Eliteunis im Ausland „Alle haben einen gewissen Anspruch, die Latte höher zu legen“

Die Universität Cambridge ist für hochqualifizierte Deutsche attraktiv. Quelle: imago images

Unter den Hochqualifizierten, die Deutschland verlassen, finden sich viele junge Forscher. An englischen Spitzenuniversitäten schätzen sie das Niveau, die Internationalität – und wie sehr sich die Hochschulen um ihre Studierenden bemühen.

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Julius Bock erinnert sich gut an sein erstes Semester – und daran, wie voll es in vielen Hörsälen war. 2012 begann Bock, an der TU München Maschinenbau zu studieren. Es war die Zeit der Umstellung vom neun- auf das achtjährige Gymnasium, 2011 hatte Bayern doppelte Abiturjahrgänge entlassen. Im Jahr darauf folgte Baden-Württemberg. Und so drängten sich bei vielen von Bocks Vorlesungen 500 Studierende in einen Hörsaal. Für weitere 500 wurden die Veranstaltungen per Videoschalte in einen zweiten Raum übertragen. „Was die Lehre angeht, muss sich Deutschland wirklich nicht verstecken“, sagt er.

„Die Unterstützung, die englische Unis ihren Studierenden bieten, ist aber eine ganz andere als in Deutschland“, findet er. Bock hat in München sein Studium mit dem Master abgeschlossen und zudem einen BWL-Master absolviert. Dann wechselte er nach England: Heute schreibt er seine Doktorarbeit in Maschinenbau an der Universität Cambridge und steht der dortigen German Society als Präsident vor. Die deutsche Gesellschaft versteht sich als Heimat für alle an der Eliteuniversität, die aus dem deutschsprachigen Raum stammen oder sich für Deutschland interessieren, sie organisiert Abendessen und Veranstaltungen mit deutschen Politikern, Wirtschaftsleuten und Künstlern.

Bock kennt also die Erfahrungen vieler deutscher Studierender. Er verweist auf den Betreuungsschlüssel. Während Studienfreunde in Deutschland sich auch jetzt wieder mit bis zu 20 Mitdoktoranden einen Professor oder eine Professorin teilten, betreuten Professoren in Cambridge drei oder vier Doktoranden. Daher sehe man seine Betreuer jede Woche und erreiche sie schnell.

Insgesamt empfindet Bock das englische System an den Topuniversitäten als familiärer. In München seien Studierende vor allem Nummern gewesen. In Cambridge teilen sich die mehr als 20.000 Studierenden auf 31 Colleges auf. Diese wiederum verfügen über eigene Häuser, ein Zuhause auf Zeit, so beschreibt es Bock. Morgens wird vielleicht zusammen gerudert, abends gemeinsam gegessen. Wer dabei an die langen Tafeln in Harry Potters Zauberschule Hogwarts denkt, liegt nicht ganz falsch. „Das Gemeinschaftsgefühl ist viel ausgeprägter als in Deutschland“, sagt Bock.

Der Doktorand nennt einen weiteren Vorteil: Anders als in Deutschland müsse er keine Vorlesungen halten, Anträge schreiben oder seinem betreuenden Professor Unterlagen bereitstellen. Es gebe auch viel finanzielle Unterstützung, zum Beispiel Reisestipendien für Kongresse. Ohne Förderung sind die Studiengebühren hoch, gibt er zu: „Aber wenn man wie ich ein Stipendium hat, kann man seine ganze Zeit auf die Forschung verwenden.“ Deutschland habe in der Breite ein gutes Bildungssystem, erkennt er an: „Aber es verhindert zu oft die Spitzen.“

Die Bundesrepublik hat in den vergangenen knapp drei Jahrzehnten jährlich gut 27.000 Deutsche an andere Länder verloren – in der Mehrheit hoch qualifizierte Fachkräfte, die nun in Singapur oder den USA forschen, die Wirtschaft in der Schweiz oder in Frankreich ankurbeln. 

Unter den hoch Qualifizierten, die Deutschland verlassen, finden sich viele junge Forscher. Menschen, die die Bundesregierung versuchen sollte zu halten – zumal sich Universitäten und Forschungseinrichtungen seit Jahren bemühen, Spitzenforscher aus dem Ausland anzuwerben. Wie viele es genau sind, kann allerdings niemand beantworten: Der Bundesregierung liegen keine Daten zu ausgewanderten Akademikerinnen und Akademikern vor, antwortete das Bundesbildungsministerium gerade auf eine kleine Anfrage des FDP-Abgeordneten Thomas Sattelberger.

Traditionell zählt Großbritannien zu den beliebtesten Ländern deutscher Studierender im Ausland – zumindest war es bis zum Brexit so. 2018 zog es gut 15.000 Studierende aus Deutschland dorthin, das Vereinigte Königreich war damit hinter Österreich und den Niederlanden der drittbeliebteste Auslandsstudienort. Gut 9000 Deutsche begannen ihr Studium sogar direkt dort. 

Fast ein Viertel der Studierenden wählte dabei die Fächer Wirtschaft, Verwaltung und Recht. Fast 40 Prozent strebten einen Bachelor-Abschluss, knapp 30 Prozent einen Master-Abschluss an. Gut 13 Prozent arbeiteten wie nun Julius Bock an ihrer Promotion.

Allerdings wirkt sich Großbritanniens Austritt aus der EU mittlerweile auch auf die Universitäten vor Ort aus: Zahlen der zentralen Vergabestelle UCAS zeigen, dass in diesem Herbst nur 800 Deutsche im Vereinigten Königreich ein Studium aufnahmen, noch einmal nur halb so viele wie im Vorjahr, dem Pandemiejahr. Fachleuten zufolge hat das vor allem damit zu tun, dass seit dem Brexit die Studiengebühren deutlich gestiegen sind

Zahlten EU-Bürger in England bisher wie britische und irische Studenten maximal 9250 Pfund im Jahr, derzeit nicht ganz 10.900 Euro, entfällt dieser Status für sie nun – und die Universitäten können von deutschen Studienanfängern nun mehr als doppelt so viel Geld verlangen. Außerdem haben Studierende aus der EU mittlerweile keinen Zugang mehr zur Studienfinanzierung vor Ort und benötigen ein Studierenden-Visum. Dazu kommen Kosten für das staatliche Gesundheitswesen in Höhe von 520 Euro pro Jahr.

von Sophie Crocoll, Konrad Fischer

An der London School of Economics (LSE) kostet neue Studierende ein Studienjahr nun 22.000 Pfund, sagt Julia Sturz, Studentin der Wirtschaftsgeschichte und Vizepräsidentin der German Society an der Universität. Sie hält das für ein großes Problem und hat ebenfalls beobachtet, dass die Zahl deutscher und europäischer Studierender drastisch zurückgegangen ist. Die deutsche Gesellschaft organisiert einmal im Jahr ein großes Symposium, zu dem auch schon Noch-Kanzlerin Angela Merkel anreiste. In diesem Jahr, sagt Sturz, hätten sich nur ein Viertel so viele Studierende beworben, die Veranstaltung mit zu planen, wie früher. 

Schade findet Sturz das vor allem, weil sie von den Vorteilen der englischen Spitzenbildungsstätten im Vergleich zu Deutschland überzeugt ist. Sie hat bereits ihr internationales Abitur an einem Internat im englischen Bromsgrove gemacht. Natürlich koste eine Privatschule viel Geld und sei nicht für alle zugänglich, sagt sie. „Aber das große Plus ist, dass Lehrer und Professoren über ihr Gehalt einen Anreiz haben, dort zu sein.“ Verbeamtet seien sie dagegen nicht. Und wer nicht die erwartete Leistung für seine Schüler und Studenten zeige, werde eben ersetzt.

Außerdem hat Sturz unter ihren Mitschülern und nun Mitstudierenden in England eine besondere Verhaltensweise ausgemacht: „Alle haben einen gewissen Anspruch an sich selbst und andere, die Latte höher zu legen“, sagt sie. „Unter Leuten, die relativ gleichgesinnt sind, zieht man sich gegenseitig hoch.“

Vor allem aber gefällt ihr die Internationalität an englischen Topeinrichtungen. An der LSE stammten mehr als 80 Prozent der Studierenden aus dem Ausland. „In Deutschland vermisse ich das oft“, sagt sie. Auch Julius Bock nennt das den „großen Reiz“, an einer Universität im angelsächsischen Raum zu forschen. „In Cambridge kann ich auch mal mit einem Nobelpreisträger sprechen“, sagt er. Er treffe auf die besten Leute weltweit und nehme bei ihnen „mehr Drive“ wahr – während sich an deutschen Spitzenunis viele damit zufriedengäben, einfach ihren Abschluss zu machen.

Das Ranking des Analysten Quacquarelli Symonds, der die Leistung von Bildungseinrichtungen aus 97 Ländern vergleicht, führt die englischen Topuniversitäten regelmäßig als die besten Hochschulen Europas auf. Auf Platz eins lag zuletzt das US-amerikanische Massachusetts Institute of Technology, gefolgt von der Universität Oxford in England. Stanford (USA) und Cambridge erreichten mit der gleichen Punktzahl den dritten Platz. Die beste deutsche Universität ist der Rangliste zufolge die Technische Universität München, auf Platz 50.

Für Julius Bock jedenfalls ist klar: Er möchte noch einmal sechs Monate oder länger an eine Universität in den USA gehen. Eine seiner Masterarbeiten hat er bereits während eines Aufenthalts in Stanford verfasst. Er könne sich gut vorstellen, später nach Deutschland zurückzugehen, sagt er – unter der Voraussetzung, dass sein Wissen dann auch honoriert werde. „Ich habe den Eindruck, dass deutsche Unternehmen weniger mit einem Abschluss aus dem Ausland anfangen können“, sagt er. 

Bock könnte sich ebenfalls vorstellen, an einer Universität zu bleiben oder selbst ein Unternehmen zu gründen. Auch da sprechen höhere Gehälter und ein geringerer Bürokratieaufwand allerdings eher für den angelsächsischen Raum als für Deutschland. „Es hängt auch von der Politik ab, ob Spitzenkräfte gesucht und gefördert werden“, findet er daher.

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Auch Julia Sturz sagt, sie würde auf jeden Fall nach Deutschland zurückkommen – aber nur, wenn ihr der „internationale Outlook“, den sie an England so schätzt, erhalten bliebe. Erst einmal aber zieht es sie in die Schweiz. Das Finance-Master-Programm an der Universität St. Gallen spreche sie sehr an. 

Mehr zum Thema: Zehntausende hoch Qualifizierte verlassen jährlich das Land – um die Karriere zu beschleunigen, Spitzenforschung zu betreiben oder der Steuer wegen. Am meisten profitiert, wer den Exit gut vorbereitet.

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