Die Organisation Lobbycontrol bemängelt den allzu großen Einfluss und die mangelnde Kontrolle von Lobbyisten. Zu Recht?
Teilweise haben sie sicher Recht. Wenn die Person, die Interessen vertritt mit derjenigen, die darüber entscheidet, identisch ist, dann ist das ein Problem. Wenn also Abgeordnete selbst auf der Gehaltsliste von Verbänden oder anderen Lobbyorganisationen stehen. Das ist so, wie wenn vor Gericht Anwalt und Richter dieselbe Person sind.
Kommt das denn so oft vor?
Nein, weil es als anrüchig gilt. Aber Lobbycontrol hat Recht mit seiner Kritik daran, dass das überhaupt möglich ist. Jeder Abgeordnete darf nebenbei Lobbyist sein.
Unter der aktuellen Bundesregierung hätten die Lobbyisten "freie Fahrt", behauptet Lobbycontrol. Stimmt das? Hatten sie es unter Rot-Grün schwerer?
Das sehe ich nicht so. Das Problem der Abgeordnetenbestechung ist in der Tat seit vielen Jahren ungeklärt, aber nicht erst seit 2009. Illegal ist nur der konkrete Stimmenkauf, also wenn ein Abgeordneter Geld dafür erhält, dass er so oder so abstimmt. Nicht strafbar ist es, das generelle Wohlwollen eines Abgeordneten zu erkaufen. Er darf Geld oder Geschenke annehmen. Das unterscheidet Deutschland von anderen Ländern. Alle Parteien wollen das seit Jahren ändern, haben das aber bisher nicht geschafft.
Und warum nicht?
Weil es nicht ganz so einfach ist, wie es scheint. Viele Abgeordnete sind zum Beispiel Anwälte, die Mandanten betreuen, die wiederum eigene politische Interessen haben. Die Offenlegung dieser Mandanten kollidiert aber mit der anwaltlichen Schweigepflicht.
Ihr Buch, in dem Sie von ihrer Arbeit als Lobbyist berichten, heißt "Du machst was ich will". Machen denn unsere Politiker wirklich immer, was Lobbyisten wollen?
Der Wille irgendwelcher Lobbyisten wird immer politisch umgesetzt, und der von anderen nicht. Alle gesellschaftlichen Gruppen vertreten ihre Interessen, manchmal gewinnen die einen, manchmal die anderen. Da herrschen oft falsche Vorstellungen. Die Tabak-Lobby wird oft als sehr mächtig dargestellt. Dabei gehören Tabakprodukte zu den am strengsten regulierten. So mächtig kann sie also nicht sein. Auch die berüchtigte Atom-Lobby kann so mächtig nicht gewesen sein. Die Atomwirtschaft ist praktisch abgeschafft.
"Auf Sympathie kommt es an"
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass es das viel zitierte Allgemeinwohl, auf das sich Politiker gerne berufen, und auch eine objektive Gerechtigkeit gar nicht gibt. Wird man als Lobbyist zum Zyniker? Verliert man den Glauben an das demokratische System?
Nein. Was man als Lobbyist macht, ist ja gerade der Kern der Demokratie, nämlich dass unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen ihre Interessen artikulieren und in den politischen Prozess einbringen. In jedem Gesetzgebungsprozess ist vorgesehen, dass die Betroffenen anzuhören sind. Ein Verband bekommt ganz offiziell von einem Ministerium einen Gesetzentwurf, weil das so vorgeschrieben ist. Da ist nichts Geheimes dabei. Das ist gelebte Demokratie. Das Problem gerade bei Organisationen wie Lobbycontrol ist, dass Lobbyismus nur in Verbindung mit Wirtschaftsinteressen wahrgenommen wird. Das ist ein Denkfehler. Alle gesellschaftlichen Gruppen machen Lobbyarbeit.
Sie sehen auch Greenpeace und Amnesty International als Lobby-Organisationen.
Selbstverständlich. Aber auch den Mieterbund, die Gewerkschaften, die Kirchen. Das wollen viele Menschen, auch Journalisten, zwar nicht sehen, aber da arbeiten genauso hauptamtliche Lobbyisten wie bei Wirtschaftsverbänden. Und die sind auch oft erfolgreich. Der Wegfall der Praxisgebühr zum Beispiel war ein großer Lobbyerfolg von Patientenverbänden.
Wie können Lobbyisten Politiker beeinflussen? Gibt es da Geheimrezepte?
Sachliche Argumente sind nur sehr selten wirksam. Man erlebt ja fast nie, dass ein Politiker nach einer Diskussion sagt: Sie haben mich überzeugt, jetzt habe ich meine Meinung geändert. Als ich damals als Lobbyist anfing, musste ich schnell lernen, dass man mit einem Argument kaum weiter kommt, weil es immer ein Gegenargument gibt. Wie kommt man dennoch weiter? In der Politik wie im sonstigen Leben gilt der Grundsatz: Wen man mag, dem hilft man. Auf Sympathie kommt es an, auch wenn das viele bestreiten und behaupten werden, es gehe ihnen nur um die Sache.
Lobbyarbeit besteht also aus der Erzeugung von Sympathie?
Es geht um menschliche Beziehungspflege. Die Politiker und Ministerialbeamten haben ganz normale menschliche Bedürfnisse. Man braucht nicht die großen Geldkoffer. Abgesehen davon, dass das illegal wäre, und das Geld auch gar nicht da ist, weil die Unternehmen sparen.
"Das Anerkennungsbedürfnis füttern"
Konkret?
Eine Ministerin liebt Sie schon, wenn Sie ihr einen guten Zahnarzt empfehlen. Ich habe erlebt, wie das für einen direkten Zugang zu ihr ausgereicht hat. Wenn man beim Abendessen mit einem Abgeordneten erfährt, dass die kleine Tochter mit Grippe im Bett liegt, sollte man beim nächsten Treffen nachfragen, ob sie sich von der Grippe erholt hat. Wenn eine tragfähige menschliche Beziehung besteht, hat man auch ein offenes Ohr füreinander. Sich nur zu melden, wenn man Forderungen hat oder etwas braucht, funktioniert nicht.
Haben Sie denn auch mal auf Granit gebissen, wenn jemand gar nichts mit Ihnen zu tun haben wollte?
Nein. Die meisten Kontakte sind ja solche zu Referenten in Ministerien oder Abgeordnetenbüros. Deren Telefonnummern stehen im Internet. Da ruft man an, stellt sich vor und sagt, dass man am selben Thema arbeitet. Ich habe in all den Jahren nie erlebt, dass jemand abweisend war. Mindestens ein Drittel der Kontakte gingen sogar von der anderen Seite aus. Die müssen ja auch Gesetze machen über Themen, von denen sie keine Ahnung haben.
Und wie setzt man dann, wenn man sich sympathisch ist, die eigenen Interessen durch?
Grundsätzlich gilt, dass man Menschen, die man mag, gerne was Gutes tut. Was aber auch gut funktioniert ist das Füttern des Anerkennungsbedürfnisses: Man präsentiert einen Vorschlag zu einem bestimmten Thema, den man seinem Gesprächspartner dann zur freien Verfügung überlässt, damit er damit in seinem Ministerium oder Ausschuss glänzen kann. Viele Leute sind dankbar, wenn man ihnen Dinge liefert, mit denen sie sich profilieren können.
Muss man als Lobbyist an die Ziele seines Auftraggebers glauben?
Es wäre sehr anstrengend, gegen seine Überzeugungen zu arbeiten. Übrigens kann ein Lobbyist durchaus auch nach innen in seiner Organisation wirken.