
Berlin/Brüssel/Paris Wenige Tage vor dem EU-Gipfel wächst der Widerstand gegen die von Deutschland geforderten EU-Vertragsänderungen. Sowohl unter den Euro-Ländern als auch unter den zehn anderen EU-Staaten seien viele gegen die Änderung des Vertrages von Lissabon, sagten mehrere mit den Diskussionen Vertraute der Nachrichtenagentur Reuters am Montag in Brüssel.
Die von Deutschland verlangten Reformen seien nicht mit einem abgekürzten Verfahren zu realisieren. Doch eine umfangreiche Vertragsänderung, zu der ein Konvent einberufen werden müsse, nehme viel zu viel Zeit in Anspruch. Die Bundesregierung will beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag eine Vereinbarung der 27 EU-Staaten erreichen, den Vertrag zu ändern, um den Euro krisenfest zu machen und die Finanzmärkte zu beruhigen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Nicolas Sarkozy treffen am Nachmittag in Paris zusammen, um eine gemeinsame Position zur Vertragsänderung vor dem Gipfel zu finden. Bisher Deutschland und Frankreich in vielen Punkten noch weit auseinander: Merkel will mehr Haushaltsdisziplin durch eine automatische Sanktionierung von Verstößen gegen den Stabilitätspakt erreichen und dazu die Kompetenzen der Europäischen Kommission als Kontrollinstanz stärken.
Zur Abschreckung soll außerdem die Möglichkeit geschaffen werden, dass notorische Defizitsünder vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt werden können. Die Stärkung der Kommission und das Klagerecht beim EuGH lehnt Sarkozy bisher ab. Stattdessen sollen so wie bisher in erster Linie die Mitgliedstaaten dafür verantwortlich sein, die EU-Haushaltsregeln durchzusetzen.
Frankreichs umstrittene Wunschliste
Frankreich hat außerdem eine Wunschliste, die in Deutschland auf Widerstand stößt. Demnach soll vor allem die Europäische Zentralbank bei der Krisenabwehr stärker eingebunden werden. Dafür sieht die Regierung in Paris zwei Möglichkeiten: Der künftige Rettungsmechanismus ESM könnte eine Banklizenz und damit eine Refinanzierungsmöglichkeit bei der EZB bekommen oder er wird zu einem Europäischen Währungsfonds aufgewertet, der ebenfalls über Zentralbankkredite finanziert wird.
Italiens neuer Ministerpräsident Mario Monti zeigt sich überzeugt, dass sich in dieser Frage etwas tun wird: Die Beschlüsse des EU-Gipfels und das Sparpaket seines Landes würden die EZB in all ihrer Unabhängigkeit dazu bewegen, ihre künftige Vorgehensweise zu überdenken, sagte er in Rom.
Eine Annäherung gibt es EU-Kreisen zufolge zwischen Berlin und Paris nur in einem Punkt: Die Möglichkeit eines Schuldenschnitts würde im ESM-Vertrag weniger eindeutig festgelegt. Im Vertragstext würde es nur noch allgemein heißen, der ESM folge den Prinzipien des Internationalen Währungsfonds, was letztlich aber noch immer die Option einschließt, private Gläubiger zu einem Forderungsverzicht zu zwingen.
Die Bundesregierung strebt eine begrenzte Reform an, die binnen eines Jahres abgeschlossen werden soll. Eine Vertragsänderung mit einem beschleunigten Verfahren sei bei derart grundlegenden Reformen aber nicht sinnvoll, sagte ein Insider. „Man kann nicht sagen, wir wollen eine neue Stufe der Fiskalunion erreichen, aber das soll nur mit einer begrenzten Vertragsänderung möglich sein. Das Parlament wird das nicht mitmachen.“
Rehn verweist auf geltende Regeln
Sogar die Niederlande, ein enger Verbündeter Deutschlands bisher im Ringen um ein solides Fundament für die Währungsunion, sei gegen eine Vertragsänderung. Die Bundeskanzlerin hatte am Freitag als Alternative zu einer Änderung des EU-Vertrages, dem alle 27 EU-Staaten zustimmen müssen, die Möglichkeit eines Vertrages der 17 Euro-Staaten zu strikterer Haushaltskontrolle angesprochen.
Nach Ansicht der EU-Kommission und auch von EU-Ratspräsident Hermann Van Rompuy kann die von Deutschland geforderte stärkere Fiskaldisziplin ohnehin im Rahmen des bestehenden Vertrages erreicht werden. Der EU-Ratspräsident hat den Auftrag, dem Gipfel einen Vorschlag zur Vertragsänderung vorzulegen, der die Positionen der EU-Staaten möglichst alle unter einen Hut bringt.
Die Kommission hatte kürzlich bereits einen konkreten Gesetzentwurf zu stärkeren Kontrollrechten der EU-Behörde gegenüber den Mitgliedstaaten vorgeschlagen. In einer Woche trete der verschärfte Stabilitäts- und Wachstumspakt in Kraft, erklärte der Sprecher von EU-Währungskommissar Olli Rehn. „Wir haben die Instrumente unter dem bestehenden Vertrag für eine strengere Haushaltsüberwachung und für Sanktionen“, sagte er.