Energiewende Die Mär vom Braunkohleausstieg

Die Jamaika-Sondierer streiten, wie schnell Braunkohlekraftwerke abgeschaltet werden sollen. Dabei steht die Braunkohle vor einem weltweiten Boom. Für das Klima sind das schlechte Nachrichten.

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Braunkohle boomt global betrachtet noch immer. Quelle: ZB

Deutschland drückt aufs Tempo beim Ausstieg aus der Braunkohle. Zwar streiten Union, FDP und Grüne bei ihren Sondierungsgesprächen derzeit über den genauen Fahrplan. Doch dass das Ende der Braunkohleenergie in Deutschland eingeläutet ist, daran zweifelt keiner. Die Frage ist nur, wie schnell der Ausstieg erfolgen wird. Die Grünen wollen bis spätestens 2030 das letzte Kraftwerk abgeschaltet haben. Vertreter der Braunkohlebranche wollen den Ausstieg bis weit nach 2050 verzögern.

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Doch was kaum ein interessierter Beobachter weiß: Deutschland versteht sich zwar als Vorbild in Sachen Klimaschutz und die deutsche Energiewende ist weltweit ein Begriff. Doch global betrachtet folgen dem hiesigen Beispiel nur wenige. International könnte die Stromproduktion aus der Verheizung von Braunkohle sogar bald kräftig ansteigen.

Das geht aus einem Projekt der deutschen Nichtregierungsorganisation Urgewald hervor, das auf der Klimakonferenz in Bonn vorgestellt wird: Ihre Datenbank „Global Coal Exit List“ umfasst alle weltweit tätigen Kohleunternehmen und zeigt deren Ausbaupläne und Lieferketten. Zwei Jahre haben die Urgewald-Mitarbeiter Daten aus Geschäftsberichten und von lokalen NGOs dafür ausgewertet. Die Verknüpfung der Daten fördert überraschende Ergebnisse zur Kohlebranche zutage.

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So zeigen die Daten, wie die globale Kohleförderung zunimmt. So planen laut der Datenbank rund 400 Unternehmen weltweit den Ausbau ihrer Kohleaktivitäten: 282 Unternehmen planen demnach den Ausbau von Kohlekraftwerken. 225 Unternehmen wollen neue Minen zur Kohleförderung erschließen.

Die geplanten Ausbaumengen sind in der Datenbank auch nach Ländern gelistet. Neben China, Vietnam und Pakistan finden sich in der Datenbank auch überraschende Länder weit vorne gereiht. So sollen etwa in Ägypten, in dem bisher so gut wie keine Kohleförderung stattfindet, die Ausbaupläne bis zu 17.000 Megawatt umfassen. Das entspräche der Stromproduktion von 17 Atomkraftwerken. Auch in Marokko ist laut der Datenbank eine immense Kohleförderung geplant.

Neben den Zahlen enthüllt die Datenbank auch die sprachlichen Tricks der Kohlebranche. So zeigt sich, dass zahlreiche Kohleunternehmen rund um den Globus für ihre Namensgebung auf Euphemismen zurückgreifen. So finden sich in der Datenbank die Unternehmensnamen "Sunflower", "China Africa Sunlight Energy" oder "Silver Unicorn Trading".

Für die deutsche Braunkohleindustrie gilt dies indes nicht. Zwar gehört Deutschland zu den Ländern mit den weltweit größten Braunkohlereserven. Mehr als 36 Milliarden Tonnen liegen noch unter der Erde. Nur Russland und Australien könnten mehr Braunkohle in wirtschaftlich vertretbarem Maße fördern. Theoretisch würden die deutschen Reserven 200 Jahre lang reichen. Doch umweltpolitisch hat Braunkohle ausgesorgt. Kaum ein Brennstoff stößt mehr Kohlendioxid aus. Nur Holz und Torf belasten die Umwelt bei jeder produzierten Kilowattstunde Strom noch stärker.

Die Branche versucht es mit Innovationen

Vor diesem Hintergrund machen vor allem die Grünen bei den Sondierungsgesprächen Druck auf die anderen Parteien. Sie wollen die 20 Kohlekraftwerke mit dem höchsten Kohlendioxidverbrauch am liebsten heute statt morgen abschalten. Vor allem Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hält dagegen. Ihm geht es um den Erhalt der vielen Tausend Arbeitsplätze.

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Die Braunkohleindustrie ist überzeugt, dass all der Wirbel um den Ausstieg gar nicht nötig sei. Schließlich gebe es mit dem europäischen Emissionshandel ein funktionierendes Instrument zur Reduzierung von Kohlendioxid. „Die Kohlekraftwerke unterfallen dem Treibhausgas- Emissionshandelssystem der EU, mit dem die CO2-Emissionen jährlich um circa zwei Prozentpunkte vermindert werden“, sagt Thorsten Diercks vom Deutschen Braunkohlen-Industrie-Verein. Das System funktioniere gut. „Für die betroffene Industrie werden mit dem System 2050 alle nationalen und europäischen Klimaziele erreicht. Diesem Pfad werden wir folgen.“

Angesichts des politischen Drucks versucht es die Branche außerdem mit Innovationen. Der Industrieverband World Coal Association (WCA) ist der Meinung, dass man den Kohlestrom noch nicht abschreiben solle. Die Lobbyisten wollen sich für die Verbreitung von "emissionsarmer Kohletechnologie" einsetzen, heißt es dort. Die Idee heißt Carbon Capture, Use and Storage (CCUS), also das Einfangen, Verbrauchen und Speichern von Kohlendioxid. Dadurch könnte der Kohlestrom einen wertvollen Beitrag zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels leisten.

Konzepte des CCUS sind nicht neu. Doch vor Jahren sind Projekte in Deutschland am Widerstand von Umweltgruppen und Politik gescheitert. Das Speichern von Kohlendioxid in Deutschland ist verboten. Doch inzwischen gibt es neue Versuche, dies zu erlauben. In einem Appell fordern Technik- und Umweltverbände wie die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und WWF, den Einsatz der Technologie zu prüfen.

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