Europäische Union Das Bundesverfassungsgericht ebnet den Weg in die EU-Transferunion

Mit seinem Urteil zum Corona-Wiederaufbaufonds beschleunigt das Bundesverfassungsgericht den Weg der EU in die Schuldenunion. Damit schadet es der Demokratie und verspielt seine Autorität als Hüter des Grundgesetzes. Ein Gastbeitrag.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Beobachtern, die mit der Richteroligarchie in Karlsruhe langjährige Erfahrungen haben, war seit der mündlichen Verhandlung zur Vereinbarkeit des mittlerweile in Gang gesetzten EU-Verschuldungsprojektes Next-Generation-EU (NGEU), besser bekannt als Corona-Wiederaufbaufonds, eines klar: das Bundesverfassungsgericht würde den Fall nicht einmal dem Europäischen Gerichtshof vorlegen, sondern aus eigener Machtvollkommenheit einen Ultra-Vires-Akt verneinen.

Denn so voreingenommene Richter wie Frau Langenfeld hatten in der mündlichen Verhandlung bereits angedeutet, dass sie trotz des Volumens von 800 Milliarden Euro die Budgethoheit des Bundestags nicht gefährdet sahen. Entgegenstehende Gutachten wie die quantifizierten Hinweise des Finanzwissenschaftlers Friedrich Heinemann vom Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) auf gesamtschuldnerische Ausfallhaftung wurden vom Zweiten Senat gar nicht erörtert. 

Doch das Urteil vom 6.12.2022, mit dem das Bundesverfassungsgericht das Verschuldungsprojekt NGEU als „nicht offensichtlich“ kompetenzüberschreitend würdigt, hat einen hohen Preis. Zum einen zeichnet das Bundesverfassungsgericht den legalen Weg in die EU-Schuldenunion, eine Gebrauchsanweisung für Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen & Co, um die Gemeinschaftsverschuldung voranzutreiben.

Ein Verfassungsrichter widerlegt das Verfassungsgericht 

Zum anderen sind die argumentativen Defizite so gravierend, dass sich ein Mitglied des Zweiten  Senats, Peter Müller, zu einem geharnischten Sondervotum verpflichtet sah. Darin heißt es: „Die Behauptung der Senatsmehrheit, es handele sich bei NGEU um ein „einmaliges Instrument zur Reaktion auf eine präzedenzlose Krise“ und „nicht um den Einstieg in die Transferunion“ ist in mehrfacher Hinsicht nicht belastbar. Dem widerspricht nicht nur die fehlende Begrenzung der Verwendungszwecke des NGEU auf die Bewältigung der Folgen der COVID-19-Pandemie und die regelmäßige Verstetigung temporär eingeführter Instrumente über das Ende der jeweiligen Krise hinaus. Die Senatsmehrheit lässt auch außer Betracht, dass die Bundesregierung in Anknüpfung an Äußerungen des Bundesfinanzministers im Deutschen Bundestag erklärt hat, dass NGEU „einen notwendigen und überfälligen Schritt in Richtung Fiskalunion Europäische Union“ darstelle.“

Indes gibt sich Müller mit dieser methodischen Kritik an der Urteilsfindung nicht zufrieden. Er weist auf die Folgen dieser Judikatur hin: Den Marsch Europas in eine Transferunion ohne die dafür nötige Vertragsänderung. Müller schreibt: „Mit der Hinnahme von Art. 5 Abs. 1 Buchstabe a Eigenmittelbeschluss 2020 öffnet die Senatsmehrheit den Weg zu einer grundlegenden Veränderung der Finanzarchitektur der Europäischen Union, die durch ein dauerhaftes, nahezu paritätisches Nebeneinander von Eigenmitteln und Kreditaufnahmen geprägt ist. Die Haushaltsstrukturen der Europäischen Union verändern sich damit evident in Richtung auf eine Fiskal- und Transferunion. Zwar mag es dafür sehr gute politische Gründe geben. Dies ändert jedoch nichts daran, dass in keiner Weise ersichtlich ist, dass diese Haushaltsarchitektur dem Integrationskonzept, wie es in Art. 310 ff. AEUV festgelegt ist, entspricht. Der Weg zur Transformation der Europäischen Union in eine Transfer- und Verschuldungsunion führt daher nach meiner festen Überzeugung nur über eine Änderung der Verträge im Verfahren nach Art. 48 EUV.“

Staatsstreich gegen die Demokratie

Jetzt können die Brüsseler Kommissare Ursula von der Leyen, Paolo Gentiloni und Thierry Breton den französisch-italienischen Traum von der EU als Schulden- und Haftungsunion endlich legal zum deutschen Albtraum machen: Deutschland haftet demnächst für weitere EU-Schulden. Frau von der Leyen nennt das europäische Souveränität. 
Das Bundesverfassungsgericht hat am 6.12.22 der EU-Kommission den Freibrief für einen permanenten Staatsstreich gegen die nationalen Demokratien erteilt. Die Zerlegung Deutschlands, seine legale Liquidation als souveränes Land, hat durch die Karlsruher „Verfassungshüter“ am 6.12.2022 einen neuen Impuls erhalten.

Das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts ist damit nicht nur schwer angeschlagen sondern gegebenenfalls seine Autorität als Hüter des Grundgesetzes dürfte dahin sein. 

Dies führt zurück zum Anfangsstatement von Richter Müller:
„Den Vorhang zu und alle Fragen offen scheint mir keine geeignete Maxime zum effektiven Schutz des grundrechtsgleichen Rechts auf Demokratie aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG zu sein.“

Großaktionär des Brokers Flatex „Ich habe möglicherweise zu lange zugesehen“

Der Unternehmer Bernd Förtsch ist Großaktionär von Deutschlands wichtigstem Broker Flatexdegiro: In beispielloser Offenheit seziert er jetzt die Fehler des Konzerns. Und kündigt Konsequenzen für den Vorstandschef an.

Goldhandel Bekommt das Finanzamt von meinem Goldverkauf etwas mit?

Ein Anleger fragt sich, ob er Gold auch steuerfrei verkaufen kann, wenn er keinen Nachweis zum Kauf hat. Würde das Finanzamt überhaupt etwas mitbekommen, wenn er einen Verkauf nicht meldet?

Energetische Sanierung So sanieren Eigentümer ihr Haus besonders schnell und günstig

Jedes dritte Haus in Deutschland müsste saniert werden. Mit neuen und pragmatischen Konzepten ginge es schneller und günstiger.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Dies ist gewiss eine höfliche Formulierung der Zweifel eines Verfassungsrichters an der Funktionalität des Gerichts, dem er angehört. Aber dahinter verbirgt sich vielleicht eine bohrende Frage: Ist der Vorhang der Geschichte schon längst für das Bundesverfassungsgericht gefallen?

Lesen Sie auch: Europa muss endlich die Sprache der Macht lernen! 

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%