Europäische Lösung gesucht Der Preis für Merkels Asyl-Position

Angela Merkel Quelle: Bloomberg

Angela Merkel verliert mit ihrer Ablehnung von Zurückweisungen nicht nur den Rückhalt in der Bevölkerung. Deutschland gerät in eine schwache Verhandlungsposition gegenüber den EU-Partnern.

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Der deutschen Öffentlichkeit wird von der Bundeskanzlerin schon einiges zugemutet in diesen Tagen. All die Meldungen über ein offenbar weitgehend dysfunktionales Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das tausendfach ungerechtfertigte Asylbescheide erteilte. Ein des Mordes Verdächtiger, der zuvor nicht in den Irak abgeschoben werden konnte, dorthin zurück „flüchtet“, festgenommen und wieder nach Deutschland geflogen wird. Nun wird durch den Konflikt zwischen der Bundeskanzlerin und ihrem Innenminister Horst Seehofer auch noch bekannt, was letzterer einen „Skandal“ nennt: An der deutschen Grenze wird zumindest seit 2015 auch Menschen die Einreise nicht verweigert, die schon in anderen EU-Ländern registriert sind, ja sogar Menschen mit in Deutschland abgelehntem Asylbegehren und Einreiseverbot wurden bisher nicht zurückgewiesen.

Merkel beharrt darauf, dass Zurückweisungen unberechtigt Einreisender nicht in nationaler Verantwortung stattfinden dürfen, sondern auf der Basis einer "europäischen" Lösung mit den betreffenden Nachbarländern. Der Preis dafür ist nicht nur ein schwerer unionsinterner Konflikt und der Verlust des Rückhalts in der Bevölkerung. Laut einer Insa-Umfrage verlieren CDU und CSU im Vergleich zur Vorwoche zwei Punkte und erreichen nur noch 29 Prozent. Der ARD-Deutschlandtrend besagt, dass sich 86 Prozent der Deutschen eine konsequentere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber wünschen, noch 62 Prozent die Zurückweisung bestimmter Flüchtlinge an der Grenze.

Dazu kommt: Angela Merkel hat sich – und nicht zuletzt den deutschen Steuerzahler und Sparer – in eine Abhängigkeit von den europäischen Partnern bugsiert. Ihr Begehren einer „europäischen Lösung“ oder zumindest bilateraler Abmachungen mit denjenigen EU-Staaten, in die die nicht Einreiseberechtigten zurückgewiesen werden sollen, dürfte wohl noch ganz handfeste finanzielle Zusatzbelastungen und Risiken bedeuten. Denn die betreffenden Regierungen werden Merkel diese Abmachungen, die sie der CSU und ihren Wählern bald zu präsentieren verspricht, nicht umsonst geben. Zumindest wird Merkel die Verhandlungsbereitschaft der Partner in der Frage der Rücknahme der Migranten nicht durch allzu große Härte bei den Verhandlungen um die Zukunft der Eurozone strapazieren wollen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat schon im vergangenen Jahr klargestellt, was er sich wünscht. Einige seiner Forderungen hat die Kanzlerin mehr oder weniger geschluckt, nicht zuletzt die Umformung des Rettungsschirms ESM in einen gut ausgestatteten Europäischen Währungsfonds, der auch kurzfristige Kredite mit weniger harten Auflagen geben können soll. De facto also wird der Ausbau der Transferunion vorangetrieben. Eine zentrale Forderung Macrons, der Merkel bislang nicht zugestimmt hat, ist die Einrichtung der Position eines Finanzministers der Eurozone mit eigenem Budget für wachstumsfördernde Investitionen.

Die Chancen, sich diesen Wunsch zu erfüllen, dürften für Macron steigen, da Merkel wegen des Drucks aus der CSU und auch in der eigenen Partei und Wählerschaft das Wasser bis zum Hals steht. Macron hat schon deutlich gemacht, dass er die Position der Kanzlerin stärken will. Aber er tut das sicher nicht völlig selbstlos. Er wird die Kanzlerin künftig beim Wort nehmen und stets „europäische“ Lösungen einfordern – also solche, bei denen Paris mitredet.

Frankreich selbst übrigens weist längst Migranten an seiner Grenze zu Italien ab, und zwar ohne dass man das in Berlin öffentlich zur Kenntnis nahm. Eine europäische Lösung hatte Paris da ebenso wenig nötig wie im Herbst und Winter 2015/16, als Frankreich penibel darauf achtete, kein vernehmbares „Refugees-Welcome“-Signal zur Entlastung Deutschlands zu senden.

Entscheidend dürfte aber sein, ob Italiens neue Regierung Merkel entgegenkommt. Ministerpräsident Conte wird seinen populistischen Arbeitgebern von der Lega und der „Fünf Sterne“-Bewegung wohl kaum ohne eine vorzeigbare deutsche Gegenleistung unter die Augen treten können, wenn er Merkels Wunsch nach einem Abkommen zur Rücknahme abgewiesener Migranten entspricht. Vordergründig geht es natürlich nur um „Solidarität“ in Migrationsfragen. Wobei aber seltsamerweise die Kanzlerin Conte Unterstützung zusagte – als ob nicht Deutschland sehr viel mehr Migranten aufnehme als Italien.

Schuldenerlass für Italien und Griechenland?

Hintergründig dürfte auch für Italiens Einwilligung die Kompromissbereitschaft Deutschlands auf einem anderen Politikfeld der notwendige Schmierstoff sein – inoffiziell natürlich. Worauf es Italiens Regierenden ankommt, hat der neue italienische Finanzminister, Giovanni Tria, kaum im Amt, schon deutlich gemacht: Er fordert den Schuldenerlass für sein Land. Die von der Europäischen Zentralbank aufgekauften Schuldtitel sollten komplett erlassen werden. Die – schuldenfinanzierten – Investitionspläne aus Paris und Brüssel sind ihm viel zu klein.

Tria vertrat in früheren Veröffentlichungen die Forderung nach „Helikoptergeld“: Die EZB soll neu geschaffenes Geld gleichmäßig über der Wirtschaft abwerfen. Kurz: Tria steht für das absolute Gegenteil einer stabilitätsorientierten, traditionell deutschen Fiskal- und Geldpolitik. Eine Eurozone nach seinen Vorstellungen wäre eine offene Transfer- und Haftungsunion – mit Deutschland als wichtigstem Transfergeber und Haftungsnehmer.

Einen solchen Schuldenerlass der EZB kann die Bundesregierung natürlich nicht unmittelbar zusagen. Was sie allerdings könnte: Signalisieren, dass sie einer solchen Aktion keinen hartnäckigen Widerstand leisten würde. Und dann ist da ja noch die Frage der Nachfolge von Mario Draghi als EZB-Chef. Die Chancen, dass ihn der stabilitätsbewusste Präsident der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, beerbt, dürften nicht gerade steigen.

Das zweite wichtige Erstaufnahmeland für einen sehr großen Teil der Migranten, die nach Deutschland weiterreisen, ist ausgerechnet Euro-Sorgenkind Griechenland. Auch hier dürften Flüchtlings- und Euro-Politik zumindest hintergründig miteinander in Berührung kommen. Die Finanzminister der Eurogruppe werden in dieser Woche noch in Luxemburg gemeinsam mit der EZB und dem Internationalen Währungsfonds über Erleichterungen für Griechenland entscheiden. Dass es die geben wird, hat Eurogruppen-Präsident Mario Centeno aus Portugal bereits in Aussicht gestellt. Ende August läuft das dritte Hilfsprogramm (in Höhe von 86 Milliarden Euro) aus. Bis Ende Juni will die Eurogruppe mit dem Internationalen Währungsfonds eine Lösung präsentieren, wie es danach weitergeht. Also: Welcher Teil der Schulden dem griechischen Staat erlassen wird und woher und wie viele Milliarden dann ab August nach Athen getragen werden. Vermutet wird, dass es entweder zum Tilgungsaufschub kommt und zusätzlich oder alternativ die Zinsen für die laufenden Kredite gestundet werden.

Deutschland hat weitgehende und automatische Schuldenerleichterungen für Griechenland bisher abgelehnt. 2016 – also noch zu Zeiten Wolfgang Schäubles als Bundesfinanzminister – war als Bedingung dafür die Besserung der ökonomischen Daten des Landes und die Realisierung der von Athen versprochenen Reformen genannt worden. Dass Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras kürzlich diese Bedingungen für „umgesetzt“ erklärte, kann nicht überraschen. Die Frage ist jetzt, ob Schäubles Nachfolger Olaf Scholz die tatsächlichen Bedingungen für sein Nachgeben nicht eher bei seiner Kanzlerin in Berlin als in Athen sieht.

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