Energiepolitik Längere Laufzeiten allein reichen nicht

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Strompreise in Europa

Verzahnen müsste die Bundesregierung ihre Leitlinie auch mit der europäischen Energiepolitik. Denn über den Umweg Binnenmarkt spielt die EU-Kommission mit. Sie stört, dass auch nach drei Regulierungspaketen der kontinentale Markt zersplittert ist. Energiekommissar Günther Oettinger wird im November seine Pläne vorlegen, wie die Infrastruktur den einheitlichen Markt voranbringen könnte. „Wir müssten jetzt den Netzausbau für die Zukunft planen, und zwar europaweit, und dann die Erzeugung an die optimalen Standorte setzen“, fordert EWI-Direktor Bettzüge. „In der Vergangenheit haben wir es eher umgekehrt gemacht – und das meist nicht zu unserem Vorteil.“ Georg Zachmann vom Brüsseler Thinktank Bruegel ergänzt: „Nur wenn das Stromnetz auf EU-Ebene geplant wird, kann die erforderliche Infrastruktur entstehen.“

Danach sieht es nicht aus. Und das, obwohl die echten Herausforderungen erst noch kommen: die Anbindung der gigantischen Windparks in der Nordsee, der Solarfarmen in Spanien und – in ferner Zukunft – auch in der Sahara, wie das deutsche Projekt Desertec verspricht.

Das Problem beim Energiekonzept: Wissenschaftler und Regierung müssen mit einer Fülle von Annahmen über die nächsten 40 Jahre die Entwicklung von Technologien, Kosten und Preisen beschreiben, um daraus die Szenarien abzuleiten. Das Ziel: der Politik aufzeigen, welche Folgen ihre jeweiligen Entscheidungen haben könnten. Wie das im Einzelnen aussehen soll, ist hoch umstritten. Bislang haben sich die beiden Ministerien gerade mal auf eine Gliederung verständigt, also festgelegt, welche Themen überhaupt behandelt werden. Aber ansonsten bastelt jeder für sich, erstellt die Kapitel allein, wartet auf die Zusammenführung, wenn die Berechnungen der Gutachter vorliegen. Dann kommt das große Duell.

Den eigenen Umweltminister düpiert

Ursprünglich sollten die Resultate schon Mitte Juli kommen, damit der Streit um die Meiler nicht den Wahlkampf in Baden-Württemberg im Frühjahr 2011 belastet. Doch die externen Experten streikten. So schnell könnten sie nicht alle vier gewünschten Varianten kalkulieren. Sie schafften allenfalls zwei sowie das sogenannte Referenzszenario, das auf einem Festhalten am Ausstiegsbeschluss basiert.

Schon brach wieder Streit aus. Das Umweltministerium wollte gern die Laufzeitverlängerungen um 4 und 12 Jahre rechnen lassen, das Wirtschaftsministerium plädierte für 12 und 20 Jahre. Am Ende sprach Kanzlerin Angela Merkel ein Machtwort: Alle vier Varianten sollen auf den Tisch, einschließlich der Langzeitlösung 28 Jahre. Denn die hatte die Unions-Fraktion durchgesetzt und damit absichtlich den eigenen Umweltminister düpiert. Derzeit mag Merkel die Abgeordneten nicht zusätzlich reizen. Bis zum 27. August sollen die Experten nun die Ergebnisse präsentieren. Mitte September könnte das Kabinett über das Konzept und damit auch über längere Laufzeiten beschließen.

Streit um Atomlaufzeiten

Derweil streiten Parteien, Bund und Länder, ob die Produktionsverlängerung der Zustimmung des Bundesrats bedürfe. Direkt nach der Bundestagswahl gab es da noch kein Problem: Mit einer schwarz-gelben Doppelmehrheit in Bundestag und Länderkammer schien jede Jahreszahl möglich. Doch Merkel wollte den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen nicht mit einer Anti-Atom-Debatte gefährden. Seit der Wahlschlappe von CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers ist eine Ländermehrheit nicht mehr zu erwarten.

Also sollte es fortan ohne den Bundesrat gehen. Umweltminister Röttgen zog sich den Zorn der Koalition zu, als er lediglich eine „moderate“ Ausweitung für zustimmungsfrei erklärte – wie viel moderat auch sein mag. Der Rheinländer stützte sich auf eine Expertise von Innen- und Justizressort, die ein „nicht unerhebliches Verfassungsrisiko“ vortrugen. Auf Nummer sicher will deshalb der CSU-Landesgruppenvorsitzende Hans-Peter Friedrich gehen. Wenn sich die Haltung durchsetze, der Bundesrat müsse jetzt zustimmen, könnte eine Normenkontrollklage klären, ob nicht auch das Ausstiegsgesetz der früheren rot-grünen Bundesregierung das Ja der Länderkammer gebraucht hätte.

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