Europäischer Gerichtshof Wie die Richter den Europäern das Leben schwermachen

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(Über)politische Instanz trifft nicht europaweit auf Gefallen

Die politisch motivierte Rechtsprechung des EuGH mag in Deutschland mit seinen notorisch EU-freundlichen Funktionseliten und seiner ebenso notorisch integrationsfreundlichen Öffentlichkeit widerspruchslos akzeptiert werden. Dazu kommt, dass in Deutschland die Vorstellung von Europa als Rechtsgemeinschaft stark verwurzelt ist. Auch aus der nationalen Politik kennen und schätzen die Deutschen die starke Stellung des Verfassungsgerichts als (über)politische Instanz.

In anderen Mitgliedstaaten ist das anders. Nicht zuletzt in Großbritannien. Dort wurden EuGH-Urteile oft als aggressiv und übergriffig empfunden. Das liegt nicht nur an dem dort und in den jüngeren osteuropäischen Mitgliedsstaaten sehr viel stärker als in Deutschland ausgeprägten Bewusstsein für nationale Souveränitätsrechte. Der britische Widerwille gegen europäische Urteile mit politischer Wirkung beruht auch auf der Rechtstradition des „Common Law“. Dem sei nämlich, so schreibt der Freiburger Historiker Ronald G. Asch, war „die Idee einer gerichtlichen Überprüfung von Parlamentsgesetzen fremd, nicht zuletzt, weil das Parlament selbst als höchster Gerichtshof galt.“  

Der EuGH war daher für die Brexit-Befürworter eines der durchschlagenden Argumente gegen die EU-Mitgliedschaft. „Die Tragweite des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg hat ein Maß erreicht, das den Status Quo unhaltbar macht“, schrieb zum Beispiel Marina Wheeler, einflussreiche Juristin und Gattin des britischen Außenministers Boris Johnson, vor dem Referendum im Februar 2016.

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Man muss wohl davon ausgehen, dass weitere vom EuGH und der Europäischen Kommission forcierte aber demokratisch nicht legitimierte Integrationsschritte in den Mitgliedsstaaten zum Anwachsen von politischen Gegenkräften beitragen. Die Alternative zur Drosselung des heiß laufenden „Motors der Integration“ in Luxemburg könnte irgendwann sein, dass seine Urteile einfach nicht mehr umgesetzt werden. Schließlich hat die EU, wenn es hart auf hart kommt, wenig Zwangsmittel, um Rechtsakte gegen nationalstaatliche Widerstände durchzusetzen. Das hat die junge Geschichte der Währungsunion mit ihren allseits ignorierten Defizitgrenzen überdeutlich gezeigt.

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