Bundesverwaltungsgericht Städte können Diesel-Fahrverbote verhängen

Es ist entschieden: Fahrverbote in deutschen Städten sind zulässig. Quelle: imago images

Das große Zittern bei deutschen Dieselfahrern dürfte einen neuen Höhepunkt erreicht haben: Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass deutsche Städte Fahrverbote für Dieselautos verhängen können.

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Städte können Fahrverbote für Dieselautos zur Luftreinhaltung verhängen. Das Bundesverwaltungsgericht wies am Dienstag die Revision gegen die von den örtlichen Verwaltungsgerichten geforderten Fahrverbote zurück. Die Richter in Leipzig entschieden damit in letzter Instanz, dass solche Verbote im Kampf gegen die Stickoxid-Belastung (NOx) der Luft zulässig sind.

Konkret wurde über eine Revision der Länder Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen gegen Urteile der Verwaltungsgerichte in Stuttgart und Düsseldorf verhandelt. Diese hatten die Behörden nach einer Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) verpflichtet, Luftreinhaltepläne zu verschärfen, damit Schadstoff-Grenzwerte möglichst schnell eingehalten werden.

Fahrverbote könnten nach einer entsprechenden Änderung von Luftreinhalteplänen bundesweit für mehr als zwölf Millionen Diesel-Pkw gelten, die noch nicht die neueste Abgasnorm Euro 6 erfüllen. Im vergangenen Jahr wiesen Messstellen in München, Stuttgart und Köln die schlechtesten Werte aus. Zu den 37 Städten, deren Grenzwert-Überschreitung für 2017 schon jetzt sicher ist, gehören aber auch kleinere, etwa Reutlingen, Heilbronn, Darmstadt, Limburg an der Lahn oder Tübingen. Die Werte hat das Umweltbundesamt veröffentlicht. Wie die WirtschaftsWoche in der vergangenen Woche berichtete, könnten zunächst sieben deutsche Großstädte von entsprechenden Diesel-Fahrverboten betroffen sein: Stuttgart, Düsseldorf, Hamburg, Berlin, Frankfurt, Köln, München sowie als Städteregion auch das Ruhrgebiet.

Wie die Fahrverbote in der Realität genutzt werden, um die Luft in den Städten zu verbessern, ist derzeit noch unklar. Auch rechtlich gibt es noch Klärungsbedarf. Denkbar wäre zum Beispiel, in bestimmten Straßen gar keine Diesel zuzulassen oder nur solche, die der neuen EU-Abgasnorm Euro 6d entsprechen. Das wäre allerdings kaum zu kontrollieren, wenn es keine Kennzeichnung, etwa eine „blaue Plakette“, gäbe. Die bisherigen Umweltzonen mit den roten, gelben und grünen Plaketten zur Feinstaub-Reduzierung sehen Ausnahmen vor - etwa für Traktoren, Krankenwagen oder Oldtimer. Kurz vor der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wurden am Wochenende Vorbereitungen des Verkehrsministeriums für mögliche „streckenbezogene Verkehrsverbote oder -beschränkungen“ bekannt. Sie zielen allerdings nur auf besonders belastete Straßen und nicht auf größere Innenstadtbereiche. Laut Verkehrsministerium bleibe das Ziel, pauschale Fahrverbote zu vermeiden. Es gehe um Regeln für eine „gezielte Verkehrslenkung“.

Seit Jahren werden in vielen Städten Grenzwerte nicht eingehalten. Dabei geht es um Stickoxide, die als gesundheitsschädlich gelten. Die EU-Kommission hatte die bisherigen Anstrengungen Deutschlands als nicht ausreicheichend kritisiert und droht mit einer Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH).


Mittelstand und Handwerk wegen Diesel-Urteil in Sorge

Bei Mittelstand und Handwerk löste das Urteil massive Kritik aus: "Die Entscheidung ... gefährdet die Existenz vieler kleiner und mittlerer Unternehmen", warnte am Dienstag der Präsident des Mittelstandsverbandes BVMW, Mario Ohoven. Auch Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer reagierte alarmiert. "Werden Dieselfahrzeuge aus der City verbannt, kann es zu großen Verwerfungen bei der Nahversorgung kommen", warnte er mit Blick auf die Millionen von Diesel-Autos, die Handwerker und Service-Mitarbeiter nutzen. Das Urteil dürfte nicht als Freifahrtschein für Fahrverbote verstanden werden. "Fahrverbote sind nicht alternativlos", sagte der Handwerkspräsident. Es gebe bessere Lösungswege für die Schadstoffprobleme in Städten.

Zufrieden mit dem Urteil äußerten sich dagegen Verbände aus dem Natur- und Umweltschutz. Der NABU-Verband merkte an: "Die Autoindustrie hat sich böse verzockt". Damit steige der Druck auf Politik und Autobauer, endlich effektive Maßnahmen gegen zu hohe Schadstoffwerte zu ergreifen. Greenpeace forderte die besonders belasteten Kommunen auf, nun dafür zu sorgen, dass dreckige Diesel "mit giftigen Abgasen" aus den Städten verbannt werden. Dabei seien Übergangszeiten und Ausnahmeregeln nötig.

„Letzte Chance für Gesundheit und Mobilität“
Joachim Lang, Chef des Bundesverbands Deutsche Industrie Quelle: imago images
Achim Dercks, Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) Quelle: imago images
Ulrich Klaus Becker, ADAC-Vizepräsident Quelle: imago images
Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA) Quelle: dpa
Andrea Nahles, SPD-Fraktionsvorsitzende Quelle: dpa
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks Quelle: dpa
Angela Merkel, Bundeskanzlerin Quelle: REUTERS

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund warnte vor dem "Irrglauben", als könnten Fahrverbote für Diesel allein die Lösung für die Schadstoffprobleme bringen. Dieser Eindruck sei falsch, sagte Verbands-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Zudem seien die Kommunen gar nicht in der Lage, die durch die Fahrverbote bedingten bürokratischen Lasten kurzfristig zu verkraften, wie etwa die Aufstellung neuer Schilder und ähnliches. Der High-Tech-Verband Bitkom warnte, mit Fahrverboten doktere man nur an Symptomen herum. Besser wäre, schnell und konsequent auf eine "vernetzte und intelligente Mobilität" zu setzen.

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