Herr Schweitzer, Innenminister de Maizière sagt, wir bräuchten kein neues Einwanderungsgesetz, nur besseres Marketing. Reicht das Ihren Unternehmen?
Wir brauchen kein komplett neues Einwanderungsgesetz, aber Verbesserungen an den bestehenden Regelungen. Netto sind im vergangenen Jahr rund 470.000 Menschen zu uns gekommen. Nur etwa ein Drittel stammt nicht aus der Europäischen Union, unterliegt also überhaupt dem Zuwanderungsrecht. Wir sollten die Liste der sogenannten Mangelberufe ausweiten, damit der Zuzug in der beruflichen Bildung erleichtert wird. Derzeit ist der Bedarf in Pflege- und technischen Berufen besonders groß. Uns fehlen aber auch Fachkräfte aus gastronomischen Berufen.
Ausländer in Deutschland
Besonders viele Ausländer kommen aus den Ländern, die 2004 der EU beigetreten sind. Die Zahl stieg gegenüber 2011 um 15,5 Prozent. Spitzenreiter ist Ungarn mit einem Plus von 29,8 Prozent, gefolgt von Polen mit +13,6 Prozent.
Die Zahl der Ausländer aus den von der Euro-Krise betroffenen Mittelmeerstaaten hat sich erhöht. Aus Griechenland sind 5,1 Prozent mehr Ausländer als im Vorjahr nach Deutschland gekommen, aus Spanien waren es 9,1 Prozent mehr Ausländer.
Die registrierte Bevölkerung mit türkischer Staatsangehörigkeit ist, ähnlich wie in den Jahren zuvor, um zwei Prozent zurückgegangen. Grund dafür ist die relativ hohe Zahl der Einbürgerungen.
Die meisten Ausländer zogen nach Bayern, das sind rund 65.900 mehr als im Jahre 2011. Den geringsten prozentualen Anstieg verzeichnet das Saarland mit einem Plus von 1,6 Prozent.
Die Betriebe klagen auch über einen Mangel an Lehrlingen.
Bei Auszubildenden sollte die Vorrangprüfung zumindest in Berufen entfallen, wo die Bewerber heute schon knapp sind. Bisher muss man bei jeder Neueinstellung eines Zuwanderers nachweisen, dass es keinen Bewerber aus Deutschland oder der Europäischen Union gibt. Zudem gilt: Junge Zuwanderer, die hier eine Hochschulausbildung abgeschlossen und dann einen passenden Job gefunden haben, bekommen bisher zunächst eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Das sollte künftig sofort unbefristet sein. Denn 40 Prozent unserer Unternehmen sehen derzeit ein großes Risiko im Fachkräftemangel.
Die Ministerpräsidenten Bouffier, Kretzschmann und Dreyer schlagen vor, junge Asylbewerber zu Azubis zu machen.
Ein junger Asylbewerber, der bei uns eine Ausbildung beginnt, sollte während der Ausbildung nicht abgeschoben werden dürfen. Sonst finden Sie fast kein Unternehmen, das in den beträchtlichen zeitlichen und finanziellen Aufwand investiert. Ich gehe noch weiter: Wer hier seine Ausbildung abschließt und einen Beruf findet, sollte eine bessere Bleibeperspektive haben. Man darf aber Zuwanderung und Flüchtlingspolitik nicht generell vermischen. Denn die Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber richtet sich nach den Krisen in der Welt, nicht nach unseren Wünschen.
Sie vermischen es doch, wenn Sie Asylbewerber und Flüchtlinge direkt für Ausbildung und Arbeitsmarkt rekrutieren.
Wir akquirieren diese Flüchtlinge ja nicht in ihrer Heimat – sie sind schon hier. Was wäre die Alternative? 80.000 Ausbildungsplätze bleiben hierzulande leer, und die jungen Menschen bleiben ohne Ausbildung.
Wie hoch ist das Risiko, dass diese Menschen in ihre Heimat zurückkehren? Dann war die Investition für die Katz.
Deshalb wären ja bessere Bleibeperspektiven sinnvoll. Eine Garantie, dass ein Mitarbeiter anschließend in seinem Ausbildungsbetrieb bleibt, gibt es aber generell nicht. Selbst wenn die jungen Menschen in ihre Heimat zurückgingen, wäre das auch gut für die deutsche Wirtschaft. Sie wären dort unsere besten Botschafter.
"Rente mit 63 ist ein enormes Kostenrisiko"
Kommt die Wirtschaft mit den aktuellen Zuwanderungsströmen hin?
Von den 470.000 Zuwanderern im letzten Jahr arbeiten rund 40 Prozent, die Übrigen sind im Wesentlichen Familienangehörige. Damit kämen wir also etwa auf 200.000 Arbeitskräfte. Mit Blick auf die Demografie ist das ein guter Erfolg. Wir müssen uns aber von dem Glauben trennen, Deutschland sei automatisch ewig und für jeden attraktiv.
Kann der Arbeitsmarkt kurzfristig so viele Zuwanderer verkraften?
Absolut. Wir sehen für das laufende Jahr einen weiteren Rückgang der Arbeitslosigkeit um 50.000 und ein Beschäftigungsplus von 200.000 Personen.
In der Arbeitslosenversicherung müssten dann Überschüsse anfallen.
Wenn es in der Arbeitslosenversicherung dauerhaft Überschüsse gibt, dann sollten diese den Beitragszahlern zurückgegeben werden, also den Versicherten und den Unternehmen. Dadurch könnten die Unternehmen zumindest ein wenig entlastet werden, wenn schon die Kosten durch den Mindestlohn steigen. In der Zukunft kommen ja ohnehin steigende Lohnzusatzkosten auf die Unternehmen zu durch die Rente mit 63 und die Mütterrente.
206.000 Menschen haben im vorigen Jahr einen Antrag gestellt. Die Rente mit 63 entwickelt sich zum Kassenschlager.
Ja, sie schlägt Löcher in die Rentenkasse. Die Rente mit 63 Jahren ist ein enormes Kostenrisiko. Einmal hat mich Ministerin Nahles gefragt, wie wir die Menschen länger in Arbeit halten könnten. Da musste ich ihr sagen: Sie setzen einen hohen Anreiz dafür, früher auszuscheiden. Wie soll die Wirtschaft das noch übertrumpfen? Jetzt gehen viele richtig gut ausgebildete, gut arbeitende, besonders erfahrene Facharbeiter. Das ist ein Schnitt mitten ins Herz.
Welche Kosten erwarten Sie durch die Rente mit 63?
Für die Rente mit 63 müssen die Beitragszahler, aber auch die Unternehmen, die Rentner und der Steuerzahler auf Jahre hin Milliardenbeträge aufbringen. Bis zum Jahr 2030 werden sich die zusätzlichen Belastungen für die Rentenkasse nach aktuellen Schätzungen auf fast 50 Milliarden Euro summieren. Neben diesen höheren Kosten ist es aber auch ein falsches Signal, das die Politik mit der abschlagsfreien Rente mit 63 an die älteren Beschäftigten sendet.
Diese Frührentner gehen dem Arbeitsmarkt verloren. Dabei würden sie von den Betrieben dringend gebraucht. Unternehmen investieren seit Jahren in Weiterbildung, Prävention und Gesundheitsförderung, um ihre Beschäftigten möglichst lange zu halten. So ist die Beschäftigung Älterer in den vergangenen Jahren erfreulich stark angewachsen. Diese Erfolge werden durch die Rente mit 63 konterkariert.