Energiepolitik Das grüne Anti-Atom-Dogma wackelt

Eigentlich hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken immer ausgeschlossen. Angesichts der Energiekrise prüft sein Ministerium nun, ob es möglich ist. Quelle: Imago

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck lässt eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken prüfen und offenbart damit, dass die deutsche Energiewende auf tönernen Füßen steht. Ein Kommentar.

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Der Krieg verändert Gewissheiten und lässt alte Dogmen wackeln – vor allen Dingen bei den Grünen. Eigentlich haben sie als Friedenspartei Waffenlieferungen in Krisengebiete immer ausgeschlossen. Aber jetzt passiert genau das – die Ukraine wird auch mithilfe Deutschlands und seiner grünen Außenministerin Annalena Baerbock mit militärischem Gerät unterstützt. Und eigentlich hat auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken immer ausgeschlossen. Doch die drohenden Versorgungsengpässe bei den russischen Gaslieferungen machen den Minister nervös. Deshalb hat er sein Ministerium jetzt mit einer entsprechenden Prüfung beauftragt. Es gebe „keine Denktabus“, sagt Habeck.

Das klingt vernünftig und genau darum geht es – um das Aufweichen von Tabus und um eine ideologiefreie Annäherung an die Wirklichkeit. Bevor die Deutschen frieren oder die Strompreise aufgrund eklatanten Mangels kriegsbedingt durch die Decke gehen (und damit die Akzeptanz der Energiewende insgesamt gefährden), nimmt Habeck lieber einmal einen sauren Apfel in die Hand. Ob er tatsächlich hineinbeißen wird, sprich die Laufzeiten für die drei noch in Betrieb befindlichen deutschen Kernkraftwerke verlängert, steht allerdings in den Sternen. Viel spricht dafür, dass die Prüfung in seinem Ministerium so ausfallen wird, wie der Chef es erwartet: Dass man nämlich die Ende des Jahres zur Abschaltung vorgesehenen drei Meiler nicht mehr benötigt, um mögliche Engpässe zu verhindern.

Der Vorgang wirft jedoch ein Schlaglicht auf die Irrungen und Wirrungen der deutschen Energiepolitik. Die rot-grüne Koalition von Gerhard Schröder beschloss erst den Atomausstieg, dann setzte Angela Merkel den Ausstieg vom Ausstieg durch, um sich dann unter dem Eindruck von Fukushima wieder um ihre eigene Achse zu drehen und das Ende der Kernkraft in Deutschland erneut in Kraft zu setzen – nur wesentlich radikaler als es Rot-Grün einst geplant hatte. In der Folge wurde anstelle von Brennstäben weiter Kohle verfeuert und russisches Gas bestellt.

Deutschland verfehlte unter Merkel ein ums andere Mal die Klimaziele und versucht jetzt – wider besserer Einsicht – den für 2038 vereinbaren Kohleausstieg auf 2030 vorzuziehen. War das schon vor dem Krieg und dem mögliche Ausfall der russischen Gaslieferungen ein äußerst gewagtes Unterfangen, so stellt die späte Einsicht in die deutsche Abhängigkeit das Projekt jetzt ganz in Frage. Ohne Gas keine Energiewende, ohne ausreichenden und preiswerten Strom kein Wirtschaftswachstum – und ohne Kernkraft kein Ausweg?

Deutschland hätte besser mit dem Kohleausstieg beginnen und die eigenen sicheren Kernkraftwerke so lange laufen lassen sollen, bis die erneuerbaren Energien unseren Strombedarf völlig decken und die Energiewende gelungen ist. Dem Klima wäre damit mehr gedient gewesen – und auch der Wirtschaft und den Bürgern, die hierzulande jetzt über die höchsten Strompreise in Europa klagen und sicher mit weiteren Aufschlägen rechnen müssen.

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