Energiewende Reservekraftwerke werden Milliarden verschlingen

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Unterbeschäftigt durch die Energiewende

Brisant wird die Lage für die Politiker, weil es unter den Beschäftigten langsam rumort, die zur Untätigkeit verdammt werden und um ihre Jobs fürchten. „Keines unserer konventionellen Kraftwerke befindet sich in der Gewinnzone“, klagte EnBW-Chef Frank Mastiaux im November bei einer Anhörung des Stuttgarter Landtages. „Man muss sich das vorstellen, dass in einem fossilen Kraftwerk, das nur einige Hundert Stunden im Jahr läuft, gut 300 Beschäftigte das ganze Jahr kaum oder gar nichts zu tun haben.“

Schätzungen der Energiekonzerne zufolge sind derzeit gut 200.000 Mitarbeiter in fossilen Kraftwerken in Deutschland durch die Energiewende unterbeschäftigt. Holger Grzella, Betriebsratsvorsitzender der E.On-Tochter Kraftwerke Ruhr mit den Kohlemeilern Datteln, Scholven, Shamrock und Knepper, berichtet von vielen Mitarbeitern, die die Zeit mit Putz- und Ausbesserungsarbeiten totschlügen. „Das drückt auf die Stimmung. Schließlich identifizieren sich die Beschäftigten mit der Anlage, und es ist für sie schwer, wenn sie nicht benötigt wird.“ E.On denkt sogar schon über Kurzarbeit in den Ruhr-Kraftwerken nach, heißt es aus der Konzernzentrale in Düsseldorf.

Seit gut einem Jahr dürfen Kraftwerksbetreiber unwirtschaftlich gewordene Anlagen nicht mehr einfach stilllegen, sondern benötigen das Plazet der Bundesnetzagentur. Die will auf diese Weise verhindern, dass nach Abschaltung von acht Atommeilern 2011 die Stromversorgung in Deutschland kollabiert. Deshalb prüft die Behörde bei jedem zur Stilllegung gemeldeten Kraftwerk, ob es für die Versorgung einer Region „systemrelevant“ ist. Wenn ja, verdonnern die Beamten den Betreiber, die Anlage gegen eine Kompensationszahlung einsatzfähig zu halten. Für das Kraftwerk in Marbach kann EnBW nach Insiderschätzung jährlich mit 20 Millionen Euro rechnen, die letztlich auf die Stromkunden umgewälzt werden.

Folgt die Energiewende einem stringenten Plan? Zwei Energieexperten der GroKo treffen sich mit einem Moderator, um genau diese Frage zu klären. Aufzeichnung eines fiktiven Gesprächs.
von Bettina Röhl

Anlagen wie in Marbach in ein umfassendes, möglichst marktwirtschaftliches und kostengünstiges System einzubetten ist wohl der komplizierteste Teil der Energiewende. „Noch gibt es keine ganz klaren Vorstellungen“, heißt es im Bundeswirtschaftsministerium. RWE-Chef Peter Terium, der gerade eine gigantische Kapitalvernichtung einräumen musste, geht die Diskussion über den Kapazitätsmarkt offenbar zu langsam: „Es braucht Jahre, so einen Kapazitätsmarkt vorzubereiten. In dem Moment, wo man ihn braucht, hat man keine Zeit mehr.“

Doch es gibt erste Eckpunkte. Diese besagen, dass es bis 2018 einen Kapazitätsmarkt in Deutschland mit einer Leistung von gut 30.000 Megawatt geben soll. Das entspricht rund 50 mittelgroßen fossilen Kraftwerken und der dreifachen Leistung, die die Betreiber zurzeit gern stilllegen würden. Mit der 30.000-Megawatt-Reserve könnte gut ein Drittel der Höchstleistung von 87.000 Megawatt abgedeckt werden, die bisher in Deutschland nachgefragt wurden. Gleichzeitig würde diese Reserve 60 Prozent der sogenannten Grundlast absichern, die in Deutschland Tag und Nacht konstant benötigt wird, besonders von energieintensiven Industrieunternehmen.

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