Exklusive Civey-Umfrage Wer sich in Deutschland wirklich mehr Staat wünscht

Immer wieder werden Rufe nach Umverteilung in allerlei Gebieten laut. Doch wie viel Sozialismus steckt wirklich in den Deutschen? Quelle: imago images

Was denken die Bürger über das Wirtschaftssystem? Wünschen Sie sich mehr Umverteilung und zusätzliche staatliche Eingriffe in den Markt? Eine exklusive Umfrage der WirtschaftsWoche liefert spannende Antworten.

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Ob es Grünen-Chef Robert Habeck ist, der Enteignungen von Wohnungsbesitzern nicht ausschließt; Juso-Chef Kevin Kühnert, der beklagt, dass Vermögen nirgendwo so niedrig besteuert werden wie in Deutschland; oder der Thüringer CDU-Chef Mike Mohring, der will, dass die Grundrente endlich beschlossen wird: In fast allen Parteien werden derzeit Forderungen nach noch mehr Staat und damit auch nach zusätzlichem Dirigismus laut.
Aber sind diese Forderungen populär? Wollen die Deutschen tatsächlich mehr Sozialismus? Und falls ja: Bedeutet das auch, dass der Rückhalt für die soziale Marktwirtschaft schwindet? Um das herauszufinden, befragte die WirtschaftsWoche in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey exklusiv die Bundesbürger.

Das zentrale Ergebnis der Umfrage, die vorwiegend zwischen dem 29. August und 3. September stattfand: Die soziale Marktwirtschaft genießt zwar einen großen Rückhalt bei den Deutschen, es gibt aber gleichzeitig einen verbreiteten Wunsch nach zusätzlicher Umverteilung. Allerdings hat auch die Forderung danach wiederum ihre Grenzen.

Anders gesagt: Ludwig Erhard ist gut, aber mit ein bisschen Karl Marx wäre er noch besser.

So sind 70 Prozent der Befragten überzeugt, dass die soziale Marktwirtschaft das bestmögliche Wirtschaftssystem für die Bundesrepublik darstellt. Nur 16 Prozent teilen diese Meinung nicht. Der Rückhalt ist in allen Bevölkerungsgruppen hoch – unabhängig von Alter, Kaufkraft und Bildung. Auffällig ist allerdings, dass die Marktwirtschaft im Westen des Landes (73 Prozent) populärer ist als im Osten (59 Prozent).

Erwartungsgemäß hängt die Unterstützung für die Marktwirtschaft auch von den Parteipräferenzen ab. Allerdings existiert kein eindeutiges Rechts-Links-Schema: Mit 84 Prozent gibt es bei den Anhängern der Union zwar am meisten Befürworter, mit 79 Prozent und 74 Prozent sind sie bei SPD und Grünen aber ähnlich stark vertreten. Den geringsten Rückhalt für die deutsche Art des Kapitalismus gibt es mit 50 Prozent bei Linken-Wählern. Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Selbst die Hälfte dieser Gruppe wünscht sich nicht einmal einen Hauch DDR zurück.

Mit dem ökonomischen System gibt es also eine grundsätzliche – und breite – Zufriedenheit. Trotzdem dominiert bei einer großen Mehrheit zugleich die Wahrnehmung, es gehe in Deutschland alles in allem nicht gerecht – oder zumindest: nicht gerecht genug – zu. So sind nur 27 Prozent der Meinung, die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung leisteten einen ausreichenden Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens. Eine Zweitdrittelmehrheit (65 Prozent) findet das nicht. Selbst 29 Prozent der FDP-Wähler sind dieser Ansicht und auch 43 Prozent der Sympathisanten von CDU/CSU.

Entsprechend wünschen sich weite Teile der Bevölkerung auch mehr Umverteilung. Allerdings nicht pauschal, sondern durchaus differenziert. Denn es geht den Befragten mehr um die Beseitigung von empfundenen Ungerechtigkeiten bei der Vermögens- als bei der Einkommensverteilung. So wird eine Entlastung von Gutverdienern und Unternehmen nicht in Bausch und Bogen abgelehnt.

Immerhin 44 Prozent sind der Meinung, auch die einkommensstärksten zehn Prozent sollten vom Solidaritätszuschlag befreit werden. Die Koalition hat vor kurzem beschlossen, dass sie die Zusatzabgabe weiterhin zahlen sollen. In der Bevölkerung scheint es also zumindest eine starke Minderheit zu geben, die anerkennt, dass Gutverdiener den Großteil zum Aufkommen der Einkommensteuer und damit einen mehr als nur nennenswerten Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten.

Ähnlich sieht es mit Blick auf die Unternehmen aus: Steuersenkungen für Firmen befürworten zwar nur 31 Prozent, aber auch nur eine relative Mehrheit von 48 Prozent lehnt sie ab. Beachtliche 21 Prozent sind unentschieden. Auch hier gibt es offenbar ein Bewusstsein dafür, dass Unternehmer Arbeitsplätze schaffen und auch entsprechende Spielräume für Investitionen brauchen.

Anders sieht es dagegen bei den Vermögen aus. Was damit zu tun haben dürfte, dass die Vermögenskonzentration in Deutschland auch im internationalen Vergleich hoch ist: Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung besitzt das reichste Prozent rund ein Drittel des privaten Gesamtvermögens, während die untere Hälfte wenig bis nichts ihr Eigen nennt.

Wohl auch, weil die wenigsten Deutschen selbst reich sind oder sich zumindest nicht als wohlhabend empfinden, ist die Sehnsucht nach einer Vermögensteuer groß: Ihre Wiedereinführung wird von 61 Prozent befürwortet. Interessant ist zudem, dass es nur unter FDP-Anhängern eine Mehrheit dagegen gibt, Vermögende stärker zu belasten (60 Prozent).

Ein bisschen mehr Umverteilung von ganz oben in die Mitte und nach unten – und das war’s? Nicht ganz.

Denn es gibt unter den Deutschen durchaus auch das Verlangen nach mehr Dirigismus. Selbst wenn es sich in klaren Grenzen bewegt: So befürworten immerhin 53 Prozent der Befragten einen sogenannten „Mietendeckel“, wie ihn Berlin nun plant. Demnach werden für Wohnungen vom Staat Obergrenzen für die Mieten festgelegt. Es handelt sich also um einen starken Eingriff in das Marktgeschehen.


Civey-Umfrage

Wird diese Intervention noch von einer Mehrheit toleriert, ist der Rückhalt für die ebenfalls populistische Forderung nach einer Verstaatlichung von privaten Wohnungskonzernen bereits geringer: Er liegt nur bei 40 Prozent. 48 Prozent lehnen diesen Schritt dagegen ab.

Und auch bei einem anderen Thema, das viele Bürger ähnlich umtreibt wie der teure Wohnraum, erliegen die Deutschen zumindest nicht mehrheitlich linkspopulistischen Rufen. Dass der Staat angesichts von Niedrigst- und Nullzinsen Banken zwingen können sollte, den Anlegern höhere Zinsen zu zahlen, befürworten nur 30 Prozent.
Einige Bürger müssen allerdings mit dem Widerspruch leben, dass sie nicht nur vom Staat verordnete höhere Zinsen wollen, sondern auch, dass die Europäische Zentralbank frei von politischem Einfluss bleibt. Denn die politische Unabhängigkeit der Notenbank hat mit 74 Prozent noch ein paar mehr Fans als die soziale Marktwirtschaft mit 70 Prozent.

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