Experten-Gutachten für die Bundesregierung Ohne Innovationen keine erfolgreiche Energiewende

Energiewende hängt an Innovation, so ein EFI-Gutachten Quelle: imago images

Allein durch den Ausbau erneuerbarer Energie wird der Verbrauch nicht gedeckt werden können. Nur mit neuer Technik und Effizienzsteigerung kann das gelingen, mahnt eine Kommission der Bundesregierung.

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Der Tenor des Gutachtens ist fast jedes Jahr ähnlich: Ihr macht durchaus das Richtige, aber nicht konsequent und nicht genug. Mit der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) hat sich die Bundesregierung 2006 ein Gremium geschaffen, das ihr selbst seither alljährlich im Februar die Leviten liest. In diesem Jahr steht die Energiewende, das wohl wichtigste industriepolitische Großprojekt der Bundesregierung, im Fokus der EFI. Die schlechte Nachricht zuerst: Der Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird den Endverbrauch in Deutschland nicht decken können: „Wollte man nur den Endenergieverbrauch von 2017 allein über Strom aus erneuerbaren Energien (EE) decken, wäre hierfür in Deutschland eine EE-Kapazität von mehr als 1400 Gigawatt (GW) erforderlich. Ende 2017 waren allerdings nach langjähriger öffentlicher EE-Förderung gerade einmal 112 GW installiert. Für den notwendigen Ausbau auf 1400 GW wird nicht nur die Zeit knapp – es fehlt schlichtweg an den erforderlichen Ausbauflächen für Wind- und Solaranlagen.“ Selbst wenn man sich mit dem Ausbauziel von 500 GW begnügte, müssten bis zum Jahr 2050 jährlich 12 GW hinzugebaut werden. Zwischen 2007 und 2017 wurden jährlich Solar- und Windanlagen mit einer Kapazität von rund 7,3 GW gebaut. „Damit wird klar: Selbst mit einem optimistisch gerechneten EE-Ausbau können die Emissionsreduktionsziele nicht allein hierdurch erreicht werden.“

Doch die sechs Ökonominnen und Ökonomen der EFI wären keine Expertenkommission der Bundesregierung, wenn sie nicht auch den Weg zur Lösung des Problems wüssten, nämlich: „innovative Technologien und Geschäftsmodelle für eine Dekarbonisierung des deutschen Energiesystems“. Viele solche Technologien und Geschäftsmodelle seien schon marktreif. Von den EFI-Autoren befragte Fachleute für den Erfolg der Energiewende neben den Erzeugungstechnologien Photovoltaik und Wind vor allem digitale Technologien zur Steuerung der Stromnetze für entscheidend: virtuelle Kraftwerke, Smart-Grid-Technologien, Smart Meter.

Solche Technologien „werden aber in ihrer Diffusion vor allem durch zu geringe CO2-Preise und regulatorische Vorgaben gehemmt.“ Besonders schädlich seien „Energiesteuern und -abgaben, die sich bisher kaum am CO2-Gehalt der Energieträger orientieren.“ Die Experten fordern daher: „Um diese innovativen und klimafreundlichen Technologien und Geschäftsmodelle zu stärken, müssen Steuern, Abgaben und Umlagen auf Energie über alle Wirtschaftssektoren an der Klimaschädlichkeit beziehungsweise dem CO2-Gehalt von Energieträgern ausgerichtet werden. Eine solche CO2-orientierte Steuerreform sollte sozialverträglich gestaltet werden, indem zusätzliche Steuereinnahmen zur Kompensation von wirtschaftlich schwachen Haushalten verwendet werden, die von Energiepreiserhöhungen besonders betroffen sind.“

Es genüge nicht, so das Gutachten, konventionelle Kohle- und Gaskraftwerke durch erneuerbare Energien in der Stromerzeugung zu ersetzen. Vielmehr bestehe auch dringender Handlungsbedarf bei der Reduktion von CO2-Emissionen in weiteren Sektoren, die für zwei Drittel der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich sind: bei Gebäuden, im Verkehr und in der Industrie. Dabei spiele die sektorübergreifende Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energien – die sogenannte Sektorkopplung – eine Schlüsselrolle. Der Ausbau der erneuerbaren Energien müsse mit massiven Energieeinsparungen und Verbesserungen der Energieeffizienz kombiniert werden.

„Aus der unzureichenden CO2-Bepreisung von Energieträgern entsteht ein Wettbewerbsnachteil für die Nutzung klimafreundlicher innovativer Technologien und Geschäftsmodelle. Damit wird der Einsatz von klimafreundlichem Strom aus erneuerbaren Energien in den Sektoren Verkehr und Gebäude erschwert und somit gerade die Sektorkopplung als Kernelement der Energiewende behindert,“ so Christoph Böhringer, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Oldenburg und Mitglied der EFI. Der EU-weite Zertifikatepreis beträgt derzeit rund 20 Euro je Tonne CO2, zwischenzeitlich lag er sogar unter zehn Euro. Das Umweltbundesamt beziffert dagegen die gesamtgesellschaftlichen Kosten für den Ausstoß einer Tonne CO2 auf rund 180 Euro.

Wie eine kurz zuvor bekannt gewordene Umfrage des Ifo-Ökonomenpanel zeigt, glauben nur 27 Prozent der deutschen Ökonomen, dass durch den deutschen Kohle-Ausstieg in Europa der Ausstoß von Kohlendioxid verringert werden kann. 42 Prozent der Befragten sagen, das sei nicht der Fall. Niklas Potrafke, Leiter des ifo Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie, sagt: „Wenn sich an den Zertifikaten zur CO2-Emission in der EU nichts ändert, werden andere Länder vermutlich mehr ausstoßen.“ Nur eine Minderheit von 31 Prozent der Volkswirte ist der Meinung, Deutschland habe eine Vorreiterrolle beim globalen Klimaschutz.

Die EFI-Experten fordern neben der Reform der Besteuerung und der Bepreisung der Emissionen außerdem, die Anreizregulierung für Betreiber von Stromnetzen müsse so angepasst werden, „dass sich der Betrieb bereits marktreifer innovativer Anlagen und Geschäftsmodelle, die das Stromnetz stabilisieren beziehungsweise netzdienlich sind, lohne“. Damit sich die gesamtwirtschaftlichen Vorteile von Flexibilisierungsoptionen in Stromangebot und -nachfrage auch betriebswirtschaftlich rechneten, müssten zudem die Netzentgelte reformiert werden. Und zwar so, dass die tatsächlichen Kosten der Stromnetznutzung räumlich und zeitlich abgebildet würden. „Nur so können innovative Technologien wie dezentrale Speicher oder Power-to-X ausreichend rentabel werden – dann werden sie in ihrer Marktdurchsetzung auch nicht mehr gehemmt.“

Neben der Energiewende befasste sich die Kommission in diesem Jahr auch mit drei weiteren Kernthemen, nämlich mit der Rolle von Start-ups im Innovationssystem, mit der Digitalisierung der Hochschulen und mit der Blockchain-Technologie. Wie in den meisten Gutachten der vorangegangenen Jahre fordern die EFI-Autoren generell eine stärkere steuerliche Forschungsförderung für deutsche Unternehmen. Besonders aussichtsreich seien Steuererleichterungen für forschende kleine und mittlere Unternehmen, da diese besonders unter Finanzierungsschwierigkeiten leiden.

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