Ex-Bundesbank-Chef Karl Otto Pöhl im Interview „In Europa werden wir bald wieder Nummer eins“

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Hatten Sie das nicht erwartet? Nein. Ich hatte befürchtet, dass es Krisen geben würde und Versuche, die Wechselkursrelationen der beteiligten europäischen Länder noch einmal zu ändern. Das ist bisher nicht eingetreten. Die Italiener, Spanier und Portugiesen werden aber noch in Schwierigkeiten geraten, weil die Löhne in diesen Ländern doppelt so schnell steigen wie in Deutschland. Diese Länder verlieren zurzeit rapide an Wettbewerbsfähigkeit. Ohne Konvergenz der nationalen Volkswirtschaften kann eine Währungsunion aber auf Dauer nicht funktionieren. Und ohne einen gewissen politischen Rahmen ebenso wenig. Deshalb bin ich skeptisch, was die Zukunft des Euro betrifft. Zum Glück ist der Preis für ein Land, das den Euro verlassen will, ziemlich hoch. In Italien wird schon seit einiger Zeit über einen Ausstieg aus der europäischen Währung diskutiert. Die Probleme der genannten Länder nehmen dramatisch zu. Spaniens Leistungsbilanzdefizit etwa ist relativ zum Bruttoinlandsprodukt schon größer als das amerikanische. Früher hat der Markt das mit einer Abwertung der Währung oder mit höheren Zinsen bestraft. Jetzt wird das durch die gemeinsame Währung übertüncht. Eigentlich müssten die Zinsen in Spanien, Italien und Portugal viel höher sein. Warum ist das nicht so? Weil die Märkte glauben, dass die Europäische Währungsunion Bestand haben wird. Weil die Volkswirtschaften dieser Länder ihre Währung nicht mehr abwerten können, verlieren sie an Wettbewerbsfähigkeit und bezahlen dies mit wachsenden Leistungsbilanzdefiziten und mit einem Verlust an Arbeitsplätzen. Warum zeigen sich diese Probleme erst jetzt, sieben Jahre nach Beginn der Währungsunion? Weil Deutschland mit einem zu hohen Wechselkurs gestartet ist. Dieser anfängliche Nachteil ist durch den geringeren Anstieg der deutschen Reallöhne inzwischen aber teilweise korrigiert. Der zu hohe Wechselkurs beim Start der Währungsunion dürfte auch zu Deutschlands Wachstumsschwäche in den vergangenen Jahren beigetragen haben. Als Sie in den Sechzigerjahren für den „Volkswirt“ schrieben, aus dem die „WirtschaftsWoche“ hervorging, und später in Ihrer Zeit im Finanzministerium und als Bundesbankpräsident war Deutschland wirtschaftlich stark und galt vielen in der Welt als Vorbild. Worauf führen Sie zurück, dass unser Land innerhalb von zwei Jahrzehnten wirtschaftlich so abstürzte? Der entscheidende Grund für die Wachstumsschwäche der vergangenen Jahre sind neben dem zu hohen Wechselkurs beim Start der Europäischen Währungsunion in erster Linie die ökonomischen Fehler bei der deutschen Wiedervereinigung. Vor allem die zu schnellen Lohnerhöhungen, für die sich ja nicht nur die Gewerkschaften und die Regierung, sondern auch die Unternehmen im Westen eingesetzt hatten, um sich Schmutzkonkurrenz aus dem Osten vom Leib zu halten. Genauso hat die schnelle Rentenanpassung zu den Problemen bei der Finanzierung der Sozialsysteme geführt. Ich erinnere mich noch gut an die Diskussion im Bonner Kanzleramt, als Norbert Blüm alle volkswirtschaftlichen Argumente, die für einen Abschlag für die ostdeutschen Rentner sprachen, vom Tisch fegte und Helmut Kohl ihn gewähren ließ, vermutlich wider besseres Wissen. Wirtschaftlicher Sachverstand spielte bei der Wiedervereinigung keine Rolle. Sie hielten damals auch den Umrechnungskurs zwischen Ost- und Westmark bei der deutschen Währungsunion für falsch. Fühlen Sie sich bestätigt? Leider. Wobei der Umtauschsatz für die Vermögen keine Rolle spielte. Die Brüder und Schwestern im Osten hatten ja nicht sehr viel. Entscheidend war, dass die ostdeutschen Unternehmen mit Beginn der Währungsunion alles in D-Mark bezahlen mussten, ihre Rechnungen, ihre Löhne, ihre Steuern und Abgaben, aber auf der anderen Seite keine D-Mark erlösten. Ihre Märkte waren in Russland, in Osteuropa, und die brachen kurze Zeit später auch noch zusammen. Macht die Bundeskanzlerin Angela Merkel heute eine bessere Wirtschaftspolitik als Helmut Kohl? Nein. Ich vermisse bei ihr und der großen Koalition insgesamt ein wachstumspolitisches Konzept. Vielleicht hat Angela Merkel ja eins, kann es aber in der Koalition mit der SPD nicht durchsetzen? Wenn, dann kann sie das nicht mal in ihrer eigenen Partei. Die CDU wird immer mehr wie die SPD. Wenn Herr Rüttgers sagt, Steuersenkungen brächten kein Wachstum und keine Arbeitsplätze, dann muss Frau Merkel das ja nicht übernehmen. Ist Ihre Partei, die SPD, wirtschaftspolitisch auf der Höhe der Zeit? Nein, die SPD hat alles vergessen, was sie in den Fünfziger- und Sechzigerjahren nach vorne brachte. Ich bin vor einem Jahr aus der Partei ausgetreten, nachdem ich mich innerlich schon lange vorher von ihr verabschiedet hatte. Und obwohl ich der SPD viel zu verdanken habe. Aber solange dort Leute wie Andrea Nahles den Ton angeben, wird die Partei auf keinen grünen Zweig mehr kommen. Das ganze Gerede von sozialer Gerechtigkeit, Kündigungsschutz, Mindestlohn, das bremst doch nur. Und wenn Kurt Beck jetzt die Leistungsträger in der Mitte wiederentdeckt, ist das reiner Machtopportunismus, ein vernünftiges wirtschaftspolitisches Konzept dafür hat er nicht. Deutschland hat im Zeitalter der Globalisierung und angesichts der Konkurrenz durch Länder wie China und Indien nur mit einer liberalen Wirtschaftsordnung eine Chance.

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