Energiegipfel Klimaschutz auch ohne Kernenergie möglich

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Energiesparlampen allein lösen das Problem natürlich nicht – auch wenn sie zehnmal so lange halten wie herkömmliche 60-Watt-Birnen und ihr Jahresverbrauch mit 18 Kilowattstunden nur ein Viertel so hoch ist. Doch in alten Heizkesseln, Lüftungsanlagen und Fahrstühlen schlummern riesige Einsparpotenziale. „Wenn alle Kühlschränke, die älter als zehn Jahre sind, gegen höchsteffiziente Geräte ausgetauscht werden, könnten 8,4 Milliarden Kilowattstunden Strom im Jahr gespart werden“, sagt Heinrich Doppler vom Zentralverband der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie. Das Problem: Nur ein Prozent der Verbraucher kauft derzeit Kühlschränke der Güteklasse A++. Um den Käufer zu ködern, bedarf es finanzieller Anreize – etwa niedrigere Steuern wie in den USA oder Cashback-Optionen wie in Dänemark und den Niederlanden. Motoren für Pumpen, Ventilatoren und andere Industriegeräte bräuchten eine elektronische Drehzahlregelung, bei der Straßenbeleuchtung müssten Metallhalogenlampen oder Hochdrucknatriumdampflampen statt der alten Quecksilberdampflampen glühen. Wenn alle Maßnahmen greifen, so die Berechnung der Elektronikindustrie, könnten in Deutschland 40 Milliarden Kilowattstunden Strom pro Jahr eingespart werden – das entspricht der Leistung von 16 Kraftwerksblöcken mit jeweils 400 Megawatt. Beim Energiesparen liegt Deutschland schon jetzt in der Weltspitze – ein Vorteil, der sich gut exportieren lässt. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln gehört Deutschland zu den Ländern mit der höchsten Umwelteffizienz. Nur 6 der 30 untersuchten Industrieländer verbrauchen weniger Ressourcen für ihr Wirtschaftswachstum, darunter Irland, die Schweiz und Dänemark. Die USA und Kanada dagegen brauchen doppelt so viel Energie, Indien dreimal und China sogar viermal so viel. Die Energieeffizienz zum Thema des Gipfels zu machen ist ein geschickter Schachzug – denn im Grunde ist niemand dagegen. Die Industrie ist begeistert, schließlich setzt der Vorschlag nicht nur bei ihr, sondern auch beim Verbraucher an. Der wiederum freut sich über fallende Stromkosten – und ärgert sich weniger über die gleichzeitig steigenden Preise. Längst hat Effizienz das schlechte Image kleinkrämerischen Sparens abgelegt, das die Verzichtspredigten von Umweltschützern früher hatten. Von wegen Tempolimit und Sonntagsfahrverbot – Effizienz heißt, schnell fahren und weniger an der Zapfsäule zahlen. Allerdings rechnet kaum jemand damit, dass die Energieproduktivität bis 2020 verdoppelt werden kann. „Wir haben zwar genügend Potenzial – aber es mangelt am politischen Willen zur Umsetzung“, kritisiert Stephan Kohler, Leiter der Deutschen Energie-Agentur. „Höchstens 20 Prozent sind ohne Komfortverluste möglich“, schätzt Energieexperte Herman-Josef Wagner von der Ruhr-Universität Bochum. Der Verbraucher weiß oft viel zu wenig über solche Einsparpotenziale und nutzt sie deshalb kaum.

An dieser Stelle setzt eine Idee ein, die bald auch die Abgeordneten beschäftigt: Energie-Contracting, die Auslagerung von Schritten zur Effizienzsteigerung an einen Dritten. Der Contractor übernimmt die Planung, Errichtung, Finanzierung und den Betrieb einer Energieanlage oder einer Steuerungstechnik und trägt die unternehmerische Verantwortung für den Erfolg – nämlich den, ein bestimmtes Einsparziel zu erreichen. „Wir wollen einen Markt für unternehmerische Kreativität schaffen“, sagt Marie-Luise Dött, umweltpolitische Sprecherin der CDU/CSU. Dött, die selbst aus dem Mittelstand kommt, will keine staatlichen Zuschüsse, sondern ein marktwirtschaftliches Instrument für mehr Energieeffizienz. Vor allem bei Gebäuden gibt es großen Bedarf, rund zwei Drittel der Bestandsgebäude in Deutschland sind wärmetechnisch sanierungsbedürftig. Einsparpotenziale von bis zu 70 Prozent sind keine Seltenheit. Um dort Contracting einsetzen zu können, muss das Wohnungsmietrecht reformiert und Vermietern erleichtert werden, die Kosten der Wärmelieferung durch den Contractor auf den Mieter umzulegen. Deshalb will die Unions-Fraktion noch vor der Sommerpause einen Beschluss für ein Energie-Contracting-Beschleunigungsgesetz verabschieden. Auch Umweltminister Gabriel macht Tempo. Noch in diesem Jahr will er sein „Klimaschutzbeschleunigungsgesetz“ vorlegen und durchsetzen. Acht Punkte hat er aufgelistet, darunter die Reduktion des Stromverbrauchs um elf Prozent, eine Steigerung der Biokraftstoffe auf 17 Prozent und Stromerzeugung durch erneuerbare Energien auf über 27 Prozent. Noch liest sich diese Liste wie ein Wunschzettel. Ein Wunsch, den die Union und auch einige Sozialdemokraten gern mit auf der Liste hätten, erwähnt Gabriel jedoch nicht: die Atomenergie. Dieses Thema setzt die Koalition weiter unter Strom.

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