
Berlin Kurz vor dem wichtigen EU-Gipfel Ende der Woche prallen die Gegensätze in der Union über den richtigen Kurs in der Flüchtlingskrise weiterhin unversöhnlich aufeinander. Bei einem Treffen im Kanzleramt wollen die Unionsspitzen um Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer am Mittwochabend erneut nach Wegen aus dem Streit suchen. Allerdings wird nicht erwartet, dass es zu einer Annäherung der Positionen kommt.
Am Mittag will die Kanzlerin zunächst im Bundestag eine Regierungserklärung abgeben, bei der das geplante Abkommen mit der Türkei zur Bewältigung der Flüchtlingskrise im Mittelpunkt steht. Vor dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel will Merkel noch einmal darlegen, wie die Flüchtlingszahlen mit Hilfe der Türkei reduziert werden sollen. Nach den Gewinnen der rechtspopulistischen AfD bei den Landtagswahlen vom Sonntag wird es auch darum gehen, wie Merkel Kritik vor allem aus der Schwesterpartei CSU pariert.
Wenn ich meine Ortsvorsitzenden frage, ob sie bereit seien, in 17 Monaten wieder Merkel-Plakate aufzuhängen, dann sehe ich nur in lange Gesichter“, sagte Ramsauer der Zeitung „Die Welt“. Er habe Verständnis für diese Position. „Diese Leute stehen an vorderster Front und sind nicht mehr bereit, jede Politik mitzumachen.“
Den Widerstand gegen Merkel erklärt Ramsauer auch mit dem Erstarken der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD). Er würde „auf alle Fälle“ damit rechnen, dass die AfD bei der Bundestagswahl ein zweistelliges Ergebnis erzielt. Die Union habe sich von vielen Wählern entfernt. „Sie sind heimatlos geworden und landen bei der AfD“, sagte der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Bundestag. „In der CDU“, so Ramsauer weiter, „scheint leider nicht der alte Leitsatz zu gelten, dass rechts von ihr keine demokratisch legitimierte Kraft existieren darf, sondern links von ihr.“ Diesen Eindruck erwecke die Politik Merkels.
„Merkel ist wie der Klavierspieler auf der Titanic“
Energisch widersprach Ramsauer der von Merkel angeblich im CDU-Vorstand geäußerten Einschätzung, der Aufstieg der AfD sei kein existenzielles Problem für die CDU. „Das erinnert mich an den Klavierspieler auf der Titanic. Der spielte auch bis zum Schluss, denn sein Flügel funktionierte ja. Und abgesoffen ist er trotzdem“, sagte der CSU-Politiker und fügte hinzu: „Wer jetzt das Wahlergebnis in dieser Weise schönredet, bringt die Menschen noch mehr in Rage.“
Am absurdesten seien zudem jene Interpretationen in der CDU, wonach all jene, die nicht AfD gewählt haben, den Kurs der Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik unterstützten. „Ja, will man denn den Wähler veräppeln und sich selbst belügen? Da haben viele mit der Faust in der Tasche ihr Kreuz gemacht.“
Ramsauer warnte vor diesem Hintergrund davor, weiterhin gegen „breiteste Teile“ der Bevölkerung zu regieren. „Die CDU muss ihren Kurs dringend ändern, sagen, dass sie verstanden hat.“
Ähnlich positionierte sich Seehofer. Am Montag hatte der bayrische Ministerpräsident nach einer CSU-Vorstandssitzung angekündigt, er werde im Kanzleramt seine Analyse der Landtagswahlergebnisse präsentieren. Von Merkel fordert er auch als Reaktion auf das Erstarken der AfD einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik. „Nur eine Veränderung der Politik wird die AfD überflüssig machen und den Spuk dieser Gruppierung beenden“, sagte er.
CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt betonte am Dienstag angesichts der Wahlergebnisse, die Lage sei insbesondere für die konservativen Parteien sehr ernst. Es sei eine klare Botschaft an die Herkunftsstaaten nötig, dass Europa und insbesondere Deutschland nicht alle Probleme der Welt lösen könne.
Der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Stephan Mayer (CSU), warnte davor, jetzt einfach zur Tagesordnung überzugehen. Die Menschen erwarteten zu Recht ein Zeichen, dass die Union das Ergebnis der Landtagswahlen ernst nehme. Der überwiegende Großteil der AfD-Wähler habe die Partei nicht aus Überzeugung, sondern nur aus Protest gewählt, sagte er der „Passauer Neue Presse“. „Diese AfD-Wähler wären wieder zurückzugewinnen von der CDU, wenn sie ernsthaft den Eindruck hätten, dass die Bundesregierung die Flüchtlingskrise in den Griff bekommt und mit einer klaren und überzeugenden Strategie bewältigt.“
Oettinger hält Kurswechsel Merkels für unnötig
Der CDU-Politiker und EU-Kommissar Günther Oettinger hält dagegen einen Kurswechsel der Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik für unnötig - trotz der AfD-Wahlerfolge. Die Linie der Kanzlerin sei „richtig und chancenreich“, sagte er im Deutschlandfunk. Er sehe keine Notwendigkeit, Korrekturen in der Flüchtlingspolitik vorzunehmen. „Wenn Deutschland alleine die Grenzen zumacht, ist das Problem auch nicht gelöst“, sagte Oettinger.
Die AfD, die bei den Landtagswahlen starke Ergebnisse einfuhr, sei eine „reine Protestpartei“, die kein Programm habe, sagte er. Nun sei es die Aufgabe, eine europäische Lösung zu finden, sagte er mit Blick auf den Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag. Ob es eine Einigung bei der Verteilung der Flüchtlinge auf die 28 EU-Mitgliedsstaaten gebe, sei noch offen.
Ramsauer betonte hingegen, dass bereits eine europäische Lösung gebe. „Was Österreich und die Balkanstaaten unter Billigung der Osteuropäer, Italiens und Frankreichs mit der Abriegelung der Balkanroute getan haben, ist quasi eine Art europäische Lösung. Vielleicht nicht im Sinne Merkels“, sagte der CSU-Politiker. Ausgerechnet das kleine Österreich habe der Kanzlerin das europapolitische Heft des Handelns aus der Hand genommen, fügte Ramsauer hinzu. „Merkel ist ein Stück weit entmachtet worden.“ Nun müsse sie diesem Kurs, der Fakten geschaffen habe, folgen und für Deutschland ein Ende der Aufnahmebereitschaft verkünden.
Ramsauer nimmt dabei auch in Kauf, dass die Bilder aus Mazedonien und Griechenland bleiben werden. Seit Wochen herrschen in Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze chaotische Zustände. Mehr als 12.000 Menschen sitzen nach der Schließung der Balkanroute dort fest.
Ramsauer sagte dazu, diese Bilder seien nicht schön. „Aber sie sind, so hart das ist, Teil der Lösung und entfalten eine politische Wirkung.“ Mit der „Willkommenskultur“ seien „völlig falsche Signale“ gesendet worden. „Davon sind wir inzwischen Lichtjahre entfernt“, betonte der CSU-Politiker. Die Botschaft von der mazedonischen Grenze sei daher: „Bleibt, wo ihr seid, wenn ihr nicht unmittelbar an Leib und Leben bedroht seid.“