EU-Abgaswerte Autogipfel widmet sich der „Kriegserklärung aus Brüssel“

Die neuesten Vorschläge der EU-Kommission für eine noch strengere Abgasnorm erhitzen die Gemüter der Automanager. Quelle: imago images

Beim Spitzengespräch mit Merkel wollen die Topmanager der Branche heute über die Pläne für die EU-Kommission reden. Andere Themen: fehlende Ladesäulen, der Streit um gemeinsame Datennutzung und die Prämie für E-Autos.

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Wenn sich am heutigen Dienstagabend die Kanzlerin und die Chefs der Automobilindustrie zum Videogipfel zusammenschalten, steht das wichtigste Thema nicht auf der offiziellen Tagesordnung: Die neuesten Vorschläge für die EU-Kommission für eine noch strengere Abgasnorm erhitzen die Gemüter der Automanager.

Nach einem am Wochenende bekannt gewordenen Papier schlägt eine Gruppe von Experten in einem 66-seitigen Dossier für die Kommission vor, die Grenzwerte für NOx (Stickoxid) auf nur noch 30 Milligramm pro Kilometer zu begrenzen. Heute liegen die Grenzwerte noch bei 60 Milligramm für Benziner und 80 für Dieselfahrzeuge. Auch die Emissionen von Kohlenmonoxid sollen drastisch sinken, je nach Fahrzeugtyp um mehr als die Hälfte.

Das sorgt vor allem in der von großvolumigen Modellen geprägten deutschen Autobranche für helles Entsetzen, zumal auch die Messmethoden im sogenannten Real-Drive-Emission-Test erheblich verschärft werden sollen. Bei der Methode werden die Abgase während des realistischen Fahrbetriebs auf der Straße gemessen. In Branchenkreisen wird deshalb bereits von einer „Kriegserklärung“ der EU an die deutschen Autobauer gesprochen, weil nur wenige der aktuellen Verbrennermodelle diese neuen Werte der Euro-7-Abgasnorm ab 2025 einhalten könnten. Es wäre, so ein Insider aus der Industrie, quasi das Aus für Benziner und Dieselfahrzeuge – und auch für die Entwicklung neuer Baureihen. In diesem Jahr will die deutsche Branche noch 150 neue Modelle auf den Markt bringen.



Die hochkarätige Runde, zu der neben Merkel und einigen Bundesministern auch die Ministerpräsidenten der Autoländer sowie die Spitzen der Arbeitnehmervertreter geladen sind, wird die EU-Abgaspläne auch deshalb kritisch besprechen, weil es in Europa weder genug Ökostrom noch genug Ladeinfrastruktur gibt, falls nach 2025 tatsächlich nur noch E-Autos und so gut wie keine Verbrenner mehr zugelassen werden sollten.

Der enorme Mangel an Ladesäulen vor allem in Deutschland ist denn auch ein weiteres, schwieriges Thema des Gipfels. Trotz großzügiger Förderung des Bundes fehlen immer noch tausende Ladepunkte; hier sind die Kommunen und Stadtwerke in der Pflicht. In diesem Jahr will die deutsche Industrie 12.000 E-Autos pro Woche produzieren – dafür bräuchte man aber mehr als 2000 zusätzliche Ladesäulen pro Jahr. Gebaut werden aber derzeit nur 234 jährlich.

Ein weiterer und nicht weniger umstrittener Punkt auf der Tagesordnung betrifft den „Datenraum Mobilität“. Dahinter steckt der Plan, die im Verkehr und im Auto anfallenden Daten zu bündeln und deren Erfassung und Verwertung nicht den IT-Kraken aus dem Silicon-Valley zu überlassen. Dafür ist allerdings Einigkeit erforderlich. „Datenräume von relevanter Größe können nur entstehen, wenn die Beteiligten ihre Daten über Institutions-, Betriebs- und Branchengrenzen hinweg austauschen“, mahnt Karl-Heinz Streibich, Präsident von Acatech und Vorsitzender des Steuerkreises Datenraum Mobilität. Um die digitale Übermacht der US-Konzerne nicht auch noch auf die Daten der deutsche Autobranche übergreifen zu lassen, übt die Politik jetzt Druck auf die Hersteller aus, sich zu einigen. „Da gibt es aber noch Klärungsbedarf“, schränkt ein Brancheninsider ein, „die Weitergabe von sensiblen Daten hat Grenzen“. Allerdings hängt die Größe und Bedeutung des „Datenraum Mobilität“ auch davon ab, wie schnell die Abdeckung mit 5G-Netzen vorangeht. Schon beim letzten Autogipfel hatte Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), die unzureichenden Fortschritte bei der Netzinfrastruktur moniert.


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Einigung gibt es dagegen bei der Förderung der Elektromobilität. Für den Kauf eines E-Autos mit einem Kaufpreis bis 40.000 Euro steuert der Bund 6000 Euro Förderung bei. Der Herstelleranteil kommt noch hinzu. Diese Kaufprämie hatte die Bundesregierung ursprünglich bis Ende 2021 begrenzt, jetzt soll die Weiterführung der Förderung sogar bis 2025 vereinbart werden – ein Punktsieg für die Branche. Nach außen gibt man sich mittlerweile kooperativ bei der „Neuerfindung des Autos“, wie es mit Blick auf die Transformation der Mobilität inzwischen heißt. „Wir sind bereit“ lautet die Kernbotschaft des neuen VDA-Imagefilms. Das bemerkenswerteste daran ist, dass in dem mehrminütigen Streifen kein einziges Auto zu sehen ist.

Mehr zum Thema: Nun droht das Silicon Valley Deutschland auch noch in seiner Kerndisziplin zu düpieren: dem Automobilbau.

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