Enteignung von Vermietern „Die Erfahrungen aus der DDR sollten eine Warnung sein“

In zahlreichen deutschen Städten sind wie hier in München am Samstag Zehntausende auf die Straßen gegangen, um gegen hohe Mieten und Wohnungsmangel zu protestieren. In Berlin fiel zugleich der Startschuss für eine Unterschriftensammlung, mit der das Volksbegehren

Die Debatte über Maßnahmen gegen steigende Mieten gewinnt an Fahrt. Der Jurist Jan Kehrberg erklärt, warum er einen Volksentscheid zur Enteignung von Vermietern für Populismus hält – und was vielversprechender wäre.

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WirtschaftsWoche: Herr Kehrberg, in Berlin hat eine Unterschriftensammlung für einen Volksentscheid begonnen, um Wohnungsunternehmen zu enteignen. Sie selbst sind Anwalt. Ist es rechtlich zulässig, Eigentümern ihre Wohnungen wegzunehmen?
Jan Kehrberg: Artikel 15 des Grundgesetzes lässt zwar die Sozialisierung von Grund und Boden zu. Aus gutem Grund wurde der Artikel jedoch bisher nicht angewendet. Die Erfahrungen aus der untergegangenen DDR sollten eine Warnung sein.

Also ist es rechtlich möglich.
Ich finde es schräg, dass Juristen jetzt über die Feinheiten des geltenden Rechts streiten. Das geht am Kern des Problems vorbei. Die Unterstützer des Volksentscheids wollen ihr Anliegen nicht juristisch durchfechten. Sie wollen stattdessen Stimmung machen und die Politik unter Druck setzen. Das ist Populismus.

Was ist ihre Prognose für den Volksentscheid?
Wahrscheinlich wird es eine Mehrheit für die Enteignung geben. Und dann hätten die regierenden Parteien einen politischen Auftrag, ein Gesetz auszuarbeiten. Dies wäre eine Giftpille für den Senat.

Jan Kehrberg ist Partner der Kanzlei GSK Stockmann in Berlin und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht. Zudem ist er Honorarprofessor für Immobilienmanagement an der Technischen Universität Berlin. Quelle: PR

Können Sie das näher erklären?
Der Volksentscheid nutzt vor allem den Linken in der Berliner Koalition. Die Grünen sind noch unentschieden und die SPD gerät in ein Dilemma. Viele Sozialdemokraten wollen nicht enteignen, können aber Volkes Meinung nicht ignorieren. Wer in dieser Frage bremst, gilt schnell als Mieterfeind. Mich würde es wundern, wenn der Senat sich schnell auf ein Gesetz einigen würde.

Und wenn ein solches Gesetz käme?
Dann gäbe es in Berlin keine zusätzlichen Wohnungen. Für das Wohnungsangebot ist es egal, wer vermietet. Ich befürchte, dass Investoren dann einen Bogen um Berlin machen. Wer will schon Wohnungen bauen, wenn das Risiko besteht, dass ihm die Stadt seine Immobilien wegnimmt. Börsennotierte Unternehmen mit einem größeren Wohnungsbestand in Berlin müssten mit Kursverlusten rechnen.

Auf dem ehemaligen Flugfeld in Berlin-Tempelhof wird nicht gebaut,...
...weil die Bürger sich gegen den Neubau von Wohnungen entschieden haben. Wir leisten uns den Luxus, mehrere Hundert Hektar mitten Berlin brach liegen zu lassen. Ein Kompromiss aus einem Drittel der Fläche für Wohngebäude und zwei Dritteln für einen Park wäre möglich gewesen.

Sind Sie gegen Enteignungen?
Nicht generell. In Berlin haben es Projektentwickler schwer, geeignete Grundstücke zu finden, weil Spekulanten Flächen auf Vorrat gekauft haben. Sie sollten entweder bauen oder ihre Flächen abgeben.

Sie müssen das sagen, weil sie als Anwalt Projektentwickler vertreten.
Nein, das ist in Berlin tatsächlich ein Problem für alle, die Wohnungen bauen wollen. Viel Geld ist — auch aus dubiosen Quellen im Ausland — in den Berliner Immobilienmarkt geflossen. Dieses Geld soll einige Jahre geparkt und dann mit Gewinn wieder abgezogen werden. Im Ostteil Berlins liegen zuhauf Grundstücke ehemaliger DDR-Betriebe brach. Dort könnten Wohnungen entstehen, aber die Eigentümer wollen gar nicht bauen. Ein Volksentscheid, sie zu enteignen, gibt es jedoch nicht.

Warum nicht?
Politisch lässt sich Thema nicht so gut ausschlachten, weil die Zusammenhänge komplex sind. Es ist einfacher, Vonovia oder Deutsche Wohnen zu Feindbildern zu machen.

Wie schätzen Sie das Investitionsklima in Berlin ein?
Berlin profitiert vom Zuzug von Arbeitskräften und Gründern. Die Bevölkerung ist vergleichsweise jung. Momentan tut der Senat viel, um einen weiteren Zuzug zu verhindern.

Wie sieht das konkret aus?
Der Senat hat beispielsweise beschlossen, bei Neubauprojekten die Quote für Sozialwohnungen zu erhöhen. Von einem Viertel der Wohnungen auf 30 Prozent der Wohnfläche. Auf den ersten Blick sieht der Unterschied gering aus. Da jedoch Sozialwohnungen in der Regel kleiner sind, bedeutet das in der Praxis eine Quote 40 Prozent der Wohnungen. Unter diesen Bedingungen werden kaum noch private Investoren Wohnungen bauen können.

Was hat das mit dem Zuzug zu tun?
Werden weniger Wohnungen gebaut, steigen die Mieten. Wer bereits in Berlin wohnt, wird nicht mehr umziehen, weil er mit höheren Mieten rechnen muss. Die Fluktuation verringert sich, die Wohnungssuche wird schwieriger. So sinkt der Anreiz, für junge Arbeitnehmer und Unternehmensgründer nach Berlin zu kommen. Eine alternde Gesellschaft bedeutet weniger Wachstum und Wohlstand.

Warum wird die Regulierung auf dem Wohnungsmarkt nicht unabhängig überprüft?
Politisch ist das nicht gewollt. Bei der Mietpreisbremse käme wohl raus, dass Vermieter bei laufenden Verträgen öfter bis zum ortsüblichen Niveau erhöhen, weil sie — anders als früher — bei der Neuvermietung nicht mehr so stark draufsatteln können.

Sie selbst vermieten ein Einfamilienhaus in Berlin. Wie halten Sie es mit Mieterhöhungen?
Seit zehn Jahren ist die Miete konstant. Wir haben Mieter, die mit dem Haus und dem Garten sehr pfleglich umgehen. Das ist auf lange Sicht wichtiger als der letzte Groschen möglicher Mieteinnahmen.

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