Energiegipfel Klimaschutz auch ohne Kernenergie möglich

Klimaschutz sei auch ohne Kernenergie möglich, behauptet die Regierung in einem Papier zum Energiegipfel. Das Allheilmittel heißt erhöhte Energieeffizienz – doch die lässt sich nicht verordnen.

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Energiesparlampe: Mit erhöhter Energieffizienz wäre Klimaschutz ohne Kernenergie-Ausbau möglich, dpa

Kampflustig schaut Umweltminister Sigmar Gabriel seine Genossen an. „Wir können nicht gleichzeitig aus Kohle und Kernenergie aussteigen“, ruft er in den Fraktionssaal. „Wir brauchen als Industriestandort preiswerten Grundlaststrom.“ Und weil der Atomausstieg beschlossene Sache sei, müsse halt der Klimakiller Kohle mithilfe neuer Technologien sauber werden. Doch Gabriels fromme Hoffnung teilen nicht alle. „Können wir es uns wirklich leisten, nicht die Laufzeiten der Kernkraftwerke zu verlängern, wenigstens als Übergangslösung?“, will ein Teilnehmer der SPD-Energiekonferenz im Reichstag wissen. Fraktionsvize Ulrich Kelber wehrt ab: „Klimaschutz ist auch ohne Kernenergie machbar.“ Das ist Parteilinie. Der Ausstieg steht im Koalitionsvertrag, ist ein Dogma. Zulässig ist allein die Frage: Wie sollen die ehrgeizigen Emissionsziele – Reduktion des CO2-Ausstoßes bis 2020 um bis zu 40 Prozent – erreichbar, wie die Energieversorgung künftig sicher und bezahlbar sein? Das Thema Atomenergie spaltet nicht nur die große Koalition. Inzwischen regt sich auch bei den Sozialdemokraten Widerspruch. So sagt der frühere Wirtschaftsminister Wolfgang Clement selbstkritisch: „Der Atomausstieg war falsch.“ Und der innenpolitische Sprecher Dieter Wiefelspütz glaubt, zur Atomenergie sei „noch nicht das letzte Wort gesprochen“. Um den Streit in der Koalition zu entschärfen, hat das Kanzleramt eine Studie in Auftrag gegeben, die beim Energiegipfel am 3. Juli in Berlin drei Wege zum Klimaschutz aufzeigen soll. Szenario eins basiert auf dem Koalitionsvertrag: Ausstieg aus der Kernenergie und vermehrter Einsatz von erneuerbaren Energien. Nummer zwei sieht auf Wunsch des Umweltministers einen stärkeren Ausbau der erneuerbaren Energien vor. Nummer drei beinhaltet ganz im Sinne von Wirtschaftsminister Michael Glos eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke um 20 Jahre. Das Verführerische an der nuklearen Option: Der Privatnutzer zahlt zehn Prozent weniger für seinen Strom als im Alternativszenario, die CO2-Emissionen gehen am stärksten zurück (bis 2020 um 44,6 Prozent gegenüber 1990), und sie wäre jährlich rund 5,2 Milliarden Euro günstiger als das Alternativszenario. Die drei Szenarien beruhen jedoch auf der fragwürdigen Vorgabe, dass sich die Energieeffizienz wie im Koalitionsvertrag vorgesehen zwischen 1990 und 2020 verdoppeln lässt. Danach müsste die Energieproduktivität pro Jahr von derzeit einem auf drei Prozent ansteigen – ein Ziel, für das es, wie die Arbeitsgruppe „Nationale Aspekte“ selbst schreibt, weder historisch noch im Ländervergleich ein Beispiel gibt. Selbst zwischen 1990 und 1995, als die ineffizienten DDR-Strukturen zerbrachen, stieg die Energieproduktivität nur knapp über 2,5 Prozent pro Jahr. Seitdem ist die Effizienzrate wieder gefallen. Die Verdopplung der Energieproduktivität entspräche einem Rückgang des Stromverbrauchs um 80 Terawattstunden. Nur aufgrund dieser Annahme erscheint der Verzicht auf 160 Terawattstunden Atomstrom überhaupt machbar. „Eine völlig unrealistische Annahme“, sagt BDI-Präsident Jürgen Thumann. Selbst die Anhänger der erneuerbaren Energien halten dieses Ziel für sehr optimistisch. „Da steht nicht drin, wie das machbar sein soll“, sagt Milan Nitzschke, Geschäftsführer beim Bundesverband Erneuerbare Energie, zu der in dem Bericht der Arbeitsgruppe genannten Annahme, dass der Energieverbrauch pro Kopf der Bevölkerung zwischen 2005 und 2020 um 15 Prozent abnimmt. Die Rahmendaten seien willkürlich gewählt, kritisiert Nitzschke, das von der Kanzlerin auf dem Frühjahrsgipfel der EU durchgesetzte Ziel, den Anteil erneuerbarer Energien bis 2020 auf 20 Prozent zu erhöhen, werde nur in einem der Szenarien berücksichtigt. „Die Berechnung ist ein Schnellschuss“, sagt Nitzschke.

Dabei kann Energieeffizienz eine wichtige Stellschraube sein – wenn man sie nicht überdreht. Vor allem auf der Nachfrageseite lässt sich einiges tun – nur muss die Politik entsprechende Maßnahmen beschließen. Dazu zählen Gebäudesanierungsprogramme, eine Regelung für den Standby-Verbrauch von Elektronik sowie gesetzliche Vorschriften für einen Wettbewerb um die effizientesten Geräte, das sogenannte Top-Runner-Modell. Auch auf der Angebotsseite lässt sich viel verändern, etwa durch den Ausbau der Nah- und Fernwärmenetze für die Kraft-Wärme-Kopplung und eine Erneuerung des veralteten Kraftwerksparks. Gerade in der Kohleverstromung gibt es erhebliche Effizienzreserven – „und zwar auf der ganzen Welt“, betont Claude Mandil, Exekutivdirektor der Internationalen Energie-Agentur. Da der Einsatz von Kohle international steigt – vor allem in China und Indien – und deutsche Unternehmen über die modernsten Kraftwerkstechnologien verfügen, lassen sich Exportgewinne und Klimaschutz erfolgreich kombinieren. Die Kohle spielt in allen Gipfelszenarien in der Stromerzeugung auch 2020 noch eine wichtige Rolle – aber ohne einen Neubau konventioneller Kohlekraftwerke. Die den Szenarien zugrunde gelegten CO2-Preise sind dann nicht hoch genug, um die Mehrkosten für CO2-freie Kohlekraftwerke zu decken. Erdgasverstromung und Windkraft rücken damit automatisch näher an die Wirtschaftlichkeit heran – allerdings auf Kosten der Versorgungssicherheit. Den Gordischen Knoten der Energiepolitik aus Wirtschaftlichkeit, Sicherheit und Klimaschutz will Gabriel nun mit seinem Aktionsplan Energieeffizienz durchschlagen. Die Maßnahmen reichen von politischen Vorgaben wie einer Novelle des Gesetzes zur Kraft-Wärme-Kopplung über die Sanierung von Schulen bis hin zu Sonderfonds für Energieeffizienz in Industrie und Gewerbe. Dieser Kraftakt dürfte den Steuerzahler einiges kosten: Für das Energiesparen bei Gebäuden sollen die Mittel schrittweise von derzeit 1,4 auf 3,5 Milliarden Euro pro Jahr aufgestockt werden. Rückendeckung erhält der Minister durch eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey: Danach lassen sich die Kosten der Emissionsminderung durch eine bessere Gebäude-Isolierung deutlich reduzieren – bis zu 150 Euro weniger je Tonne CO2-Äquivalent. Besonders teuer dagegen sind der Einsatz von Biodiesel, die Aufforstung von Wäldern, der Neubau von Kraftwerken, die Kohlendioxid abtrennen und speichern, sowie die Nutzung der Windenergie.

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