Euro-Krise Europa ohne Steuermann

Kurz vor der Wahl in Athen ist die Euro-Krise mit voller Wucht zurück, eine Führung Europas ist aber nicht mehr erkennbar. Rettungsappelle der Kanzlerin verpufften bisher, doch heute will Merkel in die Offensive gehen.

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Angela Merkel. Quelle: dapd

Berlin Eigentlich hätte es Angela Merkel nicht besser erwischen können. Inmitten der sich erneut zuspitzenden Euro-Krise lädt der CDU-Wirtschaftsrat heute zu seinem traditionellen Wirtschaftstag nach Berlin. Die „Hauptversammlung der Multiplikatoren“ aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft  bietet der Kanzlerin unter der Überschrift „Deutschland und Europa neu denken: Wege aus der Staatsverschuldung“ die Gelegenheit, ihre Positionen zur Bewältigung der Krise vorzutragen. Spanien ist gerade unter dem Rettungsschirm geschlüpft, in Griechenland steht am Sonntag eine weitere Schicksalswahl an. Höchste Zeit, dass Deutschland wieder Führung in der Krise zeigt.

Die Dramaturgie ist geschickt gewählt. Merkel eröffnet das hochkarätig besetzte Treffen mit rund 2.000 Teilnehmern, darunter  das deutsche Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB), Jörg Asmussen, und der Co-Vorstandschef der Deutschen Bank, Anshu Jain. Sie kann ihre Argumente in Masse der Zuhörer streuen und erklären, wie sie die Rolle Deutschlands in der Euro-Krise sieht.

„Deutschland in Europa – Beiträge für den europäischen Zusammenhalt“ ist ihre Rede überschrieben. Das deutet schon an, wohin die Reise geht: Ohne Deutschland geht nicht viel in der Euro-Krise. Die Zuhörerschaft wird Merkels Argumente sicher nach allen Seiten wenden und zerpflücken und versuchen, zurechtzurücken. Doch der Ablauf des Wirtschaftstages ist so gestrickt, dass am Ende einer der wichtigsten Euro-Verbündeten der Kanzlerin in der Bundesregierung, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), auftritt und alle Anti-Merkel-Argumente wieder einfangen wird.

Die deutsche Beharrlichkeit in der Euro-Krise kommt nicht von ungefähr. Es ist ein Dauerfeuer, das seit einigen Tagen auf die Bundesregierung niederprasselt: Um den angeschlagenen Banken und Staaten in der Euro-Zone zu helfen, sollen die Regelungen für Hilfen aufgeweicht und möglichst Eurobonds eingeführt werden. So will die EU-Kommission am liebsten direkte Hilfen für Banken aus den Rettungsfonds EFSF oder dem ESM.

Doch je häufiger die Forderungen kommen, desto härter wird die Antwort aus Berlin. In dieser Frage schließen sich dann auch in der Koalition die Reihen: Es bleibt bei der vereinbarten Linie, dass angeschlagene Banken in der Euro-Zone sich an ihre Regierungen zu wenden haben. Wenn die Regierungen nicht in der Lage sind, die Probleme ihrer Banken zu stemmen, können sie sich an den EFSF und künftig den ESM wenden - gegen harte Auflagen. Geld soll es nicht ohne Reformauflagen geben, aus Prinzip. 

Zwar ist dies als deutsche Position eigentlich nichts Neues. Aber der demonstrative Schulterschluss in der CDU und der Koalition zeigt, wie groß der Druck ist, unter dem die Kanzlerin international steht. Zwar ist sie inhaltlich in einer komfortablen Lage. Deutschland boomt als einziges Euro-Land, zahlt extrem niedrige Zinsen und hat schon deshalb eine starke Verhandlungsposition.

Merkels simples „Nein“ beim anstehenden EU-Gipfel würde den Status Quo sichern. Und sie kann darauf verweisen, dass Deutschland in Wahrheit in der EU mit dem Pochen auf Haushaltskonsolidierung als Top-Priorität nicht alleine steht, sondern von vielen nord- und osteuropäischen Staaten unterstützt wird. Dennoch ist die Lage schwierig.


Alle großen Partner machen Front gegen Merkel

Denn anders als im vergangenen Jahr hat Merkel alle großen Partner gegen sich. Aus völlig unterschiedlichen Gründen richten derzeit nervöse Partner aus Washington, London, Paris, Rom und Madrid Forderungen an Deutschland.

- Spanien wollte zwar nicht unter den Rettungsschirm, hat nun aber nichts mehr dagegen, vermutlich auch deshalb, weil Bankenhilfen ohne harte Auflagen möglich sind.

- Frankreichs neuer Präsident Francois Hollande träumt von den Eurobonds und einer Neuausrichtung der EU-Politik.

- Der Reformeifer von Italiens anfänglich hochgelobten Ministerpräsidenten Mario Monti ist erlahmt, weil er sich gegen die alten Parteien im Parlament in Rom nicht durchsetzen kann. Wie der sich in eine immer höhere Verschuldung flüchtende US-Präsident Barack Obama sucht Monti nun nach einem Schuldigen. „Deutschland sollte wirklich gründlich darüber nachdenken, dass sein eigener Exportschlager - die Kultur der Stabilität - untergraben zu werden droht, weil die notwendigen Instrumente gegen eine Ansteckung nicht schnell genug geschaffen werden“, macht er Stimmung gegen die Bundesregierung.

„Als ob die Bundesrepublik an der hohen Verschuldung Italiens und mangelnden Strukturreformen schuld sei“, reagiert man in Berlin hinter den Kulissen verschnupft. „Alle Instrumente stehen bereit, um die Sicherheit der Banken in der Eurozone zu gewährleisten“, wird in der Erklärung der Berliner Koalitionsspitzen betont. Aber auf dem G20-Treffen Mitte Juni wird sie auch die Sorgen der Schwellenländer über die Euro-Zone zu hören bekommen.
Nichts an dem Streit sei persönlich gemeint, räumt man auch in der Bundesregierung ein. Nur treiben derzeit die Interessen Deutschlands und der Partner tatsächlich auseinander. Je niedriger die Zinssätze auf deutsche Staatsanleihen sind, je stärker sich die Arbeitslosenquoten in der Bundesrepublik und anderen Euro-Ländern unterscheiden, desto stärker wird das Interesse fast aller Euro-Partner an gemeinsamen Staatsanleihen.

Denn dadurch könnten sie von der sehr guten deutschen Bonität profitieren und müssten weniger Zinsen für die Bedienung ihrer Schulden zahlen. Der Preis für den deutschen wirtschaftlichen Erfolg ist also die zunehmende politische Einsamkeit.  Nur könne es nicht deutsches Interesse sein, alle Lasten zu schultern und sich selbst zu schwächen, argumentiert Merkel.

Den Wirtschaftsrat, der sonst wenig pfleglich mit der Kanzlerin umgeht, hat sie auf ihrer Seite. Am Montag machte der Präsident des Gremiums, Kurt Lauk, Merkel Mut und sicherte ihr volle Unterstützung zu. „Ich gehe davon aus, dass sie weiter eine harte Haltung hat, sonst fliegt Europa auseinander“, sagte Lauk.


Enger Zeitplan für die Euro-Rettung

Mahnende Stimmen aus der CDU richten sich auch die Opposition. SPD und Grüne sollten im nationalen und europäischen Interesse die Ratifizierung des Fiskalpakts und des ESM nicht weiter blockieren, sagte unlängst Generalsekretär Hermann Gröhe. Ansonsten gebe es „mehr Schulden in Europa, mehr Haftung für Deutschland“. Das aber ist bei den Anhängern aller Parteien unpopulär.

Warum Merkel trotz des Drucks auf jeden Fall hart bleiben will, hat sie auch schon auf dem Ostseerat in Stralsund deutlich gemacht. Die Erfahrung aus den Jahren der gemeinsamen Währung sei doch gewesen, dass billiges Geld die Partner zum Nichtstun verführt habe. Deshalb sei es fatal, Europa nun etwa mit der Eurobond-Debatte zwangsweise mit der Vergemeinschaftung der Schulden beglücken zu wollen. „Dem werde ich unter keinen Umständen folgen“, betonte Merkel. Zumindest bei diesem Thema weiß sie jetzt die Spitzen von CSU und FDP hinter sich.

Das alles ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass Merkel langsam, aber sicher die Zeit davon läuft. Denn der Fahrplan in der Euro-Krise ist eng.

- Morgen wollen die Spitzen von Koalition und Opposition bei Merkel letzte Hand an einen Kompromiss für den Fiskalpakt legen. An der Sitzung sollen auch Vertreter der Länder teilnehmen. Dort gibt es erhebliche Bedenken dagegen.
- Am Sonntag wählen die Griechen wählen ein neues Parlament. Das Votum gilt vielen als Entscheidung über den Verbleib des Landes in der Euro-Zone.

- Ein weiterer wichtiger Termin steht am 18./19. Juni an, wenn im mexikanischen Los Cabos die führenden Wirtschaftsmächte (G20) zusammen kommen. Auch hier dürfte die Euro-Schuldenkrise  beherrschendes Thema sein.

- Für Spanien und seinen Finanzsektor schlägt dann am 21. Juni die Stunde der Wahrheit: Spätestens bis zu diesem Datum sollen die Beratungsunternehmen Oliver Wyman und Roland Berger ihren Bericht über die Lage der spanischen Banken vorlegen. Erst danach will die Regierung in Madrid den Antrag auf Hilfskredite stellen.

- Spannend wird es in der letzten Juniwoche. Denn der Bundestag soll den Fiskalpakt möglichst in der letzten Sitzung vor der Parlamentspause und noch vor dem EU-Gipfel verabschieden. Wann der Bundesrat sich damit befasst, ist noch nicht klar. Möglicherweise gibt es eine Sondersitzung der Länderkammer am 29. Juni. Letzte reguläre Sitzung vor den Ferien ist am 6. Juli.

- Die entscheidenden Tage für die Euro-Fighter sind dann der 28./29. Juni sowie der 1. Juli: Der EU-Gipfel soll die Weichen im Kampf gegen die Schuldenkrise neu stellen – mit dem Ziel die politische und wirtschaftliche Union zu vertiefen. Kurz danach soll neue ständige Krisenfonds ESM den bisherigen Rettungsschirm EFSF ablösen.

Geht alles gut, haben die Euro-Retter wieder einmal Zeit gewonnen. Ob das allerdings auch Merkel nützt und ihre Position in der Euro-Politik stärkt, ist eine offene Frage. Erste Antworten dürfte der heutige Wirtschaftstag liefern.

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