Energie und Klima Das Geschäft mit der fossilen Verbrennung

US-Präsident Donald Trump wurde für seinen Klimaschutzkurs hierzulande hart kritisiert. Dabei wollen auch deutsche Dax-Vorstände, Ministerpräsidenten und Gewerkschafter die Kohle behalten.

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Fossile Energieträger. Quelle: imago images

Als Roger Miesen zum dankbaren Fan von Donald Trump wird, steht er direkt neben dem Kanzleramt. Miesen ist Vorstandsmitglied von RWE Power, jener Sparte des Energieriesen, die das Geschäft mit der fossilen Verbrennung betreibt. In dieser Funktion ist der elegante Herr mit dem schmalen Haarkranz zum RWE-Sommerfest ins Berliner Haus der Kulturen der Welt gekommen.

Dort, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Schaltzentrale von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), erreichen ihn die „breaking news“: US-Präsident Donald Trump will aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen, auch um die heimische Kohleindustrie zu stärken. Er sei nicht für Paris verantwortlich, sondern für Pittsburgh, tönt Trump in Washington.

RWE-Mann Miesen kann sein Glück kaum fassen. Trump bietet ihm, dem Repräsentanten eines Konzerns mit gewaltigen CO2-Emissionen, eine perfekte Steilvorlage, um für die eigene Kohle zu werben.

Der Ausstoß von Treibhausgasen verringere sich überhaupt nicht, würden alle deutschen Kohlekraftwerke abgeschaltet, rechnet Miesen vor. In einem solchen Fall fielen nämlich die Preise für CO2-Zertifikate drastisch. Andere energieintensive Industrien kauften diese dann auf – nur um natürlich gleich wieder mehr klimaschädliches Kohlendioxid in die Atmosphäre zu pusten.

Nach der Aufspaltung nun der Neubeginn?
Es war ein Kraftakt mit noch ungewissem Ausgang: Über Börsengänge abgetrennter Konzernteile haben die Energieriesen Eon und RWE eine dringend nötige Kehrtwende eingeleitet. Gelingt den Versorgern mit Hilfe ihrer eigenständigen Öko-Sparten nun tatsächlich der Befreiungsschlag - oder kommt die schrittweise Abwendung von der Kohle- und Atomkraft viel zu spät? 2017 dürfte es für Verbraucher und die Branche ähnlich spannend bleiben. Zentrale Themen im Überblick. Quelle: dpa
1. Die Rettungsstrategie: Ökostrom, Netze und Services abspaltenDie „neue“ Eon mit Ökostrom, Netzgeschäft und Vertrieb heißt weiter Eon - der alte Bestand vor allem mit konventionellen Kraftwerken und dem Gasgeschäft wurde dagegen in den jetzt ebenfalls börsennotierten Konzern Uniper ausgelagert. Eon verfolgt eine Konzentration auf die boomenden neuen Energien bei gleichzeitiger Verschlankung. „Unser Ziel ist es, trotz weiterer grundlegender Veränderungen die Zukunft dauerhaft zu sichern“, erklärte Vorstandschef Johannes Teyssen im November. Quelle: REUTERS
Ähnlich machte es der Rivale RWE, wenngleich genau andersherum: Die Essener holten sich an der Börse frisches Geld für ihre Öko-Sparte Innogy, während die „alte“ RWE etwa die konventionellen Anlagen verwaltet. Konzernchef Peter Terium verbreitete zum Innogy-Start auf dem Parkett im Oktober Zuversicht: „Das ist ein super, super Tag.“ Quelle: dpa
2. Das anhaltende Problem: Kohle und Gas verdienen nicht genug GeldEin hohes Angebot an Ökostrom drückt in die Netze, weshalb die Lücke zwischen den eigentlich geringen Großhandelspreisen und den Einspeisevergütungen für die Hersteller von alternativer Energie tendenziell weiter aufklafft. Das Preisniveau an den Strombörsen ist für den Verkauf insbesondere der konventionell erzeugten Elektrizität entscheidend. Die „neuen“ Ökostrom-Geschäfte laufen deutlich besser. Quelle: dpa
Die Eon-Abspaltung Uniper steckte nach den ersten drei Quartalen 2016 mit minus 4,2 Milliarden Euro tief in den roten Zahlen. Das war so kurz nach der Trennung von Eon auch nicht anders erwartet worden. Der Betriebsgewinn legte auf rund 1,8 Milliarden Euro zu - jedoch vor allem wegen des Sondereffekts neu verhandelter Lieferverträge mit dem russischen Gasriesen Gazprom. Bei RWE sackte das Betriebsergebnis nach neun Monaten um knapp neun Prozent auf 2,6 Milliarden Euro ab. Quelle: REUTERS
3. Der Verbraucher muss vorerst weiter draufzahlenDer Privatkunde merkt von dem Preistief an den Strombörsen kaum etwas - ganz im Gegenteil: Steigende Kosten für den Ausbau des Netzes und der erneuerbaren Energien werden auch 2017 zu einem beträchtlichen Teil über die Netzentgelte und die Ökostrom-Umlage auf ihn abgewälzt. Quelle: dpa
Rund drei Viertel des Endverbraucher-Preises entfallen auf solche Abgaben und Steuern. Im nächsten Jahr erhöht sich die Ökostrom-Umlage von 6,35 auf 6,88 Cent je Kilowattstunde, wie die Netzbetreiber 50Hertz, Amprion, Tennet und TransnetBW im Oktober festlegten. Bei den Netzentgelten ist es ähnlich. Der für Norddeutschland und Bayern zuständige Betreiber Tennet kündigte eine Erhöhung um 80 Prozent an. Quelle: dpa

Miesens Plädoyer lautet an diesem Abend in Berlin mehr oder weniger: Zu viel Klimaschutz rechnet sich nicht. Und: Ohne Kohle geht es nicht. Braunkohlekraftwerke seien unerlässlich für eine sichere Stromversorgung in Deutschland, so der RWE-Vorstand.

Nanu? In Deutschland – dem Land der Energiewende, das bis zum Jahr 2050 seine Stromversorgung zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien speisen will, Heimat von Klimakanzlerin Merkel, die gerade eine Allianz des Rests der Welt gegen Klimarüpel Donald Trump anzuführen scheint – gibt es ganz große Aufregung über Trumps Sündenfall. Aber es gibt eben auch ganz viele kleine Trumps.

Sie sind, genau wie der Amerikaner, mehr oder weniger offen Fans der Kohle. Auch sie halten zu strenge Klimaauflagen für Murks und wollen lieber an herkömmlichen Technologien festhalten.

Noch heute stammen mehr als 40 Prozent des deutschen Stroms aus Kohlekraftwerken, mit denen sich weiterhin jede Menge Geld verdienen lässt. Die heimische Kohlelobby habe schlichtweg Angst um ihr Geschäftsmodell, meint Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. „Das fossile Imperium würde den Kohleausstieg am liebsten verhindern.“

Manche tun dies offen, wie ein knappes Dutzend sehr konservativer CDU-Politiker, die gerade die Klimapolitik ihrer Kanzlerin infrage gestellt hatten. Ein Teil des sogenannten Berliner Kreises sprach in einer Erklärung nach Trumps Entscheidung von „moralischer Erpressung“ durch Klimaschützer – und fordert den „Abschied von deutschen Sonderzielen“.

Die Erklärung wirkte so albern, dass viele sie als Wortmeldung eines weitgehend unbekannten Trupps von Merkel-Hassern abtaten, die jede Gelegenheit nutzten, um gegen ihre Parteivorsitzende zu stänkern.

Doch es sind keineswegs nur Ewiggestrige in der CDU, die so argumentieren. In Berlin amtiert eine parteiübergreifende Koalition für die Kohle und gegen zu viel Klimaschutz.

Sigmar Gabriel gehörte als Bundeswirtschaftsminister auch dazu. Der SPD-Mann weigerte sich beharrlich, eine Jahreszahl für den Abschied Deutschlands vom schmutzigen Energieträger Kohle zu nennen. Man solle die Kohlekumpel, ob in der Lausitz oder im Ruhrgebiet, nicht verunsichern, betonte Gabriel immer wieder.

Nie wieder Fukushima

Welchen Stellenwert die Kohle in Deutschland hat, zeigt schon der Koalitionsvertrag von Union und SPD. Darin heißt es, dass konventionelle Kraftwerke „auf absehbare Zeit unverzichtbar“ seien. Gabriel machte in seiner Amtszeit als Wirtschaftsminister den Energiekonzernen sogar ein sehr teures Geschenk.

Anstatt die dreckigsten Braunkohlekraftwerke vom Netz zu nehmen, einigte sich der Sozialdemokrat mit den Betreibern, diese sieben Jahre als Notfallreserve zu behalten. Rund 1,6 Milliarden Euro landen dafür in den Taschen der Energieriesen – finanziert vom Steuerzahler.

Ein perfekter Lobbyerfolg. Der wurde möglich, weil kaum eine deutsche Branche so regen Kontakt zu Spitzenvertretern der Regierung und der Parteien pflegt wie die Energiebosse. Eine Anfrage der Linken im Bundestag zeigte, dass zwischen 2014 und 2017 E.On-Chef Johannes Teyssen und der frühere RWE- und heutige Innogy-Chef Peter Terium im Kanzleramt und dem Wirtschaftsministerium ein und aus gingen.

Wie der Niedergang der Kohle zur Zeitenwende in Ohio führt
Kohlegeschäft in Ohio Quelle: dpa
Kohlegeschäft in Ohio Quelle: dpa
Kohlegeschäft in Ohio Quelle: dpa
Kohlegeschäft in Ohio Quelle: dpa
Kohlegeschäft in Ohio Quelle: dpa
Kohlegeschäft in Ohio Quelle: dpa
Kohlegeschäft in Ohio Quelle: dpa

Ihr Besucherfleiß ist nachvollziehbar: Das Geschäft der Strombetreiber ist nach wie vor überwiegend staatlich reguliert. RWE und Co. sind also davon abhängig, was in Berlin in Sachen Energiepolitik entschieden wird.

Vor allem aber sind sie entschlossen, nie wieder zum Spielball der Politik zu werden – so es aus ihrer Sicht der Fall war, als Kanzlerin Merkel nach der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 kurzerhand den Ausstieg aus der Kernenergie um einige Jahre vorzog. Den Stromversorgern zerstörte die Christdemokratin damit ihr wichtigstes Geschäftsmodell: Atomkraft.

Was bei der Kernenergie passierte, soll sich mit der Kohle nicht wiederholen. „Nie mehr Fukushima“ lautet das Mantra der Energiebranche. Dafür marschieren deren Bosse sogar Seite an Seite mit Gewerkschaftsführern. Etwa mit Michael Vassilliadis, Chef der drittgrößten Gewerkschaft in Deutschland, der IG Bergbau, Chemie und Energie (BCE), der einen Fonds zur Rettung der heimischen Braunkohle fordert und auf Rückendeckung der Konzernbosse setzen kann. Geschützt von neuen staatlichen Klimaauflagen, soll die Kohle die Stromversorgung nach dem Atomausstieg sichern, so der gemeinsame Plan.

von Angela Hennersdorf, Niklas Hoyer, Andreas Macho, Dieter Schnaas

Die enge Allianz von Kohlebossen und Gewerkschaftern hat selbst Ministerpräsidenten höchst effektiv auf Linie gebracht. Im Kohleland Nordrhein-Westfallen – Heimat von mehr als 20 Kohlekraftwerken – gilt dies ohnehin. Aber auch die Ministerpräsidenten von Brandenburg und Sachsen, Dietmar Woidke (SPD) und Stanislaw Tillich (CDU), hören zuverlässig auf die Argumente dieses breiten Bündnisses.

Kohle soll möglichst lange genutzt werden, erklärt Woidke auf Anfrage. „Als Industrieland brauchen wir eine verlässliche und stabile Energieversorgung.“ Der SPD-Politiker will „voreilige und einseitige Eingriffe in die weitere Braunkohlenutzung“ verhindern.

Schwarzes Gold: Die RWE-Vorstände Schmitz (links) und Miesen kämpfen mit IG-BCE Chef Vassiliadis (rechts) für die heimische Kohle. Quelle: REUTERS

Und so rechnet Woidke selbstbewusst vor, das Kraftwerk Jänschwalde in der Lausitz etwa werde noch bis zum Jahr 2033 Braunkohle verbrennen. Woidke beruft sich auf die „Versorgungssicherheit der gesamten Volkswirtschaft“.

„Es sollte nichts vorzeitig abgeschaltet werden, dessen Ersatz durch andere Energieträger derzeit nicht gesichert ist“, dekretiert der Landesfürst von Brandenburg.

Auch sein sächsischer Amtskollege Stanislaw Tillich (CDU) hält eher wenig von alternativen Energien. Ostdeutschland habe ja besonders viele Windmühlen und andere Anlagen für erneuerbare Energie installiert, sagt er. Doch das bringe auch Nachteile: So fielen Netzentgelte dort besonders hoch aus. „Das führt zu einem deutlichen Standortnachteil in Ostdeutschland, da Unternehmen durch die hohen Kosten überproportional benachteiligt sind“, so Tillich.

Braunkohle hingegen biete Vorteile, denn sie liefere billigen Strom. Nicht nur an Sachsen denkt Tillich dabei, sondern natürlich an ganz Deutschland. „Durch einen früheren Verzicht auf die Braunkohleverstromung würde die Abhängigkeit von Gasimporten bei einem steigenden Strom- oder Energiebedarf immer größer“, erklärt der Ministerpräsident staatstragend.

Näher an Trump als an Paris

Kein Wunder, dass die grüne Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock sowohl Woidke als auch Tillich fest im Kohlelager verankert sieht: „Beide stehen der Trump-Linie näher als dem Pariser Klimaschutzabkommen.“

Während sich die Ministerpräsidenten ganz ungeniert als Kämpfer für die Kohle aus ihrer Region präsentieren, geht es Bundeskanzlerin Merkel um eine ganz andere Art der Inszenierung: die als Klimakanzlerin. So möchte die einstige Umweltministerin in die Geschichtsbücher eingehen.

Doch mit der deutschen Wirklichkeit hat dies wenig zu tun. Schon heute ist klar, dass Merkels Regierung ihre Klimaschutzziele für 2020 reißen wird – wenn nicht gleich nach der Wahl drastische Einsparungen beschlossen werden. Laut Bundesumweltministerium lässt sich binnen drei Jahren der Ausstoß von Kohlendioxid nicht wie versprochen um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 senken. Bereits 2014 musste die Regierung ein Aktionsprogramm zur CO2-Reduzierung auflegen, weil die Ziele drohten, um bis zu acht Prozent verfehlt zu werden. Das half, aber nicht genug: Noch immer droht eine Verfehlung um bis zu fünf Prozent.

Schuld daran ist nach offiziellen Angaben nicht nur die Kohle, sondern auch die Tatsache, dass die Deutschen große Autos fahren und klimaschädlich heizen. Beim Verkehr und bei der Wärme seien kaum Einsparungen klimaschädlicher Gase erkennbar, klagen Experten des Umweltministeriums.

Auch wächst die deutsche Wirtschaft stärker als erwartet, was die Umwelt weiter belastet. Den Umstand nutzen Kohlebefürworter wie Ministerpräsident Tillich wieder für Werbung in eigener Sache: „Andere Bereiche der Volkswirtschaft wie Verkehr, Landwirtschaft und die privaten Haushalte und neben dem Strom insbesondere der Wärmemarkt müssen stärker zur CO2-Reduktion beitragen.“ Die Kohleindustrie im Osten sei doch schon viel sauberer.

Die große Koalition der deutschen Kohle-Fans: Alle kritisieren Donald Trump, dabei wollen auch deutsche Politiker die Kohle behalten. Quelle: dpa

Nur die Grünen maulen

Viele Politiker wollen den Abschied von der Kohle auch nicht vollziehen, weil sie Schadensersatzforderungen der Konzerne fürchten, so wie die der Atomkonzerne, die aktuell sechs Milliarden Euro aus der Brennelementesteuer erwarten. Doch Stefan Klinski, Jurist an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, sagt: „Für den Ausstieg aus der Kohleverstromung stehen dem Gesetzgeber relativ große rechtliche Spielräume zur Verfügung – ohne dass dadurch Entschädigungsansprüche der Kraftwerksbetreiber ausgelöst würden.“

Aber ernsthaften Zoff mit der Kohlelobby wollen eigentlich nur die Grünen. Sie haben in ihrem Wahlprogramm verkündet, 20 besonders schmutzige Kohlekraftwerke sofort abschalten zu wollen. Sollten sie an der neuen Bundesregierung beteiligt sein, dürfte sich der Abschied aus der deutschen Kohle deutlich beschleunigen. Die Grünen fordern schließlich eine flächendeckende „Dekarbonisierung“, damit Deutschland seine Klimaziele doch noch irgendwie erreicht – eine Forderung übrigens auch von führenden Finanzinvestoren, die in schmutzigen Technologien keine Zukunft sehen.

Bleibt die Ökopartei aber außen vor, droht dem „fossilen Imperium“ hierzulande jedoch wohl kaum Gefahr. Zwar hat Kanzlerin Merkel gerade zum Klimaschutz geschworen: „Nichts kann und wird uns dabei aufhalten.“ Doch die Erklärung war eindeutig auf Donald Trump gemünzt. An die vielen kleinen Trumps in Deutschland dachte Merkel offenbar weniger.

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