Energiekrise „Deutscher Egoismus“: Scholz eckt in EU mit „Doppelwumms“ an

Was Scholz „Doppelwumms“ nennt, ist für Länder wie Polen, Luxemburg und Lettland Grund zur Sorge. Quelle: dpa

„Doppelwumms“ nennt der Kanzler seinen jüngsten Befreiungsschlag in der Energiekrise. Bei vielen EU-Partnern kommt sein 200-Milliarden-Paket gar nicht gut an. Sie werfen ihm etwas vor, wovor er in anderen Zusammenhängen warnt: einen Alleingang.

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Bundeskanzler Olaf Scholz ist mit seinem „Doppelwumms“ zur Abfederung der hohen Energiepreise beim EU-Gipfel in Prag auf massive Kritik gestoßen. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sprach am Freitag von „deutschem Egoismus“ und appellierte an die Solidarität Deutschlands mit den anderen EU-Staaten. Andere Regierungschefs sowie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen warnten wegen des deutschen 200-Milliarden-Pakets vor einer Verzerrung des gemeinsamen Markts. Scholz zeigt sich von alldem bisher unberührt: Andere Länder machten es auch nicht anders, sagt er.

Der Gipfel in der tschechischen Hauptstadt sollte vor allem Wege aus der von Russland verursachten Energiekrise aufzeigen. Die explodierten Energiekosten machen Verbrauchern und Wirtschaft gleichermaßen zu schaffen – und der Winter kommt erst noch. Eine europäische Lösung vor allem im Kampf gegen die hohen Gaspreise lässt bislang jedoch auf sich warten. Auch weil Deutschland sich gegen einen von vielen Staaten geforderten EU-weiten Gaspreisdeckel sträubt.

Stattdessen will die Bundesregierung ein nationales Programm auflegen und dafür bis 2024 bis zu 200 Milliarden Euro zur Verfügung stellen – eine Summe, die andere, weniger wirtschaftsstarke Länder schwindeln lässt. Damit sollen die hohen Strom- und Gaspreise abgefedert werden.

Polen warnt vor „Diktat Deutschlands“

Was Scholz „Doppelwumms“ nennt, ist für Länder wie Polen, Luxemburg und Lettland Grund zur Sorge. Am deutlichsten äußerte sich Morawiecki: Der „deutsche Egoismus“ müsse endlich in die Schublade, sagte er. Man sei entschieden gegen die Zerstörung des europäischen Binnenmarkts. „Diese Zerstörung findet statt, wenn die deutsche Regierung selbst nur noch ihre eigenen Unternehmen subventionieren kann.“ Polnische, französische, niederländische oder spanische Unternehmen wären dann in einer sehr viel schwierigeren Lage. Schon am Vortag hatte Morawiecki vor einem „Diktat Deutschlands“ in der europäischen Energiepolitik gewarnt.

Von der Leyen pocht auf Wettbewerbsgleichheit

Das Schlüsselwort im Brüsseler Jargon ist „Level Playing Field“ - Wettbewerbsgleichheit. Kommissionspräsidentin von der Leyen verwies in Prag darauf und warnte, der gemeinsame Markt könnte unter nationalen Alleingängen leiden. Es sei wichtig, dass alle Unternehmen die gleichen Chancen hätten, am Binnenmarkt teilzunehmen. Wettbewerb dürfe es nicht über Subventionen, sondern nur über Qualität geben. Lettlands Krisjanis Karins sagte, es könne nicht sein, dass die Regierung eines Landes „mehr Kredite aufnehmen kann und die Preise drückt oder höhere Subventionen gewährt, wodurch die Unternehmen wettbewerbsfähiger werden“.

Erinnerungen an andere Krisen werden wach

Vor allem der Vorwurf des nationalen Alleingangs dürfte Scholz schmerzen. Seit Monaten betont er immer wieder, dass es solche Alleingänge in der Ukraine-Krise keinesfalls geben dürfe – bei den Waffenlieferungen. Jetzt beklagen sich EU-Partner über einen solchen deutschen Alleingang bei der Bekämpfung der Energieknappheit.

Erinnerungen an andere Krisen werden wach, in denen Deutschland Egoismus und Rücksichtslosigkeit vorgeworfen worden war, wie zum Beispiel in der Euro-Krise oder auch in der Anfangsphase der Corona-Pandemie. Morawiecki wandte sich mit einer Botschaft an Deutschland: „Seid gemeinschaftlich, solidarisch mit allen anderen.“ In schwierigen Zeiten müssten sich alle auf einen gemeinsamen Nenner einigen und nicht auf den Nenner, der nur für ein Land passend sei.

Scholz lässt die Vorwürfe an sich abprallen. „Viele andere machen etwas Ähnliches jetzt und in den nächsten Jahren“, sagte er bei seiner Ankunft in Prag. Er meint damit Länder wie Frankreich, die Niederlande oder auch Spanien.

Brüsseler Denkfabrik sieht „ganz andere Größenordnung“

Rechnungen der Brüsseler Denkfabrik Bruegel zeigen allerdings, dass auch diese Länder nicht an die Dimension der deutschen Anstrengungen heranreichen. Die Niederlande hätten beispielsweise Entlastungen im Wert von etwa 50 Milliarden Euro angekündigt - alle Vorhaben seit September letzten Jahres eingeschlossen. Das sind Bruegel zufolge etwa 5 Prozent des niederländischen Bruttoinlandsprodukts. Die 200 Milliarden des „Doppelwumms“ würden auch etwa 5 Prozent des deutschen BIPs entsprechen.

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Wenn man die seit September 2021 vorgesehenen Entlastungen mitrechne, komme man allerdings auf insgesamt rund 300 Milliarden Euro – etwa 8 Prozent des deutschen BIPs. Ein anderes Beispiel: Spanien habe seit September letzten Jahres etwa 35 Milliarden Euro für Entlastungsprogramme ausgegeben, das seien 2,9 Prozent der Wirtschaftsleistung. „Mit dem deutschen Paket betreten wir wirklich eine ganz andere Größenordnung“, sagte der Bruegel-Ökonom Simone Tagliapietra der Deutschen Presse-Agentur.

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