Erdogan-Gegner Berlin macht türkischen Journalisten Hoffnung

Das Auswärtige Amt hatte türkischen Regierungskritikern kürzlich Asyl angeboten. Das wäre aber mit einigen Hürden verbunden. Für Erdogan-kritische Journalisten weist das Innenministerium nun einen Ausweg aus dem Dilemma.

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Verfolgte türkische Journalisten können auch ohne Visum in Deutschland bleiben und einer Erwerbstätigkeit nachgehen, sagt das Bundesinnenministerium. Quelle: dpa

Berlin Angesichts der Verhaftungen von Journalisten und Oppositionsabgeordneten in der Türkei hatte das Auswärtige Amt in Berlin vor kurzem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass politisch Verfolgte in Deutschland Asyl beantragen könnten. „Alle kritischen Geister in der Türkei sollen wissen, dass die Bundesregierung ihnen solidarisch beisteht“, sagte Staatsminister Michael Roth der Zeitung „Die Welt“.

Roth schränkte allerdings ein, dass über die Aufnahme verfolgter Politiker, Künstler oder Journalisten die zuständigen Behörden entschieden. „Sie können in Deutschland Asyl beantragen. Das gilt dezidiert nicht nur für Journalisten. Dafür gibt es unser Recht auf Asyl“, sagte er.

Gerade für Journalisten birgt aber das Angebot des Staatsministers ungeahnte Probleme. „Die weitaus meisten der türkischen Medienschaffenden, die sich mit der Bitte um Zuflucht in Deutschland an Reporter ohne Grenzen wenden, wollen weder politisches Asyl noch dauerhaft im Ausland bleiben“, erklärte unlängst die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ (ROG). Ihnen gehe es vielmehr um „vorübergehende Zuflucht“, bis sich die politische Situation in der Türkei beruhigt habe - und vor allem darum, ihre journalistische Arbeit fortzusetzen. „Würden sie politisches Asyl beantragen, könnten sie jedoch während eines Verfahrens von ungewisser Dauer nur sehr schwer eine Arbeit aufnehmen und wären in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt.“

Die Organisation forderte daher die Bundesregierung auf, bei der Visavergabe an verfolgte türkische Journalisten keine vermeidbaren bürokratischen Hürden zu errichten. Solche Barrieren können sogar jetzt schon abgeräumt werden, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf einer schriftlichen Frage des Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck hervorgeht.

Das Aufenthaltsgesetz sehe vor, dass bei Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis im Inland durch die Ausländerbehörden „von der Voraussetzung der Einreise mit dem zweckentsprechenden Visum abgesehen werden kann, wenn es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen“, heißt es in der Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesinnenministerium, Ole Schröder (CDU), die dem Handelsblatt vorliegt. „Aus Sicht der Bundesregierung ist damit ausreichend Flexibilität für den Aufenthalt türkischer Journalistinnen und Journalisten und die Ausübung ihres Berufs in Deutschland gegeben.“


Appell an die Ausländerbehörden der Bundesländer

Beck appellierte an die Bundesländer, die Ausnahmeregelung auch anzuwenden. „Türkische Journalisten dürfen nicht ins Asylverfahren gedrängt werden. Hier sind die Länder gefordert, die Pressefreiheit hochzuhalten“, sagte der Grünen-Politiker dem Handelsblatt. „Wenn sie nach Deutschland fliehen und die Rückkehr in die Türkei fürchten, sollte ihnen ein rechtssicherer Aufenthalt als Journalisten angeboten werden.“

Die Bundesregierung habe in ihrer Antwort bestätigt, dass in den Ländern eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbstätigkeit erteilt werden könne, „auch wenn sie ohne das entsprechende Visum eingereist sind“. Darüber hinaus könne „im Einzelfall auch vom Nachweis ausreichender Mittel zum Lebensunterhalt abgesehen werden“.

Auch „Reporter ohne Grenzen“ plädiert dafür, türkischen Journalisten eine Aufenthaltsgenehmigung aufgrund ihrer Arbeit zu erteilen, die automatisch mit einer Arbeitsgenehmigung verbunden sei. Allerdings errichteten in der Praxis die deutschen Behörden immer wieder „zusätzliche Hürden“ -  nicht zuletzt für geflohene Journalisten, die sich bereits in Deutschland aufhielten.

Die Organisation berichtet von einem von ihr betreuten Fall eines Journalisten, der zunächst mit einem Touristenvisum nach Deutschland gekommen sei und angesichts der Repressionswelle in seiner Heimat nun einen neuen Aufenthaltstitel für einen längeren Aufenthalt benötige. „Gemäß dem üblichen Verfahrensweg müsste er zunächst in die Türkei zurückreisen und dort bei einer deutschen Auslandsvertretung eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen - obwohl ihm in seiner Heimat die reale Gefahr einer Festnahme aufgrund seiner journalistischen Arbeit droht“, erklärte „Reporter ohne Grenzen“. Dabei läge es im Ermessen der zuständigen Ausländerbehörde, die Aufenthaltsgenehmigung auch in Deutschland zu erteilen.

In einem anderen Fall hat die Organisation, wie sie berichtet, eine von Repressalien bedrohte Journalistin offiziell nach Deutschland eingeladen und die Bereitschaft zur Kostenübernahme für ihren Aufenthalt erklärt. Nun habe aber das deutsche Konsulat in Istanbul, entgegen der Praxis in vergleichbaren Fällen, zusätzliche Auflagen für die Visumerteilung gemacht und verlangt, die Antragstellerin müsse neben einem Rückflugticket auch eine Hotelbuchung vorlegen.

Dabei ist der Bundesregierung die grundsätzliche Problematik durchaus bewusst, etwa dass „Reporter ohne Grenzen“ die Türkei in ihrem Pressefreiheitsindex auf Platz 151 einstuft. Auf der Webseite des Auswärtigen Amts ist zudem von einer „zunehmende Einschränkung“ der verfassungsrechtlich verankerten Pressefreiheit die Rede. Von Seiten der Politik und einer politisierten Justiz werde in diese Grundrecht „massiv angegriffen“.

Journalisten sehen sich demnach häufig mit Verfahren sowohl im Bereich des Straf- als auch des Zivilrechts konfrontiert.  Immer wieder würden sie auch in Haft geraten. Ein häufiger Anknüpfungspunkt für staatsanwaltschaftliche Ermittlungen seien auch kritische Artikel oder als Schmähung aufgefasste Darstellungen des Staatspräsidenten.

„Der Straftatbestand Unterstützung des Terrorismus wird in vielen Fällen bewusst gedehnt, um Ermittlungen gegen Journalisten zu initiieren“, so das Ministerium. Das Auswärtige Amt konstatiert überdies, dass die EU-Kommission in ihrem Fortschrittsbericht 2015 die Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei als „besorgniserregend“ kritisiert hatte.

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