Dass man es nie allen Recht machen kann, ist eine altbekannte Weisheit. Und auch dass nicht jeder mit dem Ausgang einer Wahl - sei es der Bürgermeister- oder der Bundestagswahl - zufrieden sein kann, ist nachvollziehbar. Doch drei Tage nach der Bundestagswahl mehren sich im Internet die Proteste. So vermutete eine große Zahl von AfD-Anhängern Wahlbetrug, weil ihr Favorit es nicht über die fünf-Prozent-Hürde geschafft hatte. Vor allem auf der offiziellen Facebook-Seite der Partei wurde über vermeintliche Unstimmigkeiten diskutiert. "DAS war ein eindeutiger Wahlbetrug!! DAS kann nicht mit rechten Dingen zugegangen sein!!", schreibt ein Nutzer. Was zunächst nur eine Verschwörungstheorie enttäuschter AfD-Wähler zu sein schien, findet aber immer mehr Anhänger.
Mittlerweile gibt es eine Petition im Internet, deren Urheber Neuwahlen fordert. Der Grund: Wahlmanipulation. "Wir fordern Neuwahlen für die Bundestagswahl 2013" heißt es in der am 24. September von Marcel Hofbauer eingerichteten Unterschriftenliste. Die Gründe, die er dafür anführt, sind folgende:
- "Viele tausende Menschen, die sich für die Briefwahl registriert haben haben keine Unterlagen erhalten. Sie sind ohne Stimme geblieben, dabei hätten sie eine abgeben wollten."
- "Die Union findet keinen Regierungspartner und wenn, dann nur aus größter Not heraus. Ein solcher Zusammenschluss ist nicht Regierungsfähig und wird leicht und schnell in die Brüche gehen und Deutschland in ein Verderben stürzen."
- "Wahlbetrug. In den Sozialen Netzwerken finden sich genug Beweise, dass es in einigen Wahlkreisen zum Betrug kam, so zum Beispiel in der Stadt Detmold (Wahlkreis Pivitsheide). Es ist erwiesen, dass die SPD 92 Stimmen bekommen hat, veröffentlicht wurden jedoch 241. Das ist nicht der einzige erwiesene Betrug dieser Wahl."
Hofbauer selber ist kein AfD-Anhänger. "Der Grund, wieso ich diese Petition erstellt habe, ist nicht der, dass ich die AfD doch im Bundestag haben will oder eine absolute Mehrheit der CDU anstrebe", sagte er gegenüber WirtschaftsWoche Online. "In Deutschland muss eine Wahl fehlerfrei verlaufen."
5913 Menschen haben die Petition bis zum Abend des 25. Septembers unterzeichnet. Hofbauers Ziel sind mindestens 20.000 Unterzeichner. Dafür hat er noch 27 Tage Zeit. Bleibt die Beteiligung wie sie ist, sind knapp 15.000 Stimmen in gut einem Monat ein realistisches Ziel. Hofbauers Liste hat schließlich in nicht mal einem Tag gut 5000 Unterstützer gefunden. Aber sind das jetzt alles Verrückte und Verschwörungstheoretiker?
Immerhin versucht auch die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD), ihre Anhänger zu beruhigen. "Der Bundesvorstand hat mögliche Probleme bei der Auszählung der Stimmen zur Kenntnis genommen und wird den Vorwürfen natürlich nachgehen. Bitte leiten Sie Ihre jeweiligen Informationen an Ihren Landesverband oder per PN in das Postfach hier auf Facebook weiter, damit wir das strukturiert untersuchen können. Für den Fall, dass es aus Sicht des Bundesvorstands tatsächlich zu nachprüfbaren, signifikanten Problemen gekommen sein sollte, wird dieser dann die notwendigen Schritte einleiten. Bis zu diesem Zeitpunkt möchten wir Sie bitten, von Aussagen Abstand zu nehmen, die in der Presse falsch aufgefasst werden könnten", heißt es beispielsweise auf der Facebook-Seite der Partei.
Verschwundene Briefwähler in Hamburg
Doch ganz falsch scheinen die Anschuldigungen der AfD-Fans nicht zu sein: So berichtete die 57-jährige AfD-Kandidatin Martina Härting, dass ihr in einem Wahllokal in Meppen (Niedersachsen) Unregelmäßigkeiten zu Ungunsten der AfD aufgefallen seien. "Wir hatten uns entschlossen, ein Wahllokal in einer Stichprobe durch einen Wahlbeobachter zu kontrollieren", sagte sie gegenüber einer Lokalzeitung. "Dort stellte unser AfD-Mitglied fest, dass 16 Zweitstimmern für die AfD und damit etwa die Hälfte nicht berücksichtigt wurden."
Niedersachsen ist allerdings nicht das einzige Bundesland und Mittelems nicht der einzige Wahlkreis, in dem etwas schief gegangen ist. So vermeldete die CDU in Hamburg am 23. September auf ihrer Website das Fehlen von mehr als 100.000 Briefwahlunterlagen. Während einer Pressekonferenz des Hamburger Wahlleiters, bei der das vorläufige Endergebnis bekannt gegeben wurde, sei die Ungereimtheit aufgefallen, sagt Julia Wagner von der CDU Hamburg gegenüber WirtschaftsWoche Online. Zwar seien 301.884 Wahlscheine für die Briefwahl ausgegeben, aber nur 198.739 berücksichtigt worden. Das würde bedeuten, dass mehr als 100.000 Briefwähler nicht gewählt haben. Bei früheren Bundestagswahlen seien 9.000 bis maximal 17.000 Briefe nicht zurück gekommenen. "Es haben so viele Hamburgerinnen und Hamburger wie noch nie Briefwahl beantragt. Die tatsächlich in das Ergebnis eingeflossenen Stimmen sind aber so niedrig, wie seit 20 Jahren nicht. Das ist äußerst merkwürdig. Wo sind die rund 100.000 Briefwähler und deren Stimmen geblieben?", fragt sich auch der CDU-Fraktionsvorsitzende Dietrich Wersich.
Peinlicher Rechenfehler
Auf die Frage der CDU nach dem Verbleib der mehr als 100.000 Briefwahlunterlagen habe der Landeswahlleiter Willi Beiß zunächst in einer E-Mail geantwortet: Die Briefwähler seien wohl doch mit ihrem Schein direkt ins Wahllokal gegangen. Kurz darauf habe er in einer zweiten Mail an die CDU behauptet, dass man sich verrechnet und rund 80.000 Briefwähler als Urnenwähler gezählt habe. Angeblich seien zunächst nur 199.000 Briefwähler in der Statistik aufgelistet worden. Tatsächlich waren es aber knapp 280.000 Briefwähler, 270.000 davon klassische Briefwähler, weitere 10.000 gingen mit den Wahlscheinen in Wahllokale, denen sie eigentlich nicht zugeteilt waren. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn das eigene Wahllokal nicht behindertengerecht ist, der Wähler aber im Rollstuhl sitzt. Die restlichen 23.000 fehlenden Stimmen seien der normale Schwund. Also die fünf bis zehn Prozent der Wähler, die die Wahlunterlagen entweder zu spät erhalten oder sie zu spät oder gar nicht abgeschickt haben.
Trotzdem steht die CDU in Hamburg dieser Antwort skeptisch gegenüber. "Wir waren sehr verwundert, dass 100.000 Briefwähler in der Statistik gar nicht auftauchten. Später stellte sich heraus, dass 80.000 Briefwähler als Urnenwähler gewertet wurden", so Wagner.
Zig Wahlpannen
Zudem seien bei der Verkündung des vorläufigen Endergebnisses neun Wahllokale noch gar nicht ausgezählt worden, so Wagner. Zum Einen hätten manche Wahllokale nochmals ausgezählt werden müssen, zum Anderen seien manche Wahlleiter abends einfach nach Hause gegangen. Weiter gezählt werden sollte dann am nächsten Tag. Erst am Nachmittag des 25. Septembers seien die Ergebnisse aller Lokale da gewesen. "Wie kann es ein vorläufiges Endergebnis geben, wenn noch gar nicht alle ausgezählt sind?" fragt sich Wagner. Gerade weil es pro Wahllokal zwischen 150 und 800 Stimmen sein können. Zwar hätten die fehlenden Stimmen letztlich weder etwas am Ergebnis der Bundestagswahl, noch an dem des Hamburger Volksentscheides zum Rückkauf der Energienetze geändert. "Es war aber sehr irritierend", sagt Wagner. Sie geht davon aus, dass die Bezirksämter einfach überfordert seien und die Wahlhelfer nicht richtig instruierten.
Die Pressemeldung der CDU, in der auf die verschwundenen Wahlzettel aufmerksam gemacht wurde, brachte noch weitere Wahlpannen ans Licht. Wähler hätten die Partei mit derartig vielen Berichten und anfragen überhäuft, dass die Server zusammen gebrochen seien. Etliche Hamburgerinnen und Hamburger berichteten von nicht zugestellten Wahlunterlagen oder möglicherweise unvollständigen Listen in den Wahllokalen. Auch seien Wähler wieder nach Hause geschickt worden. Über diese Phänomene berichten zudem User in den sozialen Netzwerken - auch außerhalb Hamburgs.
Der Landesvorstand der CDU Hamburg hat deshalb einen 4-Punkte-Plan beschlossen, um Fehler künftig zu vermeiden. So fordert die Partei eine Bürger-Hotline und eine E-Mail-Adresse, wo sich Betroffene melden und Fragen oder Beschwerden zum Wahlverlauf loswerden können. Außerdem solle jeder Hinweis zur Auszählung der Stimmen zur Bundestagswahl dokumentiert und nicht einfach übergangen werden. Vor allem müsse umgehend geklärt werden, wie es zur systematischen Falschzuordnung bei den Briefwahlstimmen kommen konnte. Außerdem verlangt die Partei, dass die Stimmen im Zweifelsfall noch einmal gezählt werden.
In Essen in Nordrhein-Westfalen wird am Wochenende noch einmal gezählt - 150.000 Wahlscheine gilt es zu sichten: Weil ein Wahllokal im Wahlkreis 120 Essen-Süd und -West zu spät öffnete, seien viele potenzielle Wähler verärgert wieder nach Hause gegangen. So berichtet jedenfalls die Zeitung WAZ. Außerdem seien bei der Prüfung der Protokolle der Auszählung in 23 Bezirken Unstimmigkeiten aufgetaucht. Nachzählungen ergaben 31 Stimmen Vorsprung der SPD-Kandidatin Petra Hinz. Der Wahlkreis ging aber mit drei Stimmen Vorsprung an Matthias Hauer von der CDU.
Auch in Bochum hat es nachweislich Fehler gegeben. So sind Briefwahlscheine des Wahlkreises Bochum I an den Wahlkreis Bochum II verschickt worden, weshalb 600 Stimmen nicht gezählt wurden. Laut der Wahlleitung seien die Stimmen aber nicht „mandatsrelevant“, weshalb es keine neue Zählung geben werde. In einem anderen Bochumer Wahlkreis wurde ein zweites Mal gezählt, weil 491 von 689 Zweitstimmen als ungültig gewertet wurden. Das sind etwas mehr als 71 Prozent. Bei der zweiten Auszählung am Tag nach der Bundestagswahl waren nur noch 13 Zweitstimmen ungültig. Das änderte auch einiges am Ergebnis des Wahlkreises Bochum-Langendreer: Statt null Prozent schaffte es die CDU auf 22,93 Prozent. Die SPD bekam mit 35,8 Prozent die meisten Stimmen.
Auch wenn all diese kleinen Pannen Marcel Hofbauer und Anhängern der AfD sicher keine Neuwahlen bescheren werden, peinlich sollten sie den Wahlämtern schon sein.