
Wohltuend am Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Euro-Rettungsfonds ESM ist allein die Klarheit, die das Gericht vom ESM-Vertrag verlangt. Erstens darf das finanzielle Haftungsrisiko Deutschlands „unter keinen Umständen“ über die festgelegten 190 Milliarden Euro hinausgehen, es sei denn, der Bundestag erhöht ausdrücklich und wissentlich den deutschen Garantieanteil. Und zweitens darf es seitens des künftigen ESM-Gouverneursrates keine Geheimniskrämerei gegenüber dem Bundestag geben; alle notwendigen Informationen über Hilfen und Auflagen an Krisenländer müssen den Volksvertretern zur Verfügung gestellt werden. Eigentlich sind diese Klarstellungen eine Selbstverständlichkeit, doch offenbar bedarf es dafür des höchsten deutschen Gerichts.
Was Karlsruhe nicht verhindern wollte beziehungsweise konnte oder durfte – weil es die freie Entscheidung des vom Volk gewählten Bundestages ist- , ist die zusätzliche Haftung für die Euro-Krisenländer in Höhe von bis zu 190 Milliarden Euro. Dieser Betrag für den ESM addiert sich zu den bereits eingegangenen Rettungsverpflichtungen Deutschlands von bedrohlichen 510 Milliarden Euro. Rechnet man noch die Forderungen der Bundesbank gegenüber der Europäischen Zentralbank (EZB) von aktuell 751 Milliarden Euro hinzu (Target II), dann ist Deutschland mit ungeheuren 1,2 Billionen Euro bei den Euro-Krisenländern beteiligt. Deutsche sitzen nun mit Italienern und Spaniern endgültig in einem Boot. Scheitern die Krisenländer, scheitert auch Deutschland!





Das haben die Karlsruher Richter bewusst nicht verhindern wollen und können. BVG-Präsident Andreas Voßkuhle wies vielmehr darauf hin, dass die Verweigerung des ESM-Rettungsfonds womöglich noch größere Schäden für Deutschland bedeuten würden. Dies abwägen, sei aber nicht Aufgabe des Verfassungsgerichts, sondern des Bundestages und der Bundesregierung. Und deshalb wies das Verfassungsgericht auch einen Antrag der Kläger ab, dem Bundespräsidenten selbst nach der heutigen Eilentscheidung noch die Unterschrift unter den ESM-Vertrag zu verbieten, bis das Gericht endgültig (in einigen Wochen oder Monaten) entschieden hat.
Alternativ: Europas Untergang
Bundespräsident Joachim Gauck kann nun den ESM-Vertrag unterschreiben. Zunächst aber müssen die Juristen noch die beiden Bedingungen des Verfassungsgerichts – strikte Begrenzung auf 190 Milliarden Euro und Informationspflicht für den Bundestag – in den Vertragstext hineinfrickeln. Das kann noch zwei Tage dauern. Mit Gaucks Unterschrift kann der ESM endgültig in Kraft treten. Dann entsteht ein gigantischer Feuerlöschtopf mit 700 Milliarden Euro Stammkapital, woran Deutschland mit 27,1 Prozent beteiligt ist.
Wie geht es weiter mit dem ESM?
Der Nachfolger des „Rettungsschirms“ EFSF soll mit einem Stammkapital von 700 Milliarden Euro Mitgliedstaaten der Eurozone unterstützen, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Eigentlich sollte er schon zum 1. Juli starten.
Der ESM tritt in Kraft, sobald ihn so viele Mitgliedstaaten ratifiziert haben, dass sie mit ihren Anteilen gemeinsam 90 Prozent des Stammkapitals stellen.
Bisher haben 13 der 17 Euro-Länder den ESM ratifiziert: Griechenland, Portugal, Slowenien, Frankreich, Spanien, Zypern, Finnland, Belgien, die Slowakei, Irland, Luxemburg und zuletzt in der
vergangenen Woche die Niederlande und Österreich. In Estland prüft den Vertrag das Verfassungsgericht, das am 12. Juli entscheidet. In Italien und Malta muss der ESM noch durch die Parlamente.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat diesen Weg definitiv nicht gern beschritten. Er ist ihr mehr oder weniger aufgezwungen worden, Alternativen schienen ihr noch ungeheurer („Scheitert der Euro, scheitert Europa“). Merkel muss mit den Anfangsfehlern der Währungsunion fertig werden, wozu neben fehlenden strengen Haushaltsauflagen, einer fehlenden harmonisierten Wirtschafts- und Finanzpolitik auch die Aufnahme Griechenlands zählt.
Mit dem heutigen Plazet des Bundesverfassungsgericht zum ESM kann niemand Deutschland mehr vorwerfen, nicht alles zum Erhalt der Euro-Zone und für die europäische Einigung zu tun. Nun ist der Ball allein im Feld der Krisenländer. Sie müssen ihre Staatsfinanzen sanieren und ihre verkrusteten Wirtschafts- und Sozialstrukturen reformieren. Die größte Verantwortung aber trägt Frankreich: Schuldenfinanzierter Sozialismus oder wettbewerbsfähige Marktwirtschaft lauten die Alternativen für den französischen Präsidenten Francois Hollande; und nach dem linken Wahlkampfgetöse scheint er nun doch den Stabilitätspfad zu beschreiten.
Gelingen die Reformen in den Krisenländern, steht Europa in wenigen Jahren superstark da. Die Alternative wäre Europas Untergang. Dafür ist das Bundesverfassungsgericht dann aber weder zuständig noch verantwortlich, sondern allein die Politik.