Erdogan gegen Böhmermann im Zivilprozess Verklemmter Staatspräsident oder pubertierender Moderator?

Verkehrte Welt: Im Prozess um das Erdogan-Schmähgedicht bedrängt der Anwalt des ZDF-Moderators Böhmermann die Richterin. Der Vertreter des türkischen Staatspräsidenten dagegen geriert sich als Schützer der Menschenwürde.

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Christian Schertz, Anwalt des Moderators Jan Böhmermann, vor dem Zivilprozess gegen Erdogan in Hamburg. Quelle: dpa

Hamburg „Hinter ‚ein Präsident mit kleinem Schwanz‘ kommt ebenfalls ein ‚Punkt, Punkt Punkt‘.“ Als hätten nicht schon die Plädoyers der Anwälte ausgereicht, ließ das abschließende nüchterne Protokoll-Diktat der Richterin Simone Käfer ein Stück Absurdität im Gerichtssaal des Hamburgischen Justizzentrums aufblitzen.

Vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht läuft das letzte Verfahren gegen den ZDF-Moderator Jan Böhmermann wegen dessen „Schmähgedichts“ auf den türkischen Präsidenten Recep Erdogan. Nachdem die Generalbundesanwaltschaft das Verfahren wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts eingestellt hat, bleibt nur noch das Zivilverfahren. Hier konnte Erdogan bereits vor einigen Wochen einen Erfolg erringen: Im Eilverfahren verbot das Gericht, Teile des Gedichts zu wiederholen.

Der Prozess ist ein Duell zwei der bekanntesten deutschen Medien-Anwälte. Böhmermann wird vertreten durch Christian Schertz, Erdogan durch Michael-Hubertus von Sprenger. In ihren Plädoyers wurde klar: Vor Gericht kehren sich die Rollen der Mandanten im wahren Leben um. Böhmermann-Anwalt Schertz baute vor allem mit Druck auf – basierend auf den Entscheidungen anderer Juristen. Erdogan-Anwalt von Sprenger argumentierte ausgerechnet mit der Menschenwürde.

Böhmermann-Anwalt Schertz zielte klar darauf ab, das Gericht einzuschüchtern. Dazu nutzte er zunächst formale Mittel: Er ging so weit, in einer Rüge die Vollmacht des gegnerischen Anwalts prüfen zu wollen – das heißt, er zweifelte an, dass von Sprenger überhaupt von Erdogan beauftragt sei. Während der Verhandlung herrschte Schertz in arroganter Pose die Richterin Käfer an: „Wir darf ich Ihr Lächeln beurteilen, Frau Vorsitzende?“ Und beschwerte sich: „Ich hatte angeregt, dass ein Fernseher im Gerichtssaal steht – das ist nicht der Fall.“

Vor allem aber baute er die Drohkulisse auf, dass sich das Gericht in der Fachwelt isolieren werde, sollte es das Verbot aufrechterhalten. „Sie würden sich gegen die Entscheidung der Ermittlungsbehörden stellen – und nicht nur gegen die“, sagte er. Auch das Bundesverfassungsgericht habe den untergeordneten Instanzen klar gemacht, dass es für die Meinungsfreiheit eintrete. „Es wäre geradezu absurd, Frau Vorsitzende, wenn ein deutsches Gericht – wo Herr Erdogan deutlich macht, dass er die deutsche Justiz verachtet – wenn also ein deutsches Gericht abermals Sätze aus der Gesamtperformance herausreißt und verbietet.“ Schertz' offensichtliches Bully-Kalkül: Die Richterin könnte lieber ihre eigene vorläufige Verfügung verwerfen als von nachfolgenden Instanzen ein Fehlurteil nachgewiesen zu bekommen.

Scherz argumentierte aber auch inhaltlich: Das Gedicht dürfe nur als Ganzes und im Kontext gesehen werden. Böhmermann hatte in seiner Sendung das Gedicht mit der Bemerkung eingeleitet, er wolle zeigen, welche Art Schmähkritik in Deutschland verboten sei. Er bezog sich damit auf die Kritik Erdogans an einem satirischen Lied aus der NDR-Sendung „Extra 3“. Schertz will das als „juristisches Proseminar“ verstanden wissen und als Mittel, das deutsche Verständnis von Meinungsfreiheit zu illustrieren. „Wenn jemand so absurd und gegen jede kontinentaleuropäische Vorstellung von Meinungsfreiheit agiert, muss er sich die schärfste Kritik ever anhören“, sagte Schertz und verwies auf Prozesse gegen Journalisten und die Verhaftungswelle bei der Tageszeitung „Cumhuriyet“ vor zwei Tagen.

Zudem werde durch die Gesamtschau des Gedichts klar, dass es nicht als Beleidung gesehen werden könne, sondern als absurde Überhöhung. „Wenn jemand verklemmt ist, lebt er nicht die im Folgenden genannten Sex-Praktiken aus“, argumentierte Schertz. Im Gedicht war Erdogan zunächst als „sackdoof, feige und verklemmt“ bezeichnet worden, anschließend beschreibt es aber, der Präsident betreibe Fellatio mit Schafen und sei zudem pervers, zoophil und „der Star bei jeder Gang-Bang-Feier“.


„Rassistisch und spätpubertär“

Diese Aussagen verletzten klar gegen die im Grundgesetz-Artikel 1 geschützte Menschenwürde, wütete dagegen Erdogan-Anwalt von Sprenger. Dahinter müsse im Zweifel die Meinungsfreiheit zurückstehen. Er stellte in Zweifel, dass es sich um Kunst oder Satire handle. „Satire ist ein Zerrbild der Wirklichkeit, aber es ist immer noch ein Bild“, sagte er. „Er (Böhmermann) trägt vor: Ziegenficken. Ist das Wirklichkeit, Herr Kollege? Will er vielleicht die Rechte von Ziegen in der Türkei retten?“, fragte er rhetorisch.

Tatsächlich handle es sich um „plumpe, ich möchte sagen: spätpubertäre, Beleidigungen und Verbalinjurien“, sagte der Jurist. „Der Kläger soll hier als Prototyp des verlausten Türken gezeigt werden – das ist einfach schlicht rassistisch.“ Würden ähnliche Klischees über den israelischen Präsidenten verbreitet, wäre die Empörung einhellig, mutmaßte von Sprenger. „Muslime aber kann man ja wunderbar kritisieren – das ist en Vogue derzeit.“

Sein Schluss: „Hier wird unter dem Deckmäntelchen der Kunst schwerste Beleidigung betrieben.“ Zu später Stunde sei zudem nicht mehr zu erwarten, dass das „müde gequatschte“ Publikum eine Late-Night-Show differenzieren könne – zumal Böhmermann plumpe Beleidigungen mit Kritik etwa in der Kurdenfrage mische. „Das Publikum hört: Das ist einer, wie man ihn beschreibt – so ein richtig verlauster Türke.“ Erdogan solle so sozial unmöglich gemacht werden, klagte von Sprenger.

Von Sprenger und Schertz leisteten sich zudem eine lautstarke Auseinandersetzung um die Einstellung des anderen Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft. Von Sprenger unterstellte, nach einem Gespräch mit den Böhmermann-Anwälten habe die Staatsanwaltschaft das Verfahren „bewusst in die Verjährung“ laufen lassen und ihm so die Chance genommen, Rechtsmittel zu nutzen, um die Ermittlungen wieder in Gang zu bekommen. Die Frist beträgt in dem Fall nur ein halbes Jahr. Schertz wies das mit betonter Empörung zurück. Richterin Käfer musste ihrerseits laut werden, um die Anwälte zum Schweigen zu bringen.

Das Urteil soll am 10. Februar fallen. Schertz nutze die Terminverkündung für eine letzte Attacke: Das Gericht nehme sich erstaunlich viel Zeit. Dabei hatte der Anwalt selbst nur Sekunden vorher um eine Woche mehr Zeit zur Prüfung eines Schriftsatzes gebeten.

Vor der Tür des Gerichtssaals dämpfte Schertz vor großer Medienrunde schon einmal die Erwartung eines schnellen Erfolgs am Oberlandesgericht. Spätestens in der letzten Instanz werde er Recht bekommen, sagte er. Von Sprenger dagegen tönte, neue Argumente seinen nicht aufgetaucht – das Gericht müsse also zu einem ähnlichen Schluss wie bei der Einstweiligen Verfügung kommen.

Ein Sieger steht indes fest: Moderator Böhmermann hat das Verfahren populär gemacht wie kaum einen anderen Fernsehmoderator der jüngeren Generation. Seitdem die Staatsanwaltschaft den haftbewehrten Vorwurf der Beleidung eines ausländischen Staatsoberhaupts fallengelassen hat, kann er den Zivilprozess um das mögliche Verbot des Gedichts gelassen aus der Ferne verfolgen. Denn wiederholen will er das Gedicht wohl sowieso nicht.

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