Expertenkommission Studie nennt Merkels Digitalplan für Schulen unterfinanziert

Fünf Milliarden Euro will die Große Koalition für die Digitalisierung von Schulen ausgeben. Eine Expertenkommission warnt die Kanzlerin: Das Geld reicht nicht.

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Angela Merkels Digitalpakt Schule ist massiv unterfinanziert Quelle: dpa

Berlin Auf den geplanten „Digitalpakt Schule“ ist die Große Koalition besonders stolz: Fünf Milliarden Euro sollen dafür sorgen, dass Deutschlands Schulen endlich im digitalen Zeitalter ankommen. Das ist aber viel zu wenig, warnt die Expertenkommission Forschung und Entwicklung (EFI) in ihrem diesjährigen Gutachten, das die sechs Forscher heute der Bundeskanzlerin übergeben.

„Es liegen ernstzunehmende Schätzungen von der Bertelsmann Stiftung vor, die von einem Finanzierungsbedarf von 2,8 Milliarden Euro pro Jahr ausgehen“, sagte der EFI-Vorsitzende Dietmar Harhoff dem Handelsblatt. Die fünf Milliarden der künftigen Regierung hingegen wären auf fünf Jahre verteilt – den Rest sollen nach dem Koalitionsvertrag Länder und Kommunen stemmen. Doch „wenn wir hier zu zögerlich oder zu geizig sind, wären die Folgen verheerend“, warnt Harhoff.

„Wir sind jetzt schon digitaler Nachzügler, weil die Politik bisher viel zu langsam in der Umsetzung war. Die Digitalisierung – ganz breit gefasst – ist zur Achillesferse des Standorts Deutschland geworden.“ Deshalb müsse der Digitalpakt Schule dringend umgesetzt und „in der Haushaltsplanung bevorzugt berücksichtigt werden“, heißt es in dem Gutachten.

„Computer“ als Lehrfach - früher als jetzt

Inhaltlich empfehlen die Innovationsforscher Vollgas von klein auf: Digitale Schlüsselkompetenzen sollten bereits in der Grundschule flächendeckend unterrichtet werden. Bisher jedoch gibt es das Schulfach Informatik - wenn überhaupt - frühestens ab der Sekundarstufe I, also in der Mittelstufe ab Klasse fünf. Und das nach Angaben der EFI auch nur in den vier Ländern Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Offizielle Übersichten dazu, etwa von der Kultusministerkonferenz, gebe es aber nicht, kritisiert die Kommission.

Als Vorbild könne man sich laut EFI an Großbritannien orientieren, wo das Fach Computing bereits ab der Grundschule auf dem Lehrplan steht. Es löste 2014 das bereits seit vielen Jahren bestehende Pflichtfach ICT (Information and Communications Technology) ab, wo vorrangig Office-Anwendungen wie Excel, Word, oder PowerPoint gelehrt wurden. Unterstützt werde das neue Fach auf der Insel durch Firmen wie Google, die Bedarf an technisch ausgebildetem Nachwuchs haben.

Zudem fördere die britische Luftwaffe programmierbare Lego-Roboter, die BBC verteilt an Schulen sogenannte micro:bit-computer, finanziert von der Barclays Bank und Samsung. Großbritannien habe auch den Einsatz von kostengünstigen Rechnersystemen wie dem Raspberry Pi forciert, mit dem sich für weniger als 30 Euro internetfähige Rechnersysteme erstellen ließen. Auf Plattformen mit offenem Zugang werden Lehrmaterialen für solche Systeme angeboten.

Mangelnde Schulausstattung

In Deutschland hingegen gibt es dagegen bislang nur zögerliche, unsystematische Bestrebungen, die von der Privatwirtschaft initiiert seien. So sollen Grundschulkinder mit dem Kleinstcomputer Calliope mini lernen, wie Computer funktionieren. Das Saarland setzt ihn seit einem Jahr als erstes Land flächendeckend ein. Drei weitere - Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen - statteten Pilotschulen mit den Geräten aus. Die Expertenkommission begrüßt all das, fordert jedoch eine „deutlich höhere Dynamik“.

Dazu brauche es jedoch die nötigen Lehrpläne - und vor allem das Personal. Dafür müssten dringend weit mehr Lehrer in Computerkunde aus-und weitergebildet werden. Weil das aber Jahre dauert, fordert der EFI-Vorsitzende: „Kurzfristig müssen die Schulen auch die Türen öffnen können für kompetente und engagierte Quereinsteiger. Das kann ja auch in Teilzeit geschehen.“ Den Einwand, dass die Schulen schon heute mit der oft besser zahlenden Wirtschaft um fähigen Nachwuchs konkurrieren, will er nicht gelten lassen: „Eine Projektgruppe von 16-jährigen an die Nutzung eines Blackberry Pi heranzuführen – dafür gibt es viele geeignete Kandidatinnen und Kandidaten. Ich glaube nicht, dass das an der Entlohnung scheitert.“

Daneben muss die Berufsschule endlich fit werden für die Digitale Welt, mahnt EFI. Hier gehe es nicht nur um neue Berufsbilder - auch müssten „IT-Kenntnisse in jeder Berufsausbildung verankert werden“. „Potenziell problematisch“ sei allerdings die mangelnde Abstimmung mit den Betrieben: Nach einer Umfrage des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) gaben lediglich knapp 15 Prozent der Azubis in IT-Berufen an, das, was sie an der Berufsschule lernten, passe gut zu den Anforderungen in ihren Betrieben.

Gefordert sind schließlich auch die Hochschulen: Sie müssen über alle Disziplinen hinweg Programmierkompetenzen und Kenntnisse der Software- und Web-Entwicklung sowie Datenwissenschaften und Methoden des maschinellen Lernens vermitteln. Merkels Berater rufen Bund und Länder auf, hier die neuen Möglichkeiten des Grundgesetzartikels 91b aktiv zu nutzen, um in einer gemeinsamen Anstrengung geeignete Best-Practice-Ansätze - beispielsweise nach dem Vorbild der Universitäten von Berkeley oder Zürich - umzusetzen.

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