Die Stützung des Gashändlers Uniper geht bereits in die zweite Runde. Rettungspakete in Serie werden in Berlin aufgelegt. Gazprom Germania ist längst in Staatshand. Die Bundesregierung lässt mit Milliarden Gas auf den Weltmärkten einkaufen. Nun noch die Treuhandverwaltung der deutschen Rosneft-Tochter. Langsam wird es schwierig, den Überblick zu behalten über die vielen, meist hektischen Notoperationen der Bundesregierung, um die Energieversorgung Deutschlands zu sichern. Übernimmt sich die Politik nicht? Und erleben wir eine dauerhafte Renaissance des Retterstaates? Antworten von Ökonom Clemens Fuest, dem Chef des Münchner Ifo-Institutes.
WirtschaftsWoche: Herr Fuest, die Bundesregierung könnte schon bald die Staatsbeteiligung bei Uniper aufstocken, Gashändler wurden unter Treuhänderschaft gestellt, das gleiche passierte gerade mit der deutschen Rosneft-Tochter. Übernimmt sich der Staat als Retter?
Clemens Fuest: Diese Rettungen kann der Staat sich leisten, aber wir müssen damit rechnen, dass weitere Energieversorger Hilfen brauchen. Damit der Staat sich nicht übernimmt, muss sichergestellt werden, dass die privaten Kapitalgeber, auch die Fremdkapitalgeber, an den Lasten beteiligt werden.
Schon während der Coronapandemie wurde über die Grenzen staatlicher Krisenabfederung debattiert. Haben die Entwicklungen in Folge des Ukrainekrieges noch eine neue Dimension? Ist das eine Zeitenwende auch für die Rolle des Staates?
Das Wort von der Zeitenwende sollte nicht überstrapaziert werden. Schon in der Bankenkrise hat der Staat erhebliche Mittel einsetzen müssen, um die Krise abzufedern. Richtig ist, dass die enge Abfolge unterschiedlicher Krisen eine neue Herausforderung werden könnte, wenn sie anhält.
Halten Sie den geplanten Eingriff in den Strommarkt und die damit angestrebte Umverteilung für zielführend?
Eingriffe in das Strommarktdesign sind gerade in der aktuellen angespannten Versorgungslage riskant. Die Abschöpfung der Gewinne von Stromproduzenten, die andere Techniken als Gaskraftwerke einsetzen, ist kein Eingriff in das Strommarktdesign, er kann aber ebenfalls dazu führen, dass das Stromangebot in Deutschland sinkt, falls die Unternehmen den Strom woanders verkaufen können. Es gibt außerdem ungeklärte Umsetzungsfragen, etwa bei Termingeschäften. Ich finde es wichtiger, dass wir uns darauf konzentrieren, das Stromangebot auszuweiten.
Gleichzeitig werden Corona-Kreditermächtigungen nun für Energie-Wirtschaftshilfen umgewidmet. Ist das aus Ihrer Sicht pragmatisch oder problematisch?
Das ist pragmatisch. Wir haben alle ein Interesse daran, dass die Energieversorgung in der aktuellen Krise funktioniert, da sind haushaltsrechtliche Feinheiten sekundär.
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Immer neue Hilfsprogramme werden in diesen Tagen aufgelegt, immer neue Hilferufe erreichen Berlin. Glauben Sie, dass die Schuldenbremse 2023 noch zu halten sein wird?
Wahrscheinlich nicht, aber das heißt nicht, dass man sie jetzt schon aussetzen muss. Sie jetzt schon auszusetzen, würde zu Forderungen nach Mehrausgaben in allen möglichen Bereichen führen. Das wäre kontraproduktiv.
Schenken der Bundeskanzler und der Wirtschaftsminister den Bürgerinnen und Bürgern eigentlich reinen Wein ein, was an Wohlstandsverlusten und Härten in den kommenden Monaten auf Sie zukommen könnte?
Für die Politik ist die Kommunikation in dieser Krise eine Gratwanderung. Man sollte nichts beschönigen, aber auch keine Panik schüren. Es wäre allerdings gut, wenn die Politik deutlicher machen würde, dass der Staat die Lasten der Krise nicht aus der Welt schaffen, sondern nur umverteilen kann.
Sollte aus Ihrer Sicht eine breite Debatte darüber beginnen, wie der Standort Deutschland jenseits von Ad-hoc-Eingriffen wieder an Kraft und Dynamik gewinnt? Eine konzertierte Aktion für Wettbewerb?
Diese Debatte ist wichtig, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Jetzt gilt es, alle Kräfte dafür zu mobilisieren, dass wir den Winter und die Probleme der Energieverknappung so gut wie möglich überstehen.
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