Für Armin Laschet beginnt nun der Marathon, der Sprint hingegen neigt sich dem Ende. Der CDU-Vizechef und frühere NRW-Integrationsminister meint die Flüchtlingskrise. Die Bundesregierung habe im Zuge des großen Zustroms im vergangenen Jahr schnell Maßnahmen einleiten müssen, um die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren. Soweit der Sprint. Beim jetzigen Marathon gehe es darum, die Menschen, die hier leben, in den Wohn-, Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu integrieren. „Ich glaube, dass wir jetzt an einem Punkt sind, wo es darum geht, ob wir es schaffen und wie wir es schaffen“, sagte Laschet am Montag in Berlin. Das „wie“ sei aber noch nicht beantwortet.
Flüchtlinge: Das ist der Integrationskatalog der CDU
Für Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge sollen Praktika mit Abweichungen vom Mindestlohn auf mindestens sechs Monate verlängert werden, um einen Berufseinstieg zu erleichtern. Schon heute sind Abstriche von den 8,50 Euro Mindestlohn pro Stunde bei betrieblichen Einstiegsqualifizierungen von bis zu zwölf Monaten möglich. Die CDU-Spitze verzichtete nach Protest der SPD und des Arbeitnehmerflügels der Union darauf, anerkannte Flüchtlinge mit Langzeitarbeitslosen gleichzustellen. Auch dann wäre eine Abweichung vom Mindestlohn von bis zu sechs Monaten möglich gewesen.
Quelle: CDU-Bundesvorstand / Reuters, Stand: 15.02.2016
Eine Anstellung in der Leiharbeitsbranche soll nach drei statt derzeit erst 15 Monaten möglich sein. Bei gemeinnützigen Organisationen soll stärker dafür geworben werden, Flüchtlinge in den von den Jobcentern geförderten Ein-Euro-Jobs zu beschäftigen.
Asylberechtigte, anerkannte Flüchtlinge und sogenannte subsidiär Schutzberechtigte sollen ein unbefristetes Aufenthaltsrecht nur erhalten, wenn sie über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen, Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung nachweisen, keine Straftaten begangen haben und ihren Lebensunterhalt sichern können. Auch der Familiennachzug soll von der erfolgreichen Teilnahme an Integrationskursen abhängig gemacht werden.
Die Hürde für eine frühe Teilnahme an Integrationskursen oder Förderprogrammen der Arbeitsagenturen noch vor Abschluss des Asylverfahrens soll höhergelegt werden. Laut dem im Oktober beschlossenen Asylpaket I reicht dafür bisher eine "gute Bleibeperspektive" aus. Diese wird bei Asylsuchenden aus Herkunftsländern mit einer Anerkennungsquote von über 50 Prozent angenommen. Laut CDU-Papier soll "künftig eine 'sehr gute Bleibeperspektive' entscheidend sein, weil wir insbesondere Syrern und Irakern helfen wollen".
Die CDU strebt Gesetze von Bund und Ländern an, in denen verbindliche Integrationsvereinbarungen festgelegt werden sollen. In den Aufnahmeeinrichtungen sollen ein Basissprachkurs und ein Kurs zu Grundregeln des Zusammenlebens Pflicht sein und mit einem Abschlusstest versehen werden.
Asylberechtigten, anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten soll ihr Wohnsitz zugewiesen werden, wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft sichern können. Ausnahmen sollen möglich sein, wenn die Betroffenen am Wohnort ihrer Wahl einen Arbeitsplatz und eine eigene Wohnung nachweisen können.
Die CDU will prüfen lassen, ob die Schulpflicht für Flüchtlinge ohne Schulabschluss über das bisher geltende Alter von 18 Jahren hinausgehen soll. Im Entwurf stand noch eine angestrebte Altersgrenze von 25 Jahren.
Unter seinem Vorsitz hat sich eine Expertenkommission der Robert-Bosch-Stiftung ein Jahr lang Gedanken gemacht, wie die Integration der Flüchtlinge und Einwanderer gelingen kann. Größtes Problem sei, dass den Behörden derzeit belastbare Informationen über die schulischen und beruflichen Qualifikationen von Flüchtlingen fehlten. Daher sollten die Kompetenzen von Flüchtlingen mittels eines mehrstufigen Systems frühzeitig erfasst und auf einer zentralen Datenplattform allen beteiligten Behörden zur Verfügung gestellt werden.
Die Experten fordern zudem, die bisherige Vorrangprüfung abzuschaffen oder zu reformieren. Bewirbt sich ein Asylsuchender auf eine Stelle, muss ermittelt werden, ob sich nicht auch ein geeigneter Kandidat mit deutschem oder EU-Pass für den Job findet und den Vorzug erhält. Erst nach 15 Monaten fällt diese Prüfung weg.
Vorrangprüfung streichen
CDU-Vize Laschet kritisiert, es werde gar nicht individuell nach anderen Bewerbern gesucht, sondern allgemein die Arbeitsmarktlage betrachtet. „Das kann dazu führen, dass ein Flüchtling eine Stelle nicht bekommt, obwohl es keinen geeigneten deutschen Bewerber dafür gibt.“ Laschet würde die Vorrangprüfung gerne streichen. Denkbar sei aber auch eine Regelung wonach ein Flüchtling eine Stelle annehmen darf, sofern nicht innerhalb von zwei Wochen ein anderer Kandidat vermittelt werden kann.
Frank-Jürgen Weise, Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und zugleich der Bundesagentur für Arbeit machte am Montag die Dimensionen der Integrationsanstrengungen deutlich. Allein zwischen 2013 und 2015 sind laut Weise 1,5 Millionen Menschen eingewandert, davon blieben 1,2 Millionen auch in der Bundesrepublik und zogen nicht weiter, etwa nach Skandinavien. Für Weise sei das „kein Glücksfall“, es sei auch „keine Lösung für unser Fachkräfteproblem“. Und dennoch: „Wenn die Menschen nun einmal hier sind, müssen wir das Beste daraus machen“, sagte der BAMF-Chef bei einer Veranstaltung der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.
"Arbeit schafft Arbeit"
Chancen aufs Gelingen sind gegeben – da ist sich der oberste Flüchtlingsmanager des Landes sicher. Weise rechnet das gerne folgendermaßen vor: Von den 1,2 Millionen Menschen seien am Ende aller Verfahren rund 660.000 bleibeberechtigt. Von diesen wiederum sind rund 70 Prozent erwerbsfähig, also etwa 470.000 Menschen. Die Hälfte derer wiederum ist unter 25 Jahre alt, also im besten Ausbildungsalter. Bei solchen Zahlen „kann man wirklich nicht von Überflutung sprechen“, sagte Weise. Vielmehr noch: In diese jungen Menschen Geld, Bildung und Förderung zu stecken, sei „die beste Investition“.
Rund ein Zehntel der Geflüchteten könne laut Weise sofort in den Arbeitsmarkt integriert werden, mindestens ein weiteres Drittel schaffe dies mit Unterstützung in den ersten Jahren nach der Ankunft. Für letztere gelte, dass viele zwar nicht über eine Berufsausbildung im deutschen Sinne verfügten, aber doch über Berufserfahrung, an die sich gut anknüpfen ließe. Zumal der Arbeitsmarkt mit weiterhin steigender Beschäftigung gerade in bester Verfassung ist. „Arbeit schafft Arbeit“, sagt Weise, „das ist eine schöne Entwicklung.“
So engagieren sich Ehrenamtler als Deutschlehrer für Flüchtlinge
Fast jeder zweite Deutsche, der sich ehrenamtlich für Flüchtlinge engagiert, gibt Sprachunterricht. Das zeigt eine Studie des Bundesamts für Migrationsforschung. Das Institut hat 70 Organisationen befragt und kam im April 2015 zu dem Ergebnis, dass die Zahl der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer seit 2011 stark gestiegen ist.
In 23 Kursen à 17 Teilnehmern hat das Goethe-Institut zwischen September und Dezember dieses Jahres rund 400 Ehrenamtlichen in "Grundlagen der Spracharbeit Deutsch als Fremdsprache" ausgebildet. Für das kommende Jahr will das Institut bis zu 400 weitere Kurse anbieten, die Förderung ist aber noch nicht gesichert. Bei 15 Teilnehmern pro Kurs würde dies eine Förderung von insgesamt 6.000 Ehrenamtlichen bedeuten.
Die Expertenkommission von Armin Laschet sieht in der Arbeitsverwaltung allerdings Defizite. Dort komme es aufgrund einiger Regelungen zu vermeidbaren Doppelstrukturen bei Arbeitsagentur und örtlichen Jobcentern. Bereits bestehende arbeitsmarktpolitische Förderinstrumente wie berufliche Weiterbildungen oder Vermittlungsgutscheine für private Arbeitsvermittler sollten auch für Flüchtlinge mit Bleibeperspektive voll eingesetzt werden.
Bei der Berufsausbildung ist es ähnlich. Auch hier sollten alle Fördermöglichkeiten bereits zu Beginn der Ausbildung zugänglich sein und nicht erst wie bisher nach 15 Monaten. Für die Dauer der Ausbildung empfehlen die Experten eine Aufenthaltserlaubnis statt der bisher vorgesehenen Duldung.
Für Bilkay Öney (SPD), Integrationsministerin in Baden-Württemberg und Mitglied der Expertenkommission, hängt die Integration von Flüchtlingen und Migranten stark davon ab, ob Bund, Länder und Kommunen effektive Strukturen aufbauen können. „Es hängt aber nicht nur an uns. Auch die Flüchtlinge müssen wollen.“ Der Marathon hat also für beide Seiten gerade erst begonnen, die aufnehmende Gesellschaft und die Neuankömmlinge.