EU-Kommission Merkel reagiert gelassen auf EU-Klage wegen Luftverschmutzung

Die EU-Kommission klagt gegen Deutschland wegen verschmutzter Luft in den Innenstädten. Die Kanzlerin schockt das kaum.

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Die Kanzlerin lässt sich von der EU-Klage nicht aus der Ruhe bringen. Quelle: AP

Berlin, Brüssel, Sofia Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gelassen auf die Klage der EU-Kommission wegen schmutziger Luft in Innenstädten reagiert. „Die Umsetzung muss vor Ort erfolgen“, sagte Merkel am Donnerstag in Sofia nach Abschluss des EU-Westbalkan-Gipfels mit Verweis auf die Zuständigkeit von Kommunen und Ländern. Sie sieht Deutschland auf einem „sehr guten Weg“ zu besserer Luft in Städten.

Die EU-Kommission hat entschieden, Deutschland und fünf weitere Länder wegen zu schmutziger Luft in vielen Städten vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu verklagen. Dabei geht es um die Missachtung von EU-Grenzwerten für Stickoxide, die bereits seit 2010 verbindlich für alle EU-Staaten sind. Auch 2017 wurden sie jedoch in 66 deutschen Städten überschritten, in 20 Kommunen sehr deutlich. Die Kommission ermahnte Deutschland und andere Länder zudem erneut wegen zu zögerlicher Reaktionen auf den Dieselskandal bei Volkswagen.

Die Bundesregierung habe „in beispielloser Weise“ Förderprogramme aufgelegt, um den Kommunen zu helfen, die Anforderungen bei den Grenzwerten der Luftqualität zu erreichen. Die EU-Kommission kenne die deutschen Anstrengungen auch. In einigen Bereichen rechne sie jetzt mit „sehr, sehr schnellen Fortschritten“. Insofern werde die Bundesregierung ihren Weg weitergehen.

Umweltminister Svenja Schulze forderte eine rasche Nachrüstung von Diesel-Pkw. „Wenn wir vor Gericht bestehen wollen, brauchen wir größere und schnellere Fortschritte, um die Luft sauber zu bekommen“, erklärte die SPD-Politikerin in Berlin. Technische Nachrüstungen für Diesel-Pkw würden so schnell wie möglich benötigt, „und zwar auf Kosten der Automobilhersteller“.

Wer sich dem weiter versperre, „riskiert nicht nur Fahrverbote und weitere Wertverluste bei den Dieselautos, sondern auch eine Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof“. Gegen technische Nachrüstungen gab es bislang Widerstand sowohl der Automobilindustrie als auch in Teilen der Bundesregierung.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sprach am Donnerstag von einer „Klatsche mit Ansage“. Lethargie, Kumpanei mit der Autoindustrie und Ignoranz hätten dazu geführt, dass Deutschland nun vor Gericht stehe. FDP-Verkehrsexperte Oliver Luksic sagte, mit der „Politik des Weckduckens“ von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse Schluss sein. „Sonst ist Frau Merkel die Fahrverbots-Kanzlerin.“

Der Bund für Umwelt und Naturschutz betonte, die Brüsseler Klage zeige klar, dass die bislang von der Bundesregierung angekündigten Maßnahmen bei weitem nicht ausreichten.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer wies die Ermahnungen der EU-Kommission wegen des deutschen Umgangs mit dem Diesel-Skandal bei VW zurück. „Kein anderer Mitgliedsstaat hat so umfassende und strenge Maßnahmen ergriffen wie Deutschland“, sagte Scheuer am Donnerstag. Dazu gehörten Pflichtrückrufe und Software-Updates auf Kosten der Hersteller.

„Für die Strafverfolgung ist in Deutschland die Justiz zuständig, und das ist gut so. Es ist befremdlich, dass die EU-Kommission das offensichtlich nicht weiß.“ Natürlich würden Konzerne für Schummeleien zur Verantwortung gezogen. Das Verhalten der Kommission sei daher „zutiefst enttäuschend und realitätsfern“.

In einem zweiten, Ende 2016 gestarteten Verfahren wirft die EU-Kommission der Bundesregierung im Abgasskandal massive Versäumnisse vor. Ein Vorwurf: Sie habe Volkswagen nicht für die Manipulation von Schadstoffwerten bei Dieselautos bestraft. Zudem habe die Regierung nicht ausreichend überwacht, dass die Autohersteller die Vorschriften einhalten. Die Bundesregierung hatte sich schon bei Einleitung des Verfahrens gegen die Vorwürfe verwahrt.

Angesichts der Dieselproblematik ist in der deutschen Wirtschaft die Sorge vor flächendeckenden Fahrverboten groß. Der Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), Holger Schwannecke, fordert daher Gegenmaßnahmen. „Niemand kann ein Interesse daran haben, dass Innenstädte durch Fahrverbote nicht mehr angefahren und somit auch nicht mehr versorgt werden können. Deshalb sollten jetzt alle an einem Strang ziehen, um Fahrverbote zu vermeiden“, sagte Schwannecke dem Handelsblatt.

Die angekündigte EU-Klage müsse ein „Weckruf“ für die Bundesregierung sein, sagte Klaus Müller, Chefs des Verbraucherzentrale Bundesverbands. Die Beschlüsse des Dieselgipfels vom vergangenen Sommer reichten bei Weitem nicht aus, um die Luftqualität in den Städten signifikant zu verbessern. „Statt wenig wirksame Updates von den Herstellern einzufordern, muss die Bundesregierung diese endlich verpflichten, den von Fahrverboten betroffenen Dieselbesitzern kostenlose Hardware-Nachrüstung anzubieten“, sagte Müller dem Handelsblatt.

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