Energiewende „Berlin rechnet sich Prognosen schön“

Oliver Hummel Quelle: PR

Oliver Hummel, Vorstand des Ökostromanbieters Naturstrom, hält Wasserstoff für überschätzt und fordert für Krisen wie Corona einen Mindestpreis für Windstrom.

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WirtschaftsWoche: Herr Hummel, die Bundesregierung will mit der Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) vor allem Windkraft und Solarenergie ausbauen. Bisher waren die Signale aus Berlin widersprüchlich. Wirtschaftsminister Peter Altmaier etwa will Eintrittsgelder für Offshore-Windparks.
Oliver Hummel: In der Tat ist das politische Umfeld uneinheitlich. Es gibt immer noch Kräfte, die die Strukturen, die für fossile Brennstoffe geschaffen wurden, erhalten wollen. Allerdings ist in Teilen des EEG-Entwurfs erkennbar, dass die Bundesregierung die Bedingungen für erneuerbare Energien verbessern will.

Können Sie uns das näher erklären?
Dazu gehört beispielsweise eine Anschlusslösung für ältere Fotovoltaikanlagen, die 2021 aus der EEG-Förderung fallen. Sie können bis 2027 ihren Solarstrom zum Marktpreis einspeisen. Nach bisheriger Gesetzeslage hätten sie überhaupt keinen Strom mehr einspeisen können.

Was fehlt?
Bei älteren Windkraftanlagen beispielsweise eine Anschlussregelung für die auslaufende EEG-Förderung.

In diese Anlagen ist bereits viel Fördergeld geflossen. Das hat den Strompreis nach oben getrieben.
Wir wollen keine neue Förderung. Schließlich können wir aktuell nur Windstrom an unsere Kunden liefern, dessen Erzeugung nicht über das EEG gefördert wird. Stattdessen wäre ein Modell mit einem Mindestpreis von etwa drei Cent je Kilowattstunde sinnvoll. Dieser sehr niedrige Mindestpreis würde wie eine Versicherung immer dann greifen, wenn wie in der Coronakrise der Strompreis im Großhandel radikal einbricht. Ohne eine solche Absicherung würden sonst viele Windräder stillstehen, die unter Normalbedingungen Strom zu wettbewerbsfähigen Preisen produzieren können.

Ökostromanbieter fordern mehr Unterstützung für erneuerbare Energien. Gleichzeitig wollen sie eine Entschädigung für Energieversorger, die Kohlekraftwerke stilllegen müssen, verhindern. Ist das nicht Klientelpolitik?
Die Kohlekraftwerke werden wegen des steigenden CO2-Preises ohnehin unwirtschaftlich und die Anlagen sind bereits abgeschrieben. Warum sollte der Staat dafür noch Milliarden bezahlen? Bis die Kohlekraftwerke endgültig vom Netz gehen, werden die Entschädigungen den Wettbewerb auf dem Strommarkt verzerren.

Die Bundesregierung will bis 2050 den deutschen Energiemix zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien umstellen. Ist das realistisch?
Mit dem bisherigen Tempo wird das schwer. Denn Strom macht nur einen Teil des Energieverbrauchs aus. Gerade mal 17 Prozent des gesamten Energieverbrauchs durch Strom, Wärme und Mobilität decken derzeit erneuerbare Quellen ab. Das Wirtschaftsministerium hat seine Prognosen schön gerechnet, insbesondere der für die Zukunft angenommene Stromverbrauch ist viel zu niedrig angesetzt. Egal ob Elektromobilität oder die Versorgung mit erneuerbarer Wärme, ohne Kohle und Gas wird deutlich mehr Ökostrom benötigt, als Berlin kalkuliert.


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Wenn künftig mehr Strom aus erneuerbaren Energien ins Netz geht, könnte es instabil werden. Es gab bereits einige Beinahe-Blackouts.
Dieses Argument wird seit 20 Jahren immer wieder von Energiekonzernen ins Feld geführt, die noch Kohle- und Gaskraftwerke betreiben. Es ist aber nicht stimmig. Das Netz war in den vergangenen Jahren mit stark gestiegenem Anteil erneuerbarer Energien stabiler als zuvor. Die Netz- und Steuerungstechnik hat sich durch die Digitalisierung verbessert. Nachfrage und Angebot von Strom lassen sich schneller und passgenauer aufeinander abstimmen. Zudem lassen sich Solarparks und Windkraftanlagen zu virtuellen Kraftwerken kombinieren. Und auch bei Batteriespeichern für Ökostrom gibt es erhebliche Fortschritte.

Wind- und Solarstrom fällt nicht kontinuierlich an. Es fehlen praktikable Speicher. Wäre Wasserstoff eine Lösung?
Langfristig schon. Derzeit ist die Wasserstoffproduktion noch unwirtschaftlich und es ist nicht gesichert, dass der Wasserstoff zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien produziert wird. Wasserstoff mit Kohle- oder Gasstrom zu erzeugen, wäre ökologisch unsinnig. Zudem ist Wasserstoff als Energieträger nur in bestimmten Bereichen wirtschaftlich sinnvoll, etwa bei der Stahlproduktion oder in der Binnenschifffahrt. Beim Auto dagegen nicht.

Warum wird Wasserstoff als Energieträger von der Bundesregierung dann so euphorisch unterstützt?
Genau das macht uns misstrauisch. Dahinter könnte auch der Plan stecken, die bisherigen Energieimporte, beispielsweise von Öl und Gas, durch Wasserstoff zu ersetzen, der im Ausland erzeugt wird und schlimmstenfalls nicht mit erneuerbaren Energien erzeugt wird.

Mehr zum Thema: Wie ein schwäbischer Tüftler mit Wasserstoff und Sonne fossile Energie überflüssig macht.

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