Deutschland drückt aufs Tempo beim Ausstieg aus der Braunkohle. Zwar streiten Union, FDP und Grüne bei ihren Sondierungsgesprächen derzeit über den genauen Fahrplan. Doch dass das Ende der Braunkohleenergie in Deutschland eingeläutet ist, daran zweifelt keiner. Die Frage ist nur, wie schnell der Ausstieg erfolgen wird. Die Grünen wollen bis spätestens 2030 das letzte Kraftwerk abgeschaltet haben. Vertreter der Braunkohlebranche wollen den Ausstieg bis weit nach 2050 verzögern.
Doch was kaum ein interessierter Beobachter weiß: Deutschland versteht sich zwar als Vorbild in Sachen Klimaschutz und die deutsche Energiewende ist weltweit ein Begriff. Doch global betrachtet folgen dem hiesigen Beispiel nur wenige. International könnte die Stromproduktion aus der Verheizung von Braunkohle sogar bald kräftig ansteigen.
Das geht aus einem Projekt der deutschen Nichtregierungsorganisation Urgewald hervor, das auf der Klimakonferenz in Bonn vorgestellt wird: Ihre Datenbank „Global Coal Exit List“ umfasst alle weltweit tätigen Kohleunternehmen und zeigt deren Ausbaupläne und Lieferketten. Zwei Jahre haben die Urgewald-Mitarbeiter Daten aus Geschäftsberichten und von lokalen NGOs dafür ausgewertet. Die Verknüpfung der Daten fördert überraschende Ergebnisse zur Kohlebranche zutage.
Darum geht es beim Weltklimagipfel in Bonn
Neben Klimapolitikern, Wissenschaftlern und Aktivisten kommen auch Staats- und Regierungschefs - und einige Promis. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sich angekündigt, Kanzlerin Angela Merkel ebenfalls. Schauspieler Leonardo DiCaprio, der sich schon lange für Klimaschutz stark macht, soll ebenso vorbei schauen wie der US-Politiker und Friedensnobelpreisträger Al Gore. Der Gouverneur von Kalifornien, Jerry Brown, wird auch erwartet. Klimaschützer sehen ihn als wichtigen Gegenspieler von US-Präsident Donald Trump im Kampf gegen die Erderwärmung. Auch Browns Vorgänger wird dabei sein, der in Deutschland noch viel bekannter ist: Arnold Schwarzenegger.
Normalerweise treffen die Klimadiplomaten sich in dem Land, das auch den Vorsitz hat. Einem Rotationsprinzip zufolge war diesmal ein Land aus Asien dran. Fidschi übernimmt die Präsidentschaft - erstmals eine Inselgruppe im Pazifik, die vom Klimawandel bedroht ist, das gilt als wichtiges Signal. Allerdings wäre es schwierig für Fidschi geworden, die Konferenz auch auszurichten. Daher springt Deutschland als „technischer Gastgeber“ ein. Das Sekretariat der Klimarahmenkonvention sitzt nämlich in Bonn. 2001 wurde schon mal in Bonn getagt. Und die erste Weltklimakonferenz 1995 fand in Berlin statt. Gastgeberin war die Bundesumweltministerin - die hieß damals Angela Merkel.
Die Einigung auf das Abkommen war 2015 in Paris ein riesiger Durchbruch, inzwischen haben 169 Parteien es ratifiziert. Deutschland ist dabei, die EU auch. Aber das Entscheidende ist die Umsetzung. Und wie die im Detail laufen soll, ist noch nicht klar. Grundsätzlich haben die Staaten eigene Ziele zur Treibhausgas-Minderung zugesagt. In einem Zyklus von fünf Jahren sollen deren Klimaschutzwirkungen überprüft und die Zusagen immer ehrgeiziger werden. Wichtig ist aber auch die Anpassung an den Klimawandel und der Umgang mit Schäden, die etwa steigende Meeresspiegel und Extremwetter anrichten.
Nein. Das Ziel das Pariser Abkommens ist, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst auf 1,5 Grad einzudämmen. Schon diese begrenzte Erwärmung wird Experten zufolge deutlich spürbar sein - Dürren und Starkregen häufen sich, die Meeresspiegel steigen, das „ewige“ Eis schmilzt ab. Aber: Selbst bei Einhaltung aller bisher von den Ländern vorgelegten Klimaschutzzusagen wird sich die Erdtemperatur laut UN-Umweltprogramm um mindestens drei Grad im Vergleich zur Zeit vor der Industrialisierung erhöhen. Da muss also noch viel passieren.
Die Politiker müssen sich auf ein Regelwerk einigen, das die nationalen Klimaziele vergleichbar und überprüfbar macht. Ein Erfolg wäre aus Sicht von Klimaschützern, wenn nach der Konferenz ein Entwurf vorliegt - auch wenn es von umstrittenen Passagen noch mehrere Versionen geben dürfte. Ein Problem wäre laut Experte Jan Kowalzig von Oxfam dagegen, wenn es gar nichts Schriftliches gibt, da der Zeitdruck dann zunähme. Denn 2018 beginnt der erste „Überprüfungsdialog“, um zu sehen, ob die Staaten auf dem richtigen Weg sind. Umstritten ist zum Beispiel, welche Unterschiede zwischen Industrie- und Entwicklungsländern gemacht werden.
Offiziell nicht - aber das Timing ist natürlich bemerkenswert. Zwischen Union, FDP und Grünen, die über eine Jamaika-Koalition reden, gehört der Klimaschutz zu den umstrittensten Themen. Steigt Deutschland aus der Kohle aus, wie und bis wann? Gehören Benzin- und Dieselmotoren bald der Geschichte an? Die Grünen hoffen auf Rückenwind aus Bonn für die Verhandlungen. Die scheidende Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) kann nochmal richtig Politik machen, fast schon von der Oppositionsbank aus - und Kanzlerin Merkel dürfte daran gelegen sein, auf dem Bonner Parkett gut dazustehen.
COP steht für Conference of the Parties und meint die Zusammenkunft der Staaten, die die UN-Rahmenkonvention zum Klimawandel (UNFCCC) unterzeichnet und ratifiziert haben.
So zeigen die Daten, wie die globale Kohleförderung zunimmt. So planen laut der Datenbank rund 400 Unternehmen weltweit den Ausbau ihrer Kohleaktivitäten: 282 Unternehmen planen demnach den Ausbau von Kohlekraftwerken. 225 Unternehmen wollen neue Minen zur Kohleförderung erschließen.
Die geplanten Ausbaumengen sind in der Datenbank auch nach Ländern gelistet. Neben China, Vietnam und Pakistan finden sich in der Datenbank auch überraschende Länder weit vorne gereiht. So sollen etwa in Ägypten, in dem bisher so gut wie keine Kohleförderung stattfindet, die Ausbaupläne bis zu 17.000 Megawatt umfassen. Das entspräche der Stromproduktion von 17 Atomkraftwerken. Auch in Marokko ist laut der Datenbank eine immense Kohleförderung geplant.
Neben den Zahlen enthüllt die Datenbank auch die sprachlichen Tricks der Kohlebranche. So zeigt sich, dass zahlreiche Kohleunternehmen rund um den Globus für ihre Namensgebung auf Euphemismen zurückgreifen. So finden sich in der Datenbank die Unternehmensnamen "Sunflower", "China Africa Sunlight Energy" oder "Silver Unicorn Trading".
Für die deutsche Braunkohleindustrie gilt dies indes nicht. Zwar gehört Deutschland zu den Ländern mit den weltweit größten Braunkohlereserven. Mehr als 36 Milliarden Tonnen liegen noch unter der Erde. Nur Russland und Australien könnten mehr Braunkohle in wirtschaftlich vertretbarem Maße fördern. Theoretisch würden die deutschen Reserven 200 Jahre lang reichen. Doch umweltpolitisch hat Braunkohle ausgesorgt. Kaum ein Brennstoff stößt mehr Kohlendioxid aus. Nur Holz und Torf belasten die Umwelt bei jeder produzierten Kilowattstunde Strom noch stärker.
Die Branche versucht es mit Innovationen
Vor diesem Hintergrund machen vor allem die Grünen bei den Sondierungsgesprächen Druck auf die anderen Parteien. Sie wollen die 20 Kohlekraftwerke mit dem höchsten Kohlendioxidverbrauch am liebsten heute statt morgen abschalten. Vor allem Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hält dagegen. Ihm geht es um den Erhalt der vielen Tausend Arbeitsplätze.
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Im Wahlkampf hat die Ökopartei stark auf ihren Markenkern gesetzt. Nun muss sie liefern, sonst droht das Veto der Basis - oder die Quittung bei der nächsten Bundestagswahl. Das wissen die anderen Verhandlungspartner auch. Sie könnten es nutzen und den Preis etwa für einen Kohleausstieg möglichst hoch treiben, so dass die Grünen an anderer Stelle Zugeständnisse machen müssen. Klimaschutz werde „ganz besonders schwierig“, nahm Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt schon als ein Resultat aus der ersten großen Sondierungsrunde mit.
Damit sie mit ihren Forderungen nicht gegen eine Wand laufen, haben die Grünen sich eine Strategie ausgedacht: „Es kann keine Arbeitsteilung geben, die so aussieht: Die Grünen machen Vorschläge und die anderen arbeiten sich daran ab, aber machen keine eigenen Vorschläge“, hat Parteichef Cem Özdemir erklärt. Von allen müsse was kommen. Wer die besseren Ideen habe, darüber könne man dann streiten.
Angela Merkel hat - oder hatte - den Beinamen Klimakanzlerin. Sie hat das Pariser Klimaabkommen und einen Klimaschutzplan mit verabschiedet. Der sieht vor, dass Deutschland bis 2030 seinen Treibhausgas-Ausstoß um 55 Prozent mindert im Vergleich zu 1990. Dann ist da noch das 2020-Ziel - das fällt in diese Legislaturperiode. Bis dahin soll der Treibhausgas-Ausstoß um 40 Prozent runter. Das Ziel ist von 2007, damals regierte Merkel mit der SPD. Schwarz-Gelb bekräftigte es im Koalitionsvertrag 2009. Aber erst vor zwei Wochen belegte das Umweltministerium (mal wieder), dass das Nahziel nur mit umfassenden zusätzlichen Maßnahmen noch zu halten ist.
International ist Klimaschutz ein großes Thema. 2015 bejubelten Klimaschützer weltweit das Abkommen von Paris, 2017 gingen sie mit US-Präsident Donald Trump ins Gericht, weil er es aufkündigen will. Von 6. November an werden in Bonn bis zu 25 000 Teilnehmer der nächsten Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen erwartet. Die Präsidentschaft hat Fidschi, aber Deutschland ist Gastgeberland - und damit noch stärker als sonst im Fokus der internationalen Klima-Diplomatie.
Zwar ist die Zahl derjenigen, die in der Braunkohleindustrie arbeiten, stark zurückgegangen. Nach Angaben der Bundesverbands Braunkohle und einem neuen Gutachten im Auftrag der Grünen-Fraktion sind es aber noch rund 20 000. Vor allem das Rheinland und die Lausitz trifft es, wenn die Jobs wegfallen.
Beim Klimaschutz geht es nicht nur um Kohle - allerdings ist schon das extrem kompliziert. Ökostrom-Ausbau, Stromnetze, EEG-Umlage, Einspeisevorrang für Erneuerbare, europäischer Emissionshandel sind nur ein paar Stichworte. Dazu kommen Gebäudesanierung, Heizungen, Benzin- und Dieselmotoren und die Kraftstoffsteuern, Industriesubventionen und die Landwirtschaft. Aus alldem ein Gesamtpaket zu schnüren, ist eine echte Mammut-Aufgabe.
Die Braunkohleindustrie ist überzeugt, dass all der Wirbel um den Ausstieg gar nicht nötig sei. Schließlich gebe es mit dem europäischen Emissionshandel ein funktionierendes Instrument zur Reduzierung von Kohlendioxid. „Die Kohlekraftwerke unterfallen dem Treibhausgas- Emissionshandelssystem der EU, mit dem die CO2-Emissionen jährlich um circa zwei Prozentpunkte vermindert werden“, sagt Thorsten Diercks vom Deutschen Braunkohlen-Industrie-Verein. Das System funktioniere gut. „Für die betroffene Industrie werden mit dem System 2050 alle nationalen und europäischen Klimaziele erreicht. Diesem Pfad werden wir folgen.“
Angesichts des politischen Drucks versucht es die Branche außerdem mit Innovationen. Der Industrieverband World Coal Association (WCA) ist der Meinung, dass man den Kohlestrom noch nicht abschreiben solle. Die Lobbyisten wollen sich für die Verbreitung von "emissionsarmer Kohletechnologie" einsetzen, heißt es dort. Die Idee heißt Carbon Capture, Use and Storage (CCUS), also das Einfangen, Verbrauchen und Speichern von Kohlendioxid. Dadurch könnte der Kohlestrom einen wertvollen Beitrag zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels leisten.
Konzepte des CCUS sind nicht neu. Doch vor Jahren sind Projekte in Deutschland am Widerstand von Umweltgruppen und Politik gescheitert. Das Speichern von Kohlendioxid in Deutschland ist verboten. Doch inzwischen gibt es neue Versuche, dies zu erlauben. In einem Appell fordern Technik- und Umweltverbände wie die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und WWF, den Einsatz der Technologie zu prüfen.