Trotz stark reduzierter Liefermengen aus Russland kommt die Gasspeicherung in Deutschland voran. Aktuell seien die Speicherkapazitäten zu 69 Prozent gefüllt, sagte der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, am Dienstag nach einer Schaltkonferenz mit der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern. Aktuell kämen täglich rund 0,4 Prozentpunkte hinzu.
Eine neue Verordnung sieht vor, dass die deutschen Speicher am 1. September zu mindestens 75 Prozent gefüllt sein müssen. Um das Ziel zu erreichen, müssen damit rein rechnerisch bis zum 31. August täglich gut 0,2 Prozentpunkte hinzukommen. Drei Viertel aller Gasspeicher in Deutschland sind nach Müllers Worten bereits zu mehr als 80 Prozent befüllt, teilweise auch schon zu über 85 Prozent. Sorgenkinder seien „eine Handvoll Speicher“, die sich zuvor in russischer Hand befunden hätten, wie Rehden in Niedersachsen und Wolfersberg in Bayern. Dort seien die Füllstände deutlich niedriger.
Die Großhandelspreise gingen am Freitag leicht zurück. Sie lägen in Folge der erneuten Lieferreduzierung aber weiter auf sehr hohem Niveau, berichtete die Behörde weiter. Unternehmen und private Verbraucher müssten sich auf deutlich steigende Gaspreise einstellen. Bei einigen sorgt das inzwischen für Empörung. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wurde bei einem Bürgerdialog in Bayreuth am Donnerstagabend mit lautstarken Protesten empfangen und verteidigte den Kurs der Bundesregierung. Deutschland dürfe trotz der finanziellen Nachteile durch stark gestiegene Energiepreise den russischen Krieg gegen die Ukraine nicht tolerieren, sagte er. Die Protestierenden waren bei der Veranstaltung insgesamt in der Minderheit.
Deutschland müsse so schnell wie möglich unabhängig von russischen Energien werden, betonte Habeck. Dafür will der Grünen-Politiker unter anderem den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen. „Wir müssen so schnell wie möglich unser Energiesystem umstellen, weg von fossilen Energieträgern, hin zu erneuerbaren Energien“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Ab Samstag sollen etwa die Vergütungssätze für alle neuen Photovoltaikanlagen steigen.
Habeck erwartet einen „entscheidenden Schub“ für die Solarenergie. Bis zu 13,4 Cent pro Kilowattstunde sollen diejenigen erhalten, die ab Samstag eine neue Photovoltaikanlage in Betrieb nehmen. Zugleich gilt der Grundsatz, dass erneuerbare Energien im sogenannten „überragenden öffentlichen Interesse“ liegen und bei Abwägungen Vorfahrt haben. „Das ist entscheidend, um das Tempo zu erhöhen“, sagte Habeck. Erneuerbare Energien seien angesichts der aktuellen Lage zu einer Frage der „nationalen und europäischen Sicherheit geworden“.
Alternative zu russischem Gas: Wie es um die deutschen LNG-Terminals steht
Mecklenburg-Vorpommerns Landesregierung wirbt beim Bund schon seit längerem um eine Ansiedlung von LNG-Terminals am Rostocker Seehafen und in Lubmin. Theoretisch könnten Land und Bund sich auch in Polen um eine Mitnutzung der an der Grenze gelegenen Anlage in Swinemünde bemühen, dazu ist bisher jedoch nichts bekannt.
Im vorpommerschen Lubmin will das private Unternehmen Deutsche Regas mit einem schwimmenden Terminal in großem Stil LNG importieren. Ab Dezember plane man, bis zu 4,5 Milliarden Kubikmeter jährlich in das deutsche Fernleitungsnetz einzuspeisen, kündigte der Mittelständler an. Aufgrund der relativ geringen Wassertiefe des Greifswalder Boddens können große Tanker den Hafen Lubmin jedoch nicht anlaufen, das Flüssiggas soll daher mit kleineren Schiffen zum schwimmenden Terminal im Hafen gebracht werden. In Lubmin kommen auch die deutsch-russischen Gasleitungen Nord Stream 1 und 2 an.
Derzeit wird am früheren Kohlekraftwerk Moorburg und im Kattwyk-Hafen ein temporäres LNG-Terminal geprüft. Nach Einschätzung der Umweltbehörde ist der Standort grundsätzlich gut geeignet, weil nur etwa 300 Meter Leitungen gebaut werden müssten. Allerdings sind noch Fragen zur Sicherheit und Beeinträchtigung des Schiffsverkehrs im Hafen zu klären. Erste Untersuchungsergebnisse sollen Ende Juli vorliegen, die Detailplanung im Oktober. Läuft alles wie erhofft, könnten vom ersten Quartal 2023 an für maximal zwei bis drei Jahre jeweils acht Milliarden Kubikmeter Gas angelandet werden.
An der Elbmündung soll ebenfalls noch in diesem Jahr ein Schwimm-Terminal seine Arbeit aufnehmen. Laut den Netzbetreibern Schleswig-Holstein Netz und Gasunie Deutschland wird dazu im vierten Quartal eine drei Kilometer lange Leitung vom Hafen Brunsbüttel zur Transportleitung von Schleswig-Holstein Netz gebaut und das Terminal damit ans europäische Gasverbundnetz angeschlossen. So könnten bis zu vier Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr eingespeist werden.
Aus dem Bundeswirtschaftsministerium hieß es jüngst, ein Start in Brunsbüttel sei Anfang 2023 vorstellbar. Weitere Vereinbarungen zu anderen Standorten neben Wilhelmshaven I gebe es noch nicht, wohl aber Charterzusagen für bisher insgesamt vier LNG-Schwimm-Terminals.
Parallel dazu plant die German LNG Terminal GmbH in Brunsbüttel eine feste Anlage. Diese soll voraussichtlich 2026 in Betrieb gehen und über zwei LNG-Tanks für jeweils 165.000 Kubikmeter sowie eine Regasifizierungsanlage verfügen. Bis zu acht Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr könnten verarbeitet werden, perspektivisch bis zu zehn Milliarden Kubikmeter. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) mit Gasunie und dem RWE-Konzern.
Schon lange bevor Russlands Angriff auf die Ukraine das Thema LNG auf die politische Agenda hob, hat im ebenfalls niedersächsischen Stade ein privates Konsortium begonnen, ein Terminal in Nachbarschaft zum Chemiepark mit dem US-Unternehmen Dow vorzubereiten. Geplant ist eine Kapazität von 13,3 Milliarden Kubikmetern pro Jahr. „Ab 2026 können wir bis zu 15 Prozent des deutschen Gasbedarfs durch LNG sowie kohlenstoffarme Energieträger wie Bio-LNG und synthetisches Erdgas absichern“, so der Geschäftsführer des Hanseatic Energy Hub, Johann Killinger, im April.
Vorstellbar ist zusätzlich auch hier ein Schwimm-Terminal. Die Landesregierung unterstützt die Pläne, zumal Stade gut angebunden und der Stromverbrauch durch den Chemiepark groß ist. Lies will eine rasche Umsetzung: „In Stade ist eigentlich alles klar, wir könnten morgen Material bestellen.“ Prinzipiell soll der Betriebsbeginn einer ersten Anlage im Wasser schon im dritten Quartal 2023 denkbar sein.
Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) schätzte jüngst sogar, dass es gelingen könnte, russisches Gas bis zum dritten Quartal 2023 ganz über in Niedersachsen ankommendes LNG zu ersetzen.
Die erste LNG-Anlage soll in der Stadt am Jadebusen in Niedersachsen entstehen. Am 1. Juli erhielt der Energiekonzern Uniper - selbst stark unter Druck wegen der sinkenden russischen Lieferungen - die Genehmigung. Übergangsweise soll zunächst ein Schwimm-Terminal angebunden werden, bevor später ein fester Umschlagplatz dazukommt.
Die Bauarbeiten liefen kürzlich voll an. Wenn alles nach Plan geht, kalkuliert das Land Niedersachsen mit einem möglichen Betriebsstart ab dem 21. Dezember. Die sonst mitunter langwierigen und komplexen Verfahren mit den Behörden sollen deutlich beschleunigt worden sein, laut Uniper verging vom Einreichen der maßgeblichen Antragspapiere bis zur vorzeitigen Zulassung gut ein Monat. Das Unternehmen peilt allgemein an, das LNG-Terminal im Winter betreiben zu können.
Über die Wilhelmshavener Anlage zum Aufnehmen, Zwischenspeichern und Zurückwandeln des stark heruntergekühlten Erdgases sollen bis zu 7,5 Milliarden Kubikmeter pro Jahr umgeschlagen werden - 8,5 Prozent des aktuellen deutschen Gasbedarfs. Niedersachsens Energieminister Olaf Lies (SPD) erhofft sich hier noch ein zweites Terminal, das nach seiner Einschätzung vielleicht schon 2023 LNG aufnehmen könnte.
Wichtig ist neben dem Bau der Anlandestellen und der Verankerung spezieller Tankschiffe die Einbindung ins überregionale Verteilnetz. Das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie erteilte Ende Juni seine Genehmigung für eine 26-Kilometer-Pipeline des Netzbetreibers Open Grid Europe von Wilhelmshaven zum Anschlusspunkt Etzel.
Eine Inbetriebnahme der Pipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland lehnte Habeck am Freitag erneut ab. Deutschland müsse weniger abhängig werden und Russland habe sich bei der Energieversorgung als unzuverlässig erwiesen. Habeck verwies außerdem auf die internationale Allianz in der Ukraine-Politik. Vor allem die USA sind entschieden gegen die Pipeline.
Stattdessen soll Niedersachsen nun die Möglichkeit eines zweiten Terminals für Flüssigerdgas (LNG) in Wilhelmshaven prüfen. Darüber gab es laut Landesumweltministerium Gespräche mit dem Bundeswirtschaftsministerium. Ein konkreter Standort und ein möglicher Startzeitpunkt könnten aber noch nicht genannt werden. In einem bis eineinhalb Jahren könne womöglich ein neuer Anleger gebaut werden.
Die Bauarbeiten für das erste LNG-Terminal in Wilhelmshaven sind angelaufen. Wenn alles nach Plan geht, kalkuliert das Bundesland mit einem Betriebsstart Ende Dezember. Als weitere LNG-Standorte stehen neben Stade in Niedersachsen bereits Brunsbüttel in Schleswig-Holstein sowie Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern fest.
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