
wiwo.de: Viele Dörfer verlieren dramatisch an Einwohnern, mancherorts gleichen sie Geistersiedlungen oder sind schon von der Landkarte verschwunden – ist der Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ eine Veranstaltung zum Schutz einer bedrohten Lebensform?
Pelzer: Es gibt Gegenden in Deutschland, wo auch unser Wettbewerb nicht mehr viel ausrichten könnte. Zum Beispiel, um nur Bayern zu nehmen, die Region an der oberfränkisch-tschechischen Grenze. In Nordhalben, einem Ort, der einmal 7000 Einwohner hatte, sind es heute nur noch 3500. Das sind Entwicklungen, die aus eigenen Kräften kaum noch korrigiert werden können. Und trotzdem erleben wir immer wieder Dörfer, die es dann doch schaffen. Das ist es, woran wir mit dem Wettbewerb appellieren: Den eigenen Weg zu suchen.
Gibt es dafür brauchbare Rezepte?
Nein, schlichte Nachahmung hilft jedenfalls nicht weiter. Unser Problem ist, dass Kommunalpolitik zu wenig professionell betrieben wird. Damit meine ich keine Verwaltungsprofessionalität, sondern Phantasieprofessionalität. Und die Fähigkeit, die Bürger mit auf den Weg zu nehmen. Es mangelt in unseren Dörfern und Gemeinden an angstfreien Führungskräften, an Bürgermeistern und Gemeinderäten, die nicht an ihrem Sessel kleben, sondern etwas bewegen wollen.
Sie meinen Leute, die unabhängig sind?
Man muss als Bürgermeister die Gewissheit haben, jederzeit wieder in den Beruf zurückkehren zu können. Die beamtenmäßige Ausstattung der Bürgermeister fördert nicht gerade ihre Beweglichkeit. Dabei würde ein Sechs-Jahresvertrag mit einem ordentlichen Gehalt völlig reichen.
Sie sind seit 2001 Vorsitzender der Bewertungskommission des Wettbewerbs. Wie haben sich seither die Dörfer verändert?
Ich stelle fest, dass viele Dörfer den Wettbewerb, seine Intentionen und Vorgehensweisen, sozusagen zu ihrem politischen Programm gemacht haben: Sie nehmen eine Bestandsaufnahme vor, formulieren Ziele und versuchen die Bürger an der Umsetzung dieser Ziele zu beteiligen. Das hilft einem Bürgermeister, auch wenn er nicht übermäßig mit Phantasie gesegnet ist. Entscheidend ist, dass die Dörfer professionelle Hilfe annehmen. Wer beratungsresistent ist, kommt über einen bestimmten Level nie hinaus.
Es gibt massive regionale Unterschiede im ländlichen Raum. Was für Folgen hat das für die Dorfentwicklung?
Unter anderem, dass man keine sicheren Prognosen mehr geben kann. Die Dörfer in der Nähe von Metropolen haben ganz andere Probleme als die in peripheren Regionen. Sie müssen aufpassen, dass sie nicht dem Suburbanisationssog erliegen und sich so als Dorf abschaffen. In stadtfernen Gegenden sieht es wieder anders aus. Da kommt es oft auf interkommunale Kooperationen an. In Mecklenburg-Vorpommern etwa gibt es das Dorf Banzkow. Da haben vier Weiler unter dem Motto „Wir vier sind uns grün“ eine enge Zusammenarbeit beschlossen, wie sie in anderen Ländern, zum Beispiel in Frankreich, längst üblich ist.