Facebook-Gesetz Soziale Netzwerke lassen Maas hängen

Die Vorbereitungen für die Umsetzung des Facebook-Gesetzes gegen Hass im Internet stocken. Der Grund: Dem Justizministerium fehlen noch Rückmeldungen der sozialen Netzwerke zur Auslagerung von Lösch-Entscheidungen.

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Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD): Warten auf Facebook & Co. Quelle: dpa

Berlin Die Politik fordert von Online-Netzwerken schon lange ein härteres Vorgehen gegen Beiträge mit Hass und Hetze. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) reichten aber auch die zusätzlichen Anstrengungen der Internet-Firmen nicht aus. Und somit brachte die Große Koalition noch kurz vor dem Ende der Legislaturperiode ein Gesetz durch den Bundestag, das schärfere Vorschriften und hohe Strafen vorsieht.

Mit der Umsetzung ist das Bundesamt für Justiz (BfJ) betraut. Allerdings kommt das Justizministerium in dieser Hinsicht mit seinen Vorbereitungen nur schleppend voran. Und das wenige Monate vor Inkrafttreten des sogenannten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Das geht aus einer Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs, Ulrich Kelber (SPD), auf eine Anfrage des Grünen-Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz hervor, die dem Handelsblatt vorliegt.

Grund der Verzögerung ist offenbar, dass die von dem Gesetz betroffenen sozialen Netzwerke wie Facebook, Google (Youtube) oder Twitter noch keine Festlegung getroffen haben, ob sie sie die Entscheidung über das Löschen von rechtswidrigen Inhalten in schwierigen Fällen einem neuen unabhängigen Gremium überlassen wollen, das dem Bundesamt für Justiz (BfJ) untersteht.

Der Bundesregierung lägen derzeit „noch keine verbindlichen Informationen“ darüber vor, „ob und in welchem Umfang“ die sozialen Netzwerke eine entsprechende Öffnungsklausel im NetzDG nutzen wollten, heißt es in dem Antwortschreiben von Kelber. Daher könne „noch nicht zuverlässig prognostiziert werden“, wie viele Anträge auf Anerkennung einer solchen Behörde beim Bundesamt gestellt werden.

Dies hat zur Folge, dass auch der Behördenaufwand für die Umsetzung des Gesetzes, das am 1. Oktober in Kraft treten soll, nicht sicher beziffert werden kann. Der „Personalaufwand und Organisationsumfang“ für das Bundesamt für Justiz lasse sich „zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zuverlässig abschätzen“, so Kelber.

Grünen-Fraktionsvize von Notz kritisierte, dass das Justizministerium von Ressortchef Maas nicht in der Lage sei, den „Umfang der Aufgabe auch nur grob zu schätzen“. Offenbar wachse beim zuständigen Bundesamt und den betroffenen Anbietern die Sorge, das Gesetz nicht rechtssicher umsetzen zu können. „Nicht ohne Grund ist Minister Maas so schmallippig“, sagte von Notz dem Handelsblatt. „Denn hochkomplexe Zweifelsfälle zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechten rechtsfest abzuwägen, ist qualitativ wie quantitativ eine enorme Aufgabe.“


„Das bricht dem Gesetz das Genick“

Auf die Problematik der Gesetzesumsetzung hatte auch schon Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin, hingewiesen. Hintergrund ist, dass Betreiber sozialer Netzwerke ein Beschwerdesystem entwickeln müssen, um das geltende Recht zu wahren. Geschieht dies nicht, drohen hohe Bußgelder, aber nicht für einzelne Versäumnisse, sondern für systematisches Versagen. Verhängt werden können die Geldstrafen vom Bundesamt für Justiz.

Das dürfte die Behörde jedoch ohne rechtliche Absicherung kaum machen. Deswegen ist anzunehmen, dass sie vorab eine richterliche Entscheidung über die Rechtswidrigkeit eines Beitrags einholen wird. Zuständig wäre in solchen Fällen allein das Amtsgericht Bonn. Buermeyer glaubt nicht, dass das das Gericht diese Aufgabe bewältigen könne, weil es schlicht zu viele Fälle gäbe. „Das bricht dem Gesetz das Genick“, zitiert die „Rheinische Post“ den Juristen. Es sei „völlig praxisfern“.

Das Bundesjustizministerium sieht die Lage nicht ganz so dramatisch. Denn es sei nicht jeder Einzelfall, in dem Betroffene sich über das Nichtlöschen von Hetze oder Hasskommentaren beschweren, vom Bundesamt dem Amtsgericht zur Vorabentscheidung über die Strafbarkeit des Inhalts vorzulegen, sagte Ministeriumssprecher Philip Scholz kürzlich dem Bonner „Generalanzeiger“. Nur wenn sich die Beschwerden gegen eine Plattform häuften, seien einige der Fälle dem Gericht zur Prüfung vorzulegen.

Die Bonner Amtsgerichtsdirektorin Birgit Niepmann sieht das neue Gesetz indes als eine große Herausforderung. Schließlich gehe es nicht um die Ahndung eines Verkehrsverstoßes, sondern um die Verhängung eines Bußgeldes in Millionenhöhe, und das müsse sehr sorgfältig geprüft werden, zitiert der „Generalanzeiger“ die Juristin.

Für den Grünen von Notz sind die Probleme, die das neue Gesetz mit sich bringt, absehbar gewesen. „In einem überstürzten Gesetzesverfahren machten sich Große Koalition und Unternehmen wie Facebook einen schlanken Fuß, in dem sie flugs die wolkige Alles-Lösung einer „regulierten Selbstregulierung“ in die Welt setzten.“

Bei dieser Möglichkeit für die Plattformanbieter, schwierige Löschentscheidungen eine unabhängigen Einrichtung zu überlassen, würden die eigentlichen Probleme bei der Rechtsdurchsetzung nicht gelöst, sondern nur von den Internetkonzernen wegverlagert. „Hier gibt es weitaus mehr Fälle, die schwieriger abzugrenzen und zu entscheiden sind, als etwa bei der freiwilligen Selbstkontrolle für Computerspiele.“

Umso wichtiger sei es daher, „die Große Koalition und ihre halbgaren Scheinlösungen weiter zu hinterfragen“. Etwa wer mit welcher Qualifikation und Befugnis, wann und nach welchen Regeln entscheide. Und ob eine effektive Aufsicht gewährleistet sei. Überdies erwartet von Notz Aufklärung darüber, wer die „Selbstregulierung“ finanziere. „Der rechtsstaatliche Kampf gegen Hetze und Hass im Netz und die Gewährleistung der Meinungsfreiheit sind zu wichtig, als dass man diese Fragen unbeantwortet lassen kann“, sagte der Grünen-Politiker.

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