EZB-Direktorium Das steckt hinter Lautenschlägers mysteriösem Abgang

Sabine Lautenschläger verlässt die Europäische Zentralbank vorzeitig. Quelle: REUTERS

Mit dem Rücktritt von Sabine Lautenschläger als EZB-Direktorin verlieren die Vertreter einer stabilitätsorientierten Geldpolitik in der Eurozone eine wichtige Fürsprecherin. Wer könnte ihr nachfolgen?

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Aller schlechten Dinge sind drei – hätte man meinen können. Doch nach den drei vorzeitigen Rücktritten deutscher Vertreter aus dem Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) in den vergangenen Jahren (Axel Weber, Jürgen Stark und Jörg Asmussen) zieht sich nun auch Sabine Lautenschläger als vierte Deutsche vor Ablauf ihrer regulären Amtszeit zurück.

Lautenschläger wird zum 31. Oktober aus dem Direktorium der EZB ausscheiden, in dem sie zuletzt für die Bereiche Banknoten, Zahlungsverkehr, Risikomanagement und Statistik zuständig war. Zuvor war sie bis zum Frühjahr Vize-Chefin der Bankenaufsicht in der Eurozone, eine Aufgabe, die seit 2014 der EZB obliegt.

Mit Lautenschläger verliert Deutschland eine prononcierte Vertreterin einer stabilitätsorientierten Geldpolitik. Sie hat sich in den vergangenen Jahren im EZB-Rat immer wieder gegen den lockeren Kurs von EZB-Chef Mario Draghi gewandt. Jüngst hatte die EZB beschlossen, ab November wieder Staatsanleihen im Umfang von 20 Milliarden Euro monatlich zuzukaufen. Dem Vernehmen nach lehnte Lautenschläger diese Entscheidung rundheraus ab und tat dies auch im EZB-Rat kund.

Der EZB-Rat ist das Beschlussgremium der Notenbank. Er setzt sich aus den nationalen Notenbankchefs der 19 Eurostaaten und dem EZB-Direktorium zusammen. Das Direktorium besteht aus dem Präsidenten, dem Chefvolkswirt sowie vier weiteren Mitgliedern, unter ihnen Lautenschläger.

Anders als die Chefs der nationalen Zentralbanken sind die Mitglieder des Direktoriums ständig in Frankfurt präsent. Sie führen gewissermaßen die Geschäfte, entscheiden etwa über die Besetzung von Stellen. Seit Otmar Issing 1999 erster Chefvolkswirt der EZB wurde, hatte Deutschland stets eine Stimme in dieser Schaltstelle der europäischen Währungsunion.

Die inhaltlichen Kontroversen zwischen Lautenschläger und Draghi dürften nur ein Grund für den vorzeitigen Rücktritt der Deutschen sein. Aus Zentralbankkreisen ist zu hören, dass auch die persönliche Chemie zwischen Lautenschläger und Draghi seit längerer Zeit nicht mehr stimmte. Lautenschläger habe sich in ihrer Arbeit durch Draghi nicht wertgeschätzt gefühlt, heißt es.

Die im persönlichen Umgang joviale Juristin dürfte dem eher elitär-distanziert auftretenden Draghi auch deshalb ein Dorn im Auge gewesen sein, weil sie als Vize-Chefin der Bankenaufsicht für einen härteren Kurs gegenüber Wackelbanken in der Eurozone plädierte. Vor allem die Banken in Draghis Heimatland Italien sind vollgestopft mit notleidenden Krediten, deren Wertberichtigung das Eigenkapital der Finanzinstitute belastet. Draghi, der vor seiner Zeit als EZB-Chef für die Bankenaufsicht in Italien zuständig war, dürfte kein Interesse daran haben, die Banken zu einer schnelleren Wertberichtigung zu drängen.

Lautenschläger hatte daher durchblicken lassen, dass sie künftig andere Aufgaben im EZB-Direktorium anstrebe. Dabei dürfte sie gehofft haben, das wichtige Rechtsressort, das der Luxemburger Yves Mersch innehat, zu übernehmen. Stattdessen erhielt sie von Draghi, der für die Ressortverteilung zuständig ist, nur das vergleichsweise unwichtige Aufgabengebiet Statistik und Zahlungsverkehr zugewiesen. Dies und ihr Widerstand gegen die ultra-lockere Geldpolitik dürften ausschlaggebend für ihren Entschluss zum vorzeitigen Rücktritt gewesen sein.

Für Deutschland ist Lautenschlägers Rückzug eine schlechte Nachricht. Nicht nur, dass Bundesbankchef Jens Weidmann mit ihr eine wichtige Mitstreiterin im Kampf für eine weniger expansive Geldpolitik verliert, die in den Sitzungen des EZB-Rats bisweilen noch härter als der Bundesbankchef auf ein Ende der lockeren Geldpolitik gepocht haben soll. Es ist zudem nicht absehbar, dass ihr eine ähnlich stabilitätsorientierte Person nachfolgt.

Die Euro-Finanzminister müssen nun einen Kandidaten vorschlagen und dann den EZB-Rat und das Europaparlament anhören. Anschließend ernennen die Staats- und Regierungschefs das neue Mitglied.

Finanzminister Olaf Scholz steht unter Zugzwang, seinen Kollegen aus den übrigen Eurostaaten zügig einen geeigneten Kandidaten zu präsentieren, der bestenfalls weiblich und deutsch ist. Zwingend ist zwar beides nicht. Doch zum einen hätte die EZB, die sich der Frauenförderung verschreibt, sonst außer der Französin Christine Lagarde, die Draghi am 1. November auf dem EZB-Chefsessel nachfolgt, keine Frau im Direktorium. Zum anderen sieht eine stille Übereinkunft vor, dass die großen Vier, also Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien, stets im Direktorium vertreten sind.

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