Europa und die schwarze Null Was auf den neuen Finanzminister Olaf Scholz jetzt zukommt

Die SPD jubelt: Einer der ihren stellt den neuen Bundesfinanzminister. Doch das Amt wird für Olaf Scholz zur Mammutaufgabe.

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Berlin Europa stand im Mittelpunkt des traditionellen Matthiae-Mahls in Hamburg. Es ist der letzte große Auftritt von Olaf Scholz als Bürgermeister der Hansestadt. Einer der Ehrengäste ist EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. In seiner neuen Funktion wird Scholz ihn häufiger treffen – dann jedoch in Brüssel und nicht an der Elbe. Denn am Mittwoch wird Scholz zum neuen Bundesfinanzminister ernannt.

Er tritt damit ein Amt an, das über viele Jahre von Wolfgang Schäuble geprägt wurde. Der CDU-Politiker hat Eindruck hinterlassen – an der Wilhelmstraße in Berlin, bei den Nachtsitzungen in Brüssel, in den Gesprächen mit den Amtskollegen in Übersee. Und er hat die schwarze Null – den ausgeglichenen Bundeshaushalt – zu seinem Markenzeichen gemacht.

An Selbstbewusstsein mangelt es aber auch Olaf Scholz nicht. Fast schon legendär sind seine Worte, als er 2009 als neuer Vorsitzender der am Boden liegenden Hamburger SPD sagte: „Wer bei mir Führung bestellt, muss wissen, dass er sie dann auch bekommt.“ Entsprechend regierte der 59-Jährige seit 2011 auch die Hansestadt – und ließ die Felder „Dialog und gehört werden“ oft links liegen.

Anders als in Hamburg hat Scholz künftig in Berlin nicht die Richtlinienkompetenz. Aber mit dem Finanzministerium hat er sich ein Schlüsselressort gesichert. Das sind die Herausforderungen, die Scholz zu meistern hat.

Der Abschied aus Hamburg

Der Abgang von Olaf Scholz kommt wahrlich nicht überraschend und doch ist er erst jetzt offiziell. Noch an diesem Freitag kommt der SPD-Landesvorstand zusammen, um über die Auswirkungen der Kabinettsbildung auf die Hansestadt zu beraten. Das Ergebnis will Scholz, der auch SPD-Landesvorsitzender ist, im Anschluss bekanntgeben.

Als Favorit für die Senatsspitze gilt der bisherige Fraktionsvorsitzende Andreas Dressel. Aber auch der Name von Sozialsenatorin Melanie Leonhard wurde bis zuletzt gehandelt. Die endgültige parteiinterne Entscheidung trifft ein SPD-Parteitag am 24. April, ehe vier Tage später die Bürgerschaft darüber abstimmen soll.

Scholz hinterlässt in Hamburg eine SPD, die nicht mehr so unangefochten dasteht wie zu Beginn seiner Amtszeit als Bürgermeister 2011. Damals hatte er die SPD bei der Bürgerschaftswahl zur absoluten Mehrheit geführt, vier Jahre später reichte es immerhin zu einer komfortablen Mehrheit gemeinsam mit den Grünen als Koalitionspartner.

Scholz selbst hat laut der Befragung des Politikforschungsinstituts Policy Matters im Auftrag der Wochenzeitung „Die Zeit“ spürbar an Vertrauen verloren. Waren vor zwei Jahren noch zwei von drei Hamburgern (69 Prozent) mit seiner Arbeit zufrieden, ist es aktuell nur noch jeder Zweite (51 Prozent). Ein wesentlicher Grund für das abnehmende Vertrauen in den Bürgermeister sei wohl der von Gewalt überschattete G20-Gipfel im vergangenen Juli, bei dem Scholz kein gutes Bild abgab.

Die ersten Tage

Am kommenden Mittwoch soll Olaf Scholz ernannt und vereidigt werden. Künftig steht er nicht nur dem Finanzministerium vor – als Vizekanzler führt er in Abwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel auch das Kabinett. Zudem koordiniert er als Vizekanzler die Arbeit der SPD-Ministerien in der Regierung.

Kaum im politischen Berlin angekommen, reist er auch schon wieder ab. Seine erste Auslandsreise als Bundesfinanzminister führt ihn nach Argentinien. In Buenos Aires treffen sich die G20-Finanzminister und Notenbankchefs.

Denn die Macht des Bundesfinanzministers erstreckt sich über Europa hinaus. So ist das Ministerium seit den Siebzigerjahren für den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank zuständig. 1999 kam noch die G20-Runde der größten Industrie- und Schwellenländer hinzu, die in der Finanzkrise sehr wichtig wurde.

Die verflixte schwarze Null

In seinem Amtssitz an der Berliner Wilhelmstraße schreibt man nicht nur Steuergesetze. Dort wacht der Minister auch über die mehr als 330 Milliarden Euro, die es jährlich im Bundeshaushalt zu verteilen gibt. Für die CDU ist es schmerzhaft, den Posten nun bei der SPD zu wissen.

Entsprechend mahnt selbst die Kanzlerin: „Wenn in Zukunft die Sozialdemokratie das Finanzministerium besetzt, dann werden unsere Haushaltspolitiker noch mehr aufpassen müssen, dass wir nicht Schulden auf dem Rücken unserer Kinder und Enkel machen“, sagte Angela Merkel jüngst.

Viele in der CDU haben Scholz bereits gewarnt: bloß kein Kurswechsel, bloß kein Ende der strikten Etatdisziplin mit Haushaltsplänen ohne neue Schulden.

Und was sagt Scholz selbst? Der langjährige Hamburger Bürgermeister ist ein ausgewiesener Finanzfachmann. Und er hat bereits versprochen, seine Partei werde in einer Großen Koalition am ausgeglichenen Haushalt festhalten. „Die Sozialdemokraten stehen für solide Finanzen“, so Scholz. „Bei allen zusätzlichen Wünschen müssen wir genau schauen, was wir uns leisten können und was nicht.“ Schließlich kann die derzeit gute Lage bei den Staatsfinanzen auch schnell wieder vorbei sein.

Der Haushaltsentwurf des vorigen Finanzministers Wolfgang Schäuble (CDU) vom Juni dürfte für die Koalition eine gute Grundlage bilden. Er sieht Ausgaben von 337,5 Milliarden Euro für das laufende Jahr vor und weitere 1054,4 Milliarden bis 2021 vor. Der Koalitionsvertrag plant mit einem zusätzlichen Spielraum von knapp 46 Milliarden Euro.

Beobachter erwarten zudem, dass Union und SPD sich angesichts des Zeitdrucks erst mit dem Haushalt für 2019 ernsthaft an die breite Umsetzung von Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag machen – für den der Entwurf übrigens traditionell schon im Juni oder Juli vorliegen sollte.

Manche Ausgaben in den Bereichen Bildung, Wohnungsbau oder kommunaler Straßenbau sind ohnehin erst für die Zeit nach 2020 geplant. Wie viel Steuereinnahmen in den kommenden Jahren in die Staatskasse fließen dürften, wird die Steuerschätzung im Mai erweisen.

Ein Spaziergang steht aber dennoch nicht an, denn die GroKo ist eben auch eine Vernunftehe geschwächter Volksparteien. Unter Druck stehen alle. Die SPD hat sich nur mit Hängen und Würgen und gegen heftige Bedenken von Teilen der Basis zur GroKo durchgerungen. Wie die CDU musste sie bei der Bundestagswahl deutliche Verluste hinnehmen. Für die CSU steht die nächste Nagelprobe mit den Landtagswahlen im Oktober unmittelbar bevor.

So hat die SPD wenig Freude an der kostspieligen Ausweitung des CSU-Projekts Mütterrente, die mit 3,4 Milliarden Euro pro Jahr zu Buche schlagen dürfte. Das Unionsvorhaben Baukindergeld hätte die SPD gern anders gestaltet. Es ist Teil eines Haushaltspostens, für den bis 2021 laut Koalitionsvertrag bis zu zwei Milliarden Euro zur Verfügung stehen.

Die Europäische Union erneuern

Längst drückte der deutsche Finanzminister auch der Europapolitik seinen Stempel auf. Deutlich war das in der Euro-Krise zu sehen, als der hart verhandelnde Finanzminister Schäuble zur Hassfigur vieler südeuropäischer Staaten wurde. Seine Anhänger wiederum sahen Schäubles Finanzressort als Bollwerk gegen die finanziellen Begehrlichkeiten hoch verschuldeter Krisenländer.

Scholz deutete dagegen schon mal einen möglichen Kurswechsel in der europäischen Finanzpolitik an. „Wir wollen anderen europäischen Staaten nicht vorschreiben, wie sie sich zu entwickeln haben“, sagte Scholz jüngst dem „Spiegel“. „Da sind in der Vergangenheit sicherlich Fehler gemacht worden.“ Auch ihrer Bewertung des des Koalitionsvertrags stellte die SPD als einen zentralen Punkt heraus: „Ende des Spardiktats in Europa“.

Allerdings waren die harten Reform- und Sparauflagen für Griechenland, Spanien oder Portugal Bedingungen für die Auszahlung milliardenschwerer Hilfspakete – die jeweils die Zustimmung des Haushaltsausschusses im Bundestag brauchten. Dass ein Ja des Parlaments angesichts der Euro-kritischen Fraktionen AfD und FDP einfacher zu haben wäre, kann man ausschließen.

Auf eine wichtige Geste haben Union und SPD sich längst verständigt, Scholz wird sie in seinem Sinne nutzen können: Deutschland ist bereit, die Beiträge zum EU-Haushalt zu erhöhen, was helfen kann, die Lücke zu schließen, die die Briten mit ihrem Exit 2019 reißen dürften.

Von einem von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron geforderten Finanzminister für die Euro-Zone ist im Koalitionsvertrag zwar keine Rede. Immerhin aber von besonderen Haushaltsmitteln „für wirtschaftliche Stabilisierung und soziale Konvergenz und für die Unterstützung von Strukturreformen in der Euro-Zone, die Ausgangspunkt für einen künftigen Investivhaushalt für die Euro-Zone sein können“. Doch der Stabilitäts- und Wachstumspakt, der für Haushaltsdisziplin sorgen soll, bleibt als „Kompass“ unangefochten – daran kommt auch Scholz nicht vorbei.

Frankreichs Präsident Macron freut sich jedenfalls auf die Zusammenarbeit: „Frankreich und Deutschland werden in den kommenden Wochen gemeinsam an neuen Initiativen arbeiten, um das europäische Projekt voranzubringen.“

Die Union in Schach halten

Finanzminister waren am erfolgreichsten ,wenn sie gut mit dem Kanzleramt zusammenarbeiten konnten. Scholz-Kenner sind sich sicher, dass der neue Finanzminister gut mit Angela Merkel harmonieren wird, da sich beide vom Naturell her sehr ähnlich seien.

Allerdings hat sich die SPD auch vorgenommen, sich in einer neuen Großen Koalition stärker von der Union abgrenzen zu wollen. Für Scholz wird das zur Gratwanderung. Insbesondere dann, wenn er die Ambition hat, sich als Finanzminister für das Amt des Bundeskanzlers zu qualifizieren.

Hinzu kommt: Die neue Bundesregierung kann in der Legislaturperiode nach bisheriger Schätzung rund 46 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben. Doch das reicht längst nicht für alle Versprechen im Koalitionsvertrag, Ökonomen schätzen, dass sich diese eher auf 90 Milliarden Euro summieren.

Sollte die Konjunktur einbrechen, wäre Scholz in der Rolle, die für frühere Finanzminister der Normalfall war: Er müsste Ausgaben kürzen – und sich damit unbeliebt machen.

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