Entlastungen in der Energiekrise „Leidet die Ampel hier an Demenz?“

Nur virtuell war Kanzler Olaf Scholz (SPD) vergangene Woche aus seiner Corona-Quarantäne zur Vorstellung des 200-Milliarden-Euro-Rettungsschirms mit Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner (r.) zusammengeschaltet. An der Bund-Länder-Runde nimmt er am Dienstag wieder persönlich teil.  Quelle: dpa

Bei der Bund-Länder-Runde soll es um weitere Entlastungsmaßnahmen in der Energiekrise gehen. Doch in der Wirtschaft gibt es für manche Ideen bisher wenig Verständnis. Etwa für die 3000-Euro-Prämie. 

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Der Kanzler hat seine Corona-Quarantäne überstanden. Am Sonntag wurde Olaf Scholz (SPD) freigetestet, am Montag reiste er zu den Einheitsfeierlichkeiten nach Erfurt, am Abend empfing er Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron zum Dinner im Kanzleramt. Zusammenhalt war sein Thema des Tages, auf deutscher, französischer und europäischer Ebene – doch wie belastbar das Krisenmanagement der Bundesregierung ist, muss sich an diesem Dienstag erneut beweisen. 

Denn am späten Nachmittag will Scholz im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) mit den Länderchefinnen und -chefs über den weiteren Kurs in der Energiekrise beraten. Neben den bisher beschlossenen Entlastungspaketen und dem 200 Milliarden-Euro-Rettungsschirm, den Scholz vergangene Woche als „Doppelwumms“ gemeinsam mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ankündigte, geht es in der MPK nun um weitere Maßnahmen – wobei von denen bisher beschlossenen erst wenige wirklich wirksam geworden sind.  

Beispiel Inflationsausgleichsprämie: bis zu 3000 Euro können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ihren Beschäftigten steuer- und sozialversicherungsfrei zusätzlich zum Lohn zahlen. Er wünsche sich, dass das „überall in Deutschland und an vielen Stellen stattfindet“, sagte Scholz nach dem jüngsten Treffen mit Arbeitgebern und Gewerkschaften im Rahmen der konzertierten Aktion. Doch viele Arbeitgeberverbände halten wenig von diesem Wunsch.  

Arbeitgeber lehnen Einmischung ab

„Die Betriebe wissen selbst, was in diesen schwierigen Zeiten geht und was nicht geht. Wir erwarten von der Politik Zurückhaltung“, kritisiert Karl Haeusgen, Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagebauer, der rund 3500 deutsche und europäische Unternehmen vertritt. Die Regierung solle „nicht durch öffentlichen Druck versuchen, Einmalzahlungen an die Beschäftigten zu forcieren.“

Da sich die Sozialpartner der Metall- und Elektroindustrie zurzeit in Tarifverhandlungen befinden, „gebietet der Respekt vor der Tarifautonomie, dass man sich öffentlicher Ratschläge enthält. Daran solle sich auch der Bundeskanzler halten“, erklärte Haeusgen. „Wir wünschen unseren Beschäftigten mehr Netto vom Brutto. Das ließe sich am besten durch eine Abflachung der Progression erreichen“, forderte Haeusgen auch mit Blick auf die Pläne von Finanzminister Lindner.

Pflegeverband fordert Rettungsschirm für Altenheime

In der Pflege ist das Unverständnis für Scholz‘ Wunsch noch deutlicher. „Wir erwarten einen Energie-Rettungsschirm für Altenheime, keine Einmalzahlungen zur einseitigen Belastung der Arbeitgeber“, sagte Thomas Greiner, Präsident des Arbeitgeberverbandes Pflege (AGVP). Einmalzahlungen würden „nur punktuell helfen und setzen voraus, dass das Geld da ist“, erklärte Greiner. Aktuell aber müssten die Pflegeunternehmen mit Kostensteigerungen von bis zu 60 Prozent kämpfen.

So dürfe etwa die Temperatur in den Pflegeheimen zurecht nicht abgesenkt werden, seit September bezahlten die Mitgliedsunternehmen zudem nach Tarif. Statt zu Einmalzahlungen aufzufordern, hat Greiner selbst einen klaren Wunsch an den Kanzler und sein Kabinett: Steuer- und sozialversicherungsfreie Zuschläge der Überstunden, Nacht- und Wochenendarbeit. „Das stärkt das Portemonnaie der Beschäftigten nachhaltig, hilft in Zeiten des Fachkräftemangels dem Arbeitgeber wirklich, freut die Pflegebedürftigen und Angehörigen und steht übrigens schon im Koalitionsvertrag“, betont Greiner, der sich fragt: „Leidet die Ampel hier an Demenz?“

Industrie kämpft gegen Kostenlawine 

Auch die Industrie fordert weitere Maßnahmen ein: „Die drei Entlastungspakete haben bislang vor allem private Haushalte entlastet. Das ist zwar notwendig, greift aber mit Blick auf die Ursachen der Energiekrise zu kurz“, sagt Klaus-Peter Stiller, Hauptgeschäftsführer des Bundesarbeitgeberverbands Chemie. Das Problem müsse aber an der Quelle angegangen werden: „Die Industrie braucht so schnell wie möglich Planungssicherheit durch einen Schutz gegen die Kostenlawine bei Strom und Gas“, erklärt Stiller. Es sei deshalb sinnvoll, stabilisierend bei den Strom- und Gaspreisen einzugreifen. 

Auch beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) weist Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges darauf hin, dass eine Eindämmung beziehungsweise Reduzierung der Energiekosten Mitarbeiter wie Unternehmen entlasten werde.

Frank Werneke, Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, fordert eine Deckelung der Energiepreise: „Die Menschen brauchen jetzt eine wirksame Entlastung, um über den Winter zu kommen – egal, ob Beschäftigte, Rentnerinnen und Rentner oder Studierende.“  

Steuersenkungen und -stundungen sind geplant

Eine Kommission unter Leitung der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm soll im Auftrag der Regierung bis Mitte Oktober einen Vorschlag dazu erarbeiten, wie eine solche Gaspreisbremse aussehen kann. Auch eine Strompreisbremse ist geplant. Noch sind die Details offen.

In der MPK am Dienstag soll es hingegen um konkretere Maßnahmen gehen. In einer ersten Beschlussfassung waren beispielsweise Steuersenkungen bei der Strom- und Energiesteuer, die Stundung von Steuern und die Aussetzung von Steuervorauszahlungen sowie der Insolvenzantragspflicht vorgesehen.

Wie harmonisch die Sitzung verläuft, ist jedoch nicht nur mit Blick auf die am Sonntag anstehende Landtagswahl in Niedersachsen fraglich. Zuletzt hatte es auch erheblichen Knatsch zwischen Bund und Ländern gegeben, die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten fühlen sich nicht ausreichend einbezogen in die Maßnahmen, die sie mitfinanzieren sollen – Zusammenhalt wird Scholz deshalb also auch am Tag nach den Einheitsfeierlichkeiten weiter beschwören müssen.

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