wenn die globale Wirtschaftselite eine Legende ist, fragt man sich: Wie kommt es dazu? Haben die Topmanager und Superreichen sie selbst geschaffen?

Zunächst ist diese Globalisierungserzählung für deren Interessen natürlich sehr günstig. Der damalige Daimler-Chef Jürgen Schrempp verdiente bei der Fusion mit Chrysler 1998 nur gut ein Sechstel von dem, was sein Vize Robert Eaton verdiente, der von Chrysler kam. Da sagte man: Das geht nicht, wir brauchen also auch Regeln wie in den USA mit hohem Bonusanteil. Natürlich erhob da im Vorstand niemand Einwände, weil das auch für die anderen bedeutete, dass schlagartig die Bezüge stiegen. In anderen deutschen Konzernen griff man das Argument gerne auf, weil es den eigenen Interessen entgegen kam. Was weniger im öffentlichen Fokus steht: Die Aufsichtsratsbezüge sind noch stärker als die der Vorstände gestiegen. Da hat eine Hand die andere gewaschen.

Völlig aus der Luft gegriffen kann aber eine Legende doch nicht sein, wenn sie offensichtlich glaubwürdig ist.

Topmanager reisen häufiger als früher international. Das hat extrem zugenommen und zum Beispiel die Hobbys der Spitzenmanager verändert. Vor 30 Jahren spielten sie noch oft perfekt Musikinstrumente oder malten. Dafür braucht man Zeit und einen festen Ort. Heute laufen viele Marathon. Denn laufen kann man immer und überall. Wenn heutige Manager ihre internationalen Kunden treffen oder auf Roadshows sind, dann bekommen sie natürlich selbst den Eindruck: Du bist global unterwegs. Tatsächlich aber sind sie immer nur kurzzeitig in den immer gleichen Hotelketten, und die Heimatbasis, der nationale Bezugspunkt, bleibt erhalten.

Woran machen Sie das fest?

Nehmen wir den aktuellen Dieselskandal. Das Kartell, das sich da zusammenfand, war ein rein deutsches. Weder Ford noch Opel waren dabei, geschweige denn die asiatischen Hersteller. Die deutschen Automobilmanager ticken eben nach einer ähnlichen Logik. Vertrauen stellt sich nicht zuletzt auf einer kulturellen Basis her. Man weiß eben, wie es unter Seinesgleichen läuft. Da will man die US-Amerikaner oder Franzosen nicht drin haben.  

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