Erdogan-Schmähung Politiker fordern Merkel-Einsatz für Böhmermann

Böhmermanns „Schmähkritik“ an Erdogan schlägt hohe Wellen. Die Bundesregierung prüft, ob sie dem Ansinnen der Türkei nachkommt und eine Strafverfolgung zulässt. Doch dagegen formiert sich Widerstand.

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Der Moderator Jan Böhmermann: Von der Kanzlerin erhielt er für seine Erdogan-Satire einen Rüffel, jetzt soll Merkel eine Strafverfolgung gegen ihn verhindern. Quelle: dpa

Berlin In der Debatte um das Erdogan-Gedicht von Jan Böhmermann ergreifen Politiker von SPD und Grünen Partei für den Satiriker. Front machen sie insbesondere dagegen, dass die türkische Regierung in einer Verbalnote an das Auswärtige Amt die Strafverfolgung des ZDF-Moderators verlangt.

Mitarbeiter des Kanzleramts, des Auswärtigen Amts und des Justizministeriums wollen demnach am heutigen Montag darüber beraten, ob dem Ansinnen der Türkei entsprochen werden soll. Theoretisch drohen dem Satiriker wegen der Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts drei Jahre Haft.

Über den Kurznachrichtendienst Twitter erklärten daraufhin Bundestagsabgeordnete von SPD und Grünen ihre Solidarität mit Böhmermann. „Ich erwarte von der Bundeskanzlerin eine deutlichere Haltung in Sachen Meinungsfreiheit. #Boehmermann #freeboehmi“, erklärte etwa der jugendpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Sönke Rix.

Rix‘ Fraktionskollege, der SPD-Netzpolitiker Lars Klingbeil, nannte es „unfassbar“, dass angesichts von Themen wie AfD, Flüchtlingen, Kriegen in der ARD-Talsendung von Anne Will darüber diskutiert werde, ob Böhmermann Satire machen dürfe. An den Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) gewandt fügte Klingbeil hinzu, „hoffe die bundesregierung beendet diese farce um böhmermann schnell, lieber @peteraltmaier. #freeboehmi.“

Böhmermann hatte das Gedicht mit dem Titel „Schmähkritik“ in seiner satirischen TV-Show „Neo Magazin Royale“ präsentiert. Nach eigenen Worten wollte Böhmermann an einem praktischen Beispiel erklären, was in Deutschland von der Satire-Freiheit gedeckt sei und was nicht. Anlass war der Protest des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen einen Satire-Beitrag des NDR-Fernsehmagazins „extra 3“.

Der Chef der Grünen, Cem Özdemir, hielt der Bundesregierung vor, sich in selbst in die Lage „reinmanövriert“ zu haben. Jetzt haben die Regierung eine „Chance zu Haltung“, schrieb der Bundestagsabgeordnete bei Twitter und fügte hinzu: „Für Presse- & Kunstfreiheit. #Böhmermann @janboehm.“


Böhmermann ist auf Tauchstation gegangen

Die Co-Chefin der Grünen, Simone Peter, schloss sich der Meinung des Tübinger Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen an. Dieser hatte im TV-Talk von Anne Will am Samstagabend erklärt: „Die Empfindlichkeiten eines türkischen Staatspräsidenten, der innerhalb seines Landes Pressefreiheit mit Füßen tritt, können nicht Maßgabe und Äußerungskorsett der Bundeskanzlerin sein.“

Peter erklärte dazu auf Twitter: „Genau deshalb muss die Bundesregierung die Forderung nach einem Strafverfahren deutlich zurückweisen.“

Von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) handelte sich Rüffel indes einen Rüffel ein. Zudem ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn. Und was macht Böhmermann?

Er hat sich offensichtlich entschlossen, erst mal auf Tauchstation zu gehen. Eine Einladung zu „Anne Will“ am Sonntagabend schlug er aus - dabei hätte er sicher einiges sagen können zum Thema der ARD-Talkshow: „Streit um Erdogan-Kritik - Kuscht die Bundesregierung vor der Türkei?“ Auch seine Satire-Sendung „Sanft & Sorgfältig“ auf Radio Eins ließ er am Sonntag ausfallen. „Sie wissen ja sicher, was gerade rund um Jan Böhmermann los ist“, entschuldigte der Sender vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) das.

Böhmermann macht sich rar, und trotzdem ist er der Star in den Kommentarspalten und Feuilleton-Betrachtungen vieler Zeitungen und Magazine. Mathias Döpfner - Chef eines der führenden Medienhäuser Europas - ergriff in der „Welt am Sonntag“ Partei für Böhmermann. „Ich möchte mich, Herr Böhmermann, vorsichtshalber allen Ihren Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschließen und sie mir in jeder juristischen Form zu eigen machen“, schrieb der Vorstandsvorsitzende von Axel Springer („Bild“, „WeltN24“) in einem offenen Brief. „Ich finde Ihr Gedicht gelungen.“

Böhmermann hatte das Gedicht mit dem Titel „Schmähkritik“ am 31. März im Digitalkanal ZDFneo präsentiert. „In Deutschland brach eine Art Staatskrise aus, nur weil Sie Herrn Erdogan als „Ziegenficker“ bezeichnet haben“, schreibt Döpfner in seinem offenen Brief. „Ein Kunstwerk“, urteilt der Chef des Medienhauses, das gewöhnlich im eher konservativen Spektrum verortet wird. Der Leitartikel des aktuellen „Spiegel“ kommt zu einem ähnlichen Schluss: „Und natürlich war Böhmermanns Beitrag keine Schmähkritik, sondern das Spiel mit ihr.“


„Schon 2015 die Medienrepublik in Aufruhr versetzt“

Anders argumentierte die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“. „Man kann Erdogan mit guten Gründen kritisieren, auch mit den Mitteln der Satire. Aber indem man ihn als Sodomisten bezeichnet, sagt man ausschließlich etwas über sich selbst. Man will der sein, der sich traut, sowas zu sagen. Man ist der Gute, der den Bösen beschimpft. Das ist Pubertät, nicht Humor und erst recht nicht Politik“, meinte Autorin Friederike Haupt.

Es sind aufregende Tage für Böhmermann. Wie der zeitliche Zufall es wollte, bekam er am Freitagabend den begehrten Grimme-Fernsehpreis - für seine Satire über den Mittelfinger des früheren griechischen Finanzministers Gianis Varoufakis. Schon mit dieser Aktion („Varoufake“) hatte Böhmermann im März 2015 „die Medienrepublik in Aufruhr versetzt“, wie es die Jury formulierte.

Der festlichen Gala zur Preisverleihung im westfälischen Marl blieb Böhmermann fern. Dabei setzte der Deutsche Volkshochschul-Verband (DVV) als Stifter der Grimme-Preise noch einen drauf: Böhmermann bekam auch die „Besondere Ehrung“ - für seine Verdienste um die Entwicklung des Fernsehens in der digitalen Welt.

„Dieses Gedicht hat sicherlich die Grenzen des guten Geschmacks verletzt und ist sicher alles andere als Grimme-Preis-würdig“, stellte die DVV-Präsidentin und saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) fest. Aber das ändere nichts an Böhmermanns Qualitäten und Leistungen für eine offene, mutige und demokratisch-gelassene Medienwelt, betonte sie. „Deshalb ist diese Ehrung verdient.“

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