Energiepolitik Mehrheit der Deutschen für vollständigen Importstopp von russischem Gas

Ein Arbeiter überprüft die Jamal-Gaspipeline, die unter anderem durch Belarus führt. Quelle: REUTERS

Neue Umfragen zeigen: Konsequente Schritte in Richtung Energieunabhängigkeit fänden breite Zustimmung in Deutschland. Das gilt auch mit Blick auf russisches Gas.

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Wie berechenbar die Unberechenbarkeit des Krieges manchmal doch sein kann. Die wirtschaftlichen Folgen der russischen Invasion entfalten sich mit geradezu mathematisch-präziser Vorhersagbarkeit. Die Preise an den Rohstoffmärkten beispielsweise: Sie explodieren ziemlich genau in dem Maße, wie es zu erwarten und zu befürchten war. Der Ölpreis nähert sich seinem Allzeithoch von 2008, und der Gaspreis erklimmt eine Rekordmarke nach der nächsten. Die Megawattstunde für 345 Euro, das gab es noch nie. Die Inflation wird im Westen zur Schwester des Krieges – womöglich auch zur Vorbotin einer globalen Wirtschaftskrise.

Dass Sanktionen, die Wladimir Putins Regime wehtun sollen, auch diejenigen würden treffen müssen, die sie verhängen – das war einer der meistgebrauchten Warnungen vor Ausbruch des Krieges. Nun aber tritt sie nicht nur vollumfänglich ein, sie schwebt auch als Drohung über allem, was die westlichen Alliierten an weiteren möglichen Eskalationsschritten beraten. Denn: „Die totale wirtschaftliche Blockade, ein komplettes Kappen aller Handels- und Finanzströme mit Russland“, die der Ökonom und Konfliktforscher Tilman Brück als „Extremszenario“ nennt, ist bisher nicht vollzogen, die „schärfste nicht-militärische Waffe des Westens“ nicht im Einsatz.

Noch nicht jedenfalls. Noch fließen Öl und Gas gen Westen, etwa über die Pipeline Nord Stream 1, und das Geld gen Osten. Die Sanktionierung des Zahlungsverkehrssystems Swift hat bekanntlich Lücken; Lücken, die der Westen mit voller Absicht ließ – nicht nur aus Taktik, um noch Manövriermasse in der Hinterhand zu haben, sondern auch aus Furcht vor dem, was ihr Schließen ökonomisch, sozial und gesellschaftlich bedeuten könnte. Wohlgemerkt: zuhause.

Der kommende Winter bereite ihm noch „Sorgen“, sagt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in diesen Tagen mit bemerkenswerter Offenheit. Ein Importstopp aller russischen Rohstoffe, insbesondere von Gas, könnte den sozialen Frieden in Deutschland gefährden. Ein solcher Schritt sei aber hypothetisch, beschwor der Grüne am Wochenende. 

Schonungs- und trostlos formulierte es heute der Bundeskanzler. Bewusst habe Europa Energielieferungen aus Russland von Sanktionen ausgenommen. „Die Versorgung Europas mit Energie für die Wärmeerzeugung, für die Mobilität, die Stromversorgung und für die Industrie kann im Moment nicht anders gesichert werden“, sagte Olaf Scholz.

Mal beiseitegelassen, wie das in den Ohren derer klingen muss, deren Land und Leben gerade hinweggebombt wird, wäre der radikale Schnitt für mehr Unabhängigkeit zumindest innenpolitisch weniger riskant als befürchtet: Eine deutliche Mehrheit der Deutschen wäre jedenfalls offenbar bereit, diesen Weg zu gehen, fände einen vollständigen Importstopp von russischem Gas richtig. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für die WirtschaftsWoche hervor. Insgesamt 60 Prozent der Befragten würden einen solch weitreichenden Schritt befürworten:



Im Westen Deutschlands fällt die Zustimmung zu dieser möglichen Maßnahme im Übrigen noch einmal höher aus (64 Prozent), im Osten hingegen ist sie deutlich geringer (45 Prozent).

„Wir müssen alles, was in unserer Macht steht, tun, um die Ukrainer in ihrem Kampf gegen Putin und für die Freiheit zu unterstützen“, sagt auch der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen im Tagesspiegel. Er appelliert an die Bundesregierung, die Gas- und Ölimporte aus Russland „jetzt“ zu stoppen.

Zumal weitere Maßnahmen, die die Bundesregierung nun anschiebt, um die Abhängigkeit von Russland mittelfristig zu verringern, sogar noch populärer sind. Die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger für den Bau von zwei Flüssigerdgasterminals in Norddeutschland ist überaus hoch:



In jahrealte Pläne kommt nun ungeahnte Bewegung. Bereits am vergangenen Freitag unterschrieb die Kreditanstalt für Wiederaufbau im Auftrag der Bundesregierung mit der niederländischen Gasunie und dem Energiekonzern RWE eine Absichtserklärung für einen LNG-Terminal in Brunsbüttel. Jeder Tag zählt. Aber er zählt eben für alle Seiten.


Mehr zum Thema: Deutschland will sich mithilfe von Flüssiggas und Wasserstoff aus der Abhängigkeit von Putins Energielieferungen lösen. Doch die globale Konkurrenz ist groß.

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