Ex-Bundesbank-Chef Karl Otto Pöhl im Interview „In Europa werden wir bald wieder Nummer eins“

Der ehemalige Bundesbankpräsident und Privatbankier Karl Otto Pöhl über die Globalisierung, den Euro und die Defizite der großen Koalition.

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Ex-BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel, AP

WirtschaftsWoche: Herr Pöhl, Deutschland gerät durch die Konkurrenz aus Asien, vor allem aus China und Indien, zunehmend unter Druck. Inzwischen werden die Stimmen immer lauter, die nach protektionistischen Maßnahmen rufen. Der Wirtschaftsminister fordert den chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao auf, den Exportüberschuss seines Landes mit Deutschland abzubauen. Die „Welt am Sonntag“ überschrieb einen Leitartikel mit der Frage „Was tun gegen Chinas Aufstieg zur Weltmacht?“, der „Spiegel“ titelte martialisch „Angriff aus Fernost“ und der Autor der Story durfte der Bundeskanzlerin im vertrauten Kreis seine Thesen vorstellen, wie sich China am besten eindämmen lässt. Wird Protektionismus jetzt wieder salonfähig? Pöhl: Auszuschließen ist das nicht. Was jetzt in Deutschland unter dem Schlagwort „Managed Trade“ im „Spiegel“ und im Kanzleramt diskutiert wird, ist reiner Protektionismus. Und in den USA fordern Senatoren ja schon Schutzzölle auf chinesische Waren, wenn die Chinesen nicht ihre Währung aufwerten. Wie sollte Deutschland auf die Herausforderung der Globalisierung und den Aufstieg von China und Indien reagieren? Deutschland wird sicherlich an Bedeutung in der Welt verlieren. Aber das bedeutet ja noch nicht zwangsläufig wirtschaftlichen Niedergang. Wir haben eine viel höhere Produktivität als China oder Indien, eine vorzügliche Infrastruktur... ...aber trotzdem werden uns China und Indien, ja sogar Brasilien und Russland, in den nächsten Jahrzehnten wirtschaftlich überholen, prognostizieren die Ökonomen der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs. Das mag ja sein, aber was heißt das schon? Das heißt doch nur: Ihre Volkswirtschaft wird größer sein als die unsere, aber deswegen sind sie noch nicht reicher als wir. Beim Pro-Kopf-Einkommen werden diese Länder weiterhin weit hinter uns bleiben. Der um sich greifende Alarmismus ist also völlig fehl am Platze? Für Deutschland bin ich überhaupt nicht pessimistisch. Wir sind gerade dabei, in Europa wieder zur Nummer eins zu werden. Unsere Unternehmen haben an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen. Wir sind das Land mit dem größten Exportüberschuss, nur deshalb ist die europäische Leistungsbilanz noch einigermaßen ausgeglichen. Deutschlands Bedeutung in Europa wird wieder zunehmen, wenn wir die Folgen der Wiedervereinigung erst einmal verdaut haben. Mit Protektionismus schneiden wir uns also nur selbst ins Fleisch? Ja, klar. Das würde unseren Unternehmen schaden, die in China tätig sind, das Absatzpotenzial des chinesischen Marktes für unsere Exporte versperren, die Arbeitslosenzahlen in die Höhe treiben und die Realeinkommen in Deutschland senken, weil viele Produkte künftig wieder teurer würden. Die Frage bleibt, welche Bedeutung hat Europa künftig noch in der Welt? Klar, die Asiaten werden in Zukunft eine größere Rolle spielen, Deutschland und Europa eine geringere. Das 21. Jahrhundert wird das asiatische sein. Aber das bedeutet nicht, dass Deutschland keine Zukunft mehr hat. Sie sehen Asiens Aufstieg und den relativen Abstieg des Westens also ganz gelassen? Das ist ein ganz natürlicher Vorgang. Zu Recht haben die Asiaten jetzt beim Treffen des Internationalen Währungsfonds in Singapur höhere Stimmrechte gefordert. Da muss sich einiges ändern. Die Quote der Chinesen ist, gemessen an ihrer weltweiten Bedeutung, viel zu gering. Und warum muss beim Währungsfonds traditionell eigentlich ein Europäer an der Spitze stehen? Warum kann das nicht auch ein Asiate sein? Warum haben die Amerikaner de facto ein Vetorecht? Das wird sich auf Dauer nicht halten lassen. Und es ist auch gut so, dass die Vorherrschaft der Amerikaner eingeschränkt wird. Was bedeutet die geopolitische Kräfteverschiebung für das internationale Währungssystem? Wenn sich alle vernünftig verhalten, haben wir heute schon ein optimales Währungssystem. Infolge des großen Leistungsbilanzdefizits der USA verfügen alle die Länder, die vor zehn Jahren bei der asiatischen Finanzkrise noch unter Druck geraten sind, heute über ausreichend Devisenreserven. Die Chinesen mit fast einer Billion Dollar können nicht zum Objekt spekulativer Attacken werden. Auch Indien und Russland nicht. Durch den Ölpreis haben die Russen jetzt so hohe Einnahmen, dass sie sogar ihre Schulden vorzeitig zurückzahlen können. Diese hohen Währungsreserven sind aber auch Ausdruck von großen Ungleichgewichten im Handel. Das kann doch auf Dauer nicht so bleiben. Sollten die Chinesen ihre Währung nicht besser aufwerten? Die werden das schon noch tun, schon damit es nicht zu einem Dollar-Crash kommt. Denn daran können bei so viel Dollar-Reserven auch sie kein Interesse haben. Werden mit den asiatischen Volkswirtschaften auch deren Währungen an Gewicht gewinnen? Langfristig sicher, möglicherweise werden sie sich auch eines Tages zusammenschließen wie wir hier in Europa. Wird der chinesische Yuan in 20 Jahren wichtiger sein als Dollar oder Euro? Möglicherweise wichtiger als der Euro. Das setzt allerdings voraus, dass der Yuan eine frei handelbare Währung wird. Mit dem Euro haben die Europäer eine Konkurrenz zur Weltwährung Dollar geschaffen. Wird der Euro sich behaupten können, auch wenn Europa wirtschaftlich nicht stärker wird und es nicht zu einer politischen Union schafft? Anfangs hat der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl immer gesagt, ohne politische Union gibt es keine Währungsunion. Später, in Maastricht, hat er das Argument umgedreht und gesagt, die Währungsunion führt zur politischen Union. Aber ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird. Die EU wird immer größer, und sie ändert dadurch ihren Charakter. Trotzdem hat sich der Euro bisher erstaunlich gut gehalten.

Hatten Sie das nicht erwartet? Nein. Ich hatte befürchtet, dass es Krisen geben würde und Versuche, die Wechselkursrelationen der beteiligten europäischen Länder noch einmal zu ändern. Das ist bisher nicht eingetreten. Die Italiener, Spanier und Portugiesen werden aber noch in Schwierigkeiten geraten, weil die Löhne in diesen Ländern doppelt so schnell steigen wie in Deutschland. Diese Länder verlieren zurzeit rapide an Wettbewerbsfähigkeit. Ohne Konvergenz der nationalen Volkswirtschaften kann eine Währungsunion aber auf Dauer nicht funktionieren. Und ohne einen gewissen politischen Rahmen ebenso wenig. Deshalb bin ich skeptisch, was die Zukunft des Euro betrifft. Zum Glück ist der Preis für ein Land, das den Euro verlassen will, ziemlich hoch. In Italien wird schon seit einiger Zeit über einen Ausstieg aus der europäischen Währung diskutiert. Die Probleme der genannten Länder nehmen dramatisch zu. Spaniens Leistungsbilanzdefizit etwa ist relativ zum Bruttoinlandsprodukt schon größer als das amerikanische. Früher hat der Markt das mit einer Abwertung der Währung oder mit höheren Zinsen bestraft. Jetzt wird das durch die gemeinsame Währung übertüncht. Eigentlich müssten die Zinsen in Spanien, Italien und Portugal viel höher sein. Warum ist das nicht so? Weil die Märkte glauben, dass die Europäische Währungsunion Bestand haben wird. Weil die Volkswirtschaften dieser Länder ihre Währung nicht mehr abwerten können, verlieren sie an Wettbewerbsfähigkeit und bezahlen dies mit wachsenden Leistungsbilanzdefiziten und mit einem Verlust an Arbeitsplätzen. Warum zeigen sich diese Probleme erst jetzt, sieben Jahre nach Beginn der Währungsunion? Weil Deutschland mit einem zu hohen Wechselkurs gestartet ist. Dieser anfängliche Nachteil ist durch den geringeren Anstieg der deutschen Reallöhne inzwischen aber teilweise korrigiert. Der zu hohe Wechselkurs beim Start der Währungsunion dürfte auch zu Deutschlands Wachstumsschwäche in den vergangenen Jahren beigetragen haben. Als Sie in den Sechzigerjahren für den „Volkswirt“ schrieben, aus dem die „WirtschaftsWoche“ hervorging, und später in Ihrer Zeit im Finanzministerium und als Bundesbankpräsident war Deutschland wirtschaftlich stark und galt vielen in der Welt als Vorbild. Worauf führen Sie zurück, dass unser Land innerhalb von zwei Jahrzehnten wirtschaftlich so abstürzte? Der entscheidende Grund für die Wachstumsschwäche der vergangenen Jahre sind neben dem zu hohen Wechselkurs beim Start der Europäischen Währungsunion in erster Linie die ökonomischen Fehler bei der deutschen Wiedervereinigung. Vor allem die zu schnellen Lohnerhöhungen, für die sich ja nicht nur die Gewerkschaften und die Regierung, sondern auch die Unternehmen im Westen eingesetzt hatten, um sich Schmutzkonkurrenz aus dem Osten vom Leib zu halten. Genauso hat die schnelle Rentenanpassung zu den Problemen bei der Finanzierung der Sozialsysteme geführt. Ich erinnere mich noch gut an die Diskussion im Bonner Kanzleramt, als Norbert Blüm alle volkswirtschaftlichen Argumente, die für einen Abschlag für die ostdeutschen Rentner sprachen, vom Tisch fegte und Helmut Kohl ihn gewähren ließ, vermutlich wider besseres Wissen. Wirtschaftlicher Sachverstand spielte bei der Wiedervereinigung keine Rolle. Sie hielten damals auch den Umrechnungskurs zwischen Ost- und Westmark bei der deutschen Währungsunion für falsch. Fühlen Sie sich bestätigt? Leider. Wobei der Umtauschsatz für die Vermögen keine Rolle spielte. Die Brüder und Schwestern im Osten hatten ja nicht sehr viel. Entscheidend war, dass die ostdeutschen Unternehmen mit Beginn der Währungsunion alles in D-Mark bezahlen mussten, ihre Rechnungen, ihre Löhne, ihre Steuern und Abgaben, aber auf der anderen Seite keine D-Mark erlösten. Ihre Märkte waren in Russland, in Osteuropa, und die brachen kurze Zeit später auch noch zusammen. Macht die Bundeskanzlerin Angela Merkel heute eine bessere Wirtschaftspolitik als Helmut Kohl? Nein. Ich vermisse bei ihr und der großen Koalition insgesamt ein wachstumspolitisches Konzept. Vielleicht hat Angela Merkel ja eins, kann es aber in der Koalition mit der SPD nicht durchsetzen? Wenn, dann kann sie das nicht mal in ihrer eigenen Partei. Die CDU wird immer mehr wie die SPD. Wenn Herr Rüttgers sagt, Steuersenkungen brächten kein Wachstum und keine Arbeitsplätze, dann muss Frau Merkel das ja nicht übernehmen. Ist Ihre Partei, die SPD, wirtschaftspolitisch auf der Höhe der Zeit? Nein, die SPD hat alles vergessen, was sie in den Fünfziger- und Sechzigerjahren nach vorne brachte. Ich bin vor einem Jahr aus der Partei ausgetreten, nachdem ich mich innerlich schon lange vorher von ihr verabschiedet hatte. Und obwohl ich der SPD viel zu verdanken habe. Aber solange dort Leute wie Andrea Nahles den Ton angeben, wird die Partei auf keinen grünen Zweig mehr kommen. Das ganze Gerede von sozialer Gerechtigkeit, Kündigungsschutz, Mindestlohn, das bremst doch nur. Und wenn Kurt Beck jetzt die Leistungsträger in der Mitte wiederentdeckt, ist das reiner Machtopportunismus, ein vernünftiges wirtschaftspolitisches Konzept dafür hat er nicht. Deutschland hat im Zeitalter der Globalisierung und angesichts der Konkurrenz durch Länder wie China und Indien nur mit einer liberalen Wirtschaftsordnung eine Chance.

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