Facebook und Falschnachrichten Merkel im Visier von Fake-News-Produzenten

Kanzlerin Merkel scheint ein beliebtes Ziel von Fake-News-Produzenten zu sein. Bei Facebook finden Artikel über sie rasante Verbreitung, die wenigsten entsprechen aber der Wahrheit. Was bedeutet das für den Wahlkampf?

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): 7 der 10 erfolgreichsten Artikel über Angela Merkel auf Facebook sind Fake News. Quelle: dpa

Berlin „Das Internet vergisst nie“ – dieser Satz ist immer dann zu hören, wenn sich mal wieder ein Politiker in den sozialen Netzwerken im Ton vergriffen hat. Je nach Verlauf des dann folgenden Shitstorms wird dann mitunter sogar die weitere politische Karriere des Betroffenen infrage gestellt. Dabei ist es in der Regel „nur“ die gepostete Meinung, die für Erregung sorgt. Freilich breit gestreut in den Weiten des World Wide Webs.

Solche Vorgänge können auch Wahlkämpfe beeinflussen. Deutlich schwerer wiegen in Wahlkampfzeiten aber wohl die vielen Falschnachrichten, die tagtäglich im Netz gepostet werden. Auch das vergisst das Internet nämlich nicht. Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen betonte in diesen Tagen denn auch, dass seine Behörde eine mögliche Beeinflussung der Bundestagswahl durch Desinformation und Cyberangriffe „sehr genau im Blick“ habe. Auch die Parteien sind vorbereitet und notfalls auch in der Lage, umgehend gegen Fake News einzuschreiten.

Wie brisant das Thema ist, zeigt eine Analyse der deutschen Ausgabe der amerikanischen Online-Plattform Buzzfeed. Die Digitalexperten haben die vielen Artikel über Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in den Blick genommen, die tagtäglich bei Facebook gepostet werden. Mit dem Ziel, herauszufinden, welche Inhalte die größte Leserresonanz haben, also am meisten Interaktionen (Reaktionen, Kommentare, Shares) hervorrufen. Dazu nahm Buzzfeed mit Hilfe des Content-Marketing-Tools Buzzsumo die Interaktionen aller auf Facebook geteilten Artikel über Merkel über einen Zeitraum von fünf Jahren in den Blick und erstellte ein Ranking. Der Befund ist ernüchternd.

Es kam heraus, dass sich unter den zehn erfolgreichsten Artikeln über die Kanzlerin sieben Falschnachrichten befanden. In der Auswertung fällt zudem auf, dass nur drei der zehn erfolgreichsten Artikel von klassischen Medien stammen. Artikel über Merkel, die in „Bild“, beim „Spiegel“, dem „Stern“ der „Süddeutsche  Zeitung“ oder der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ erschienen, erzielten demnach eine deutlich geringere Resonanz als Falschnachrichten über die Kanzlerin.

Insbesondere Fake News zum Thema Flüchtlinge haben es laut der Buzzfeed-Recherche „sehr viel leichter“ sich bei Facebook zu verbreiten, als Inhalte traditioneller Medien. Dabei geht es längst nicht nur um Falschnachrichten deutscher Webseiten. Unter den erfolgreichsten Artikeln seien auch ein Video eines neurechten kanadischen Youtube-Accounts sowie mehrere Satire-Artikel, „die von den Nutzern offenbar nicht als Satire verstanden werden“, schreibt die Plattform.

Als Top-Fake-News haben die Buzzfeed-Experten eine Geschichte identifiziert, die Zitate von Merkel zu kriminellen jugendlichen aufgreift, die aus einer Videobotschaft der Kanzlerin vom 18. Juni 2011 stammen. Merkel machte seinerzeit deutlich, dass Jugendkriminalität und Gewalt unter Migranten ein größeres Problem als unter deutschstämmigen Jugendlichen seien.

Wörtlich sagte sie, sie werde sich mit den Länderinnenministern darüber unterhalten „wie wir sicherstellen können, dass es in Deutschland keinen Raum gibt, in dem die Polizei nicht die Sicherheit der Menschen und der Bevölkerung reagieren kann. Hierbei geht es darum, Sicherheit vor Ort zu gewährleisten und gleichzeitig die Ursachen von Gewalt in der Gesellschaft zu bekämpfen. Das gilt für alle Bereiche der Gesellschaft, aber wir müssen akzeptieren, dass die Zahl der Straftaten bei jugendlichen Migranten besonders hoch ist“. Deshalb sei das Thema Integration eng verbunden auch mit der Frage der Gewaltprävention in allen Bereichen unserer Gesellschaft.

Ein Youtube-Klon mit dem Namen Gloria.tv mit Sitz in Moldavien und einer Kontaktadresse in Moskau verbreitete nur einen Schnipsel aus der Videobotschaft und zwar die Formulierung „… aber wir müssen akzeptieren, dass die Zahl der Straftaten bei jugendlichen Immigranten besonders hoch ist... Der Sieben-Sekunden-Clip wurde mit der Überschrift gepostet „Angela Merkel: Deutsche müssen Gewalt der Ausländer akzeptieren“. Und fand sein Publikum.

Rund 273.000 Facebook-Interaktionen registrierte Buzzfeed. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum hätten die erfolgreichsten Merkel-Artikel großer deutscher Zeitungen deutlich weniger Interaktionen: Bei „Stern“ stellten die Digitalexperten 269.000 Interaktionen fest, der „Bild“ 235.000, der FAZ 160.000, der „Welt“ 144.000, beim „Spiegel“ 122.000 oder der „Süddeutschen“ 99.300.

Die eigentliche Aussage der Kanzlerin wurde durch die verkürzte Darstellung im Video und durch die falsch intoniert Überschrift verfälscht. Denn Merkel hat nicht etwa für die Akzeptanz von Migranten-Gewalt geworben, sondern vielmehr um eine bessere Integration und Gewaltprävention in diesem Bereich.


Verfassungsschützer warnen vor russischer Einflussnahme

In vielen Fällen bleiben solche Falschmeldungen im Netz stehen. Das Internet vergisst eben nicht. Der Urheber indes hat schon reagiert. Nachdem Buzzfeed die Person kontaktierte, die das Video bei Gloria.tv hochgeladen hat, wurde das Video von der Plattform gelöscht. Der Video-Schnipsel mit Merkel ist aber über die Suchmaschine Google weiter auffindbar –die verfälschende Zeile inklusive. Über Youtube kann man sich den Clip ansehen.

In der Politik wir der Fall auch als weiterer Beleg dafür gesehen, dass auch im Umfeld der Bundestagswahl mit gezielten Fake-News-Attacken zur Diskreditierung der Bundesregierung und der Parteien zu rechnen ist. „Die Gefahr des Einsatzes gezielter Fake News um die Bundestagswahl zu beeinflussen, ist spätestens seit den Wahlen in den Vereinigten Staaten und Frankreich hinreichend bekannt. Wir müssen uns auch bei der Wahl zum Deutschen Bundestag hierauf einstellen“, sagte der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Stephan Mayer (CSU), dem Handelsblatt.

Der CSU-Politiker betonte, dass soziale Netzwerke wie Facebook schon jetzt zur Entfernung von strafbaren Inhalten verpflichtet seien, sobald sie davon Kenntnis bekämen. „Dieses Verfahren wurde durch das jüngst verabschiedete Netzwerkdurchsetzungsgesetz noch einmal deutlich effektiviert“, sagte Mayer. Allerdings werde man auch „darauf vertrauen müssen, dass die Bevölkerung sehr wohl zwischen seriösem Journalismus und ungeprüften Meldungen auf sozialen Netzwerken zu unterscheiden weiß“.

Auch die SPD mahnte die sozialen Netzwerke, genauer hinzusehen, was ihre Nutzer verbreiten. „Facebook muss seiner Verantwortung gerecht werden und solche Dinge schneller löschen“, sagte der SPD-Bundesvize Ralf Stegner dem Handelsblatt. „Aber auch Parteien sind in der Pflicht mit solchen Dingen keinen Wahlkampf zu betreiben.“

Vielmehr müsse der „demokratische Wettstreit der Ideen und Konzepte für die Zukunft des Landes“ im Zentrum des Wahlkampfes stehen. „Das darf auch zugespitzt, humorvoll und in scharfer inhaltlicher Abgrenzung geschehen“, so Stegner. Aber: „Weder persönliche Diffamierungen noch Falschbehauptungen oder Fake News haben im Wahlkampf etwas verloren.“

Einflussnahme im Wahlkampf ist auch mit „Social Bots“ denkbar – also Computerprogrammen, die anstelle von Menschen massenhaft Meinungsäußerungen verbreiten, um damit Stimmungen zu beeinflussen. Möglich ist auch, dass erbeutete Daten gemischt mit Falschinformationen in Umlauf gebracht werden. „Es geht dann darum, Wahres von Falschem zu unterscheiden“, sagte FDP-Bundesgeschäftsführer Marco Buschmann.

Im Visier steht vor allem Russland. Experten verweisen auf Einflussversuche vor den Wahlen in den USA und in Frankreich, die der russischen Angriffskampagne APT 28 zugeschrieben werden. In den USA wurden bei einer Attacke auf das National Democratic Committee (DNC) erfolgreich Daten gestohlen. In Frankreich wurden bei einem Hackerangriff auf Emmanuel Macron kurz vor dessen Wahl zum Präsidenten Dokumente entwendet und zusammen mit fingierten Papieren online gestellt. Ziel war es offenbar, Macron zu diskreditieren.

Laut dem CSU-Innenpolitiker Mayer sind bereits Schutzvorkehrungen getroffen worden. Die Bundesregierung habe hierzu eine Reihe von Maßnahmen entwickelt, angefangen von einer Erhöhung der IT-Sicherheit sowohl bei der Regierung wie auch den Parteien durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie (BSI) bis hin zu Reaktionsmöglichkeiten des Bundeswahlleiters.

Die Sicherheitsbehörden stellten sich bereits, wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) unlängst sagte, „innerlich darauf ein“, dass es entsprechende Einflussversuche von russischer Seite auch in Deutschland geben wird. Auch der kürzlich vorgelegte Verfassungsschutzbericht warnt: „Mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl 2017 könnten auch deutsche Parteien oder Politiker das Ziel russischer Einflussnahme werden.“ Dabei geht es dem Verfassungsschutz zufolge gar nicht so sehr darum, einen bestimmten Kandidaten zu unterstützen, sondern vielmehr solle das Vertrauen in das Funktionieren der Demokratie beschädigt werden.

Und wie reagieren die Parteien auf die möglichen Attacken? In der CDU-Zentrale wird darauf verwiesen, dass es in der Vergangenheit immer wieder Hackerangriffe auf die eigene IT-Infrastruktur gegeben habe. Die Schutzmaßnahmen würden daher ständig angepasst. Die Partei arbeite eng mit externen Sicherheitsexperten zusammen.

Die SPD mag sich zu ihrem Schutz vor Cyberattacken nicht äußern, wohl aber zum Umgang mit Desinformationskampagnen. Um diese frühzeitig zu erkennen, sei „das ständige Beobachten und Monitoring der sozialen Netzwerke“ Voraussetzung, sagte ein Sprecher der Nachrichtenagentur Reuters. Im Falle strafrechtlich relevanter Inhalte werde die Rechtsabteilung informiert. In allen anderen Fällen gehe es um das Löschen oder Melden sowie die Richtigstellung der Sachlage.

Im Prinzip gilt, je größer die Partei, desto interessanter ist sie als Ziel. Aber da der zurzeit außerparlamentarischen FDP zugetraut wird, in eine nächste Regierung einzutreten, könnte auch sie ein Ziel sein. „Wir rechnen mit Cyberattacken“, sagte Bundesgeschäftsführer Buschmann. Die Partei richte sich auch auf den Fall ein, dass eventuell früher abgefischte Daten gemischt mit Fake-Infos in Umlauf gebracht würden. Die Linkspartei sieht sich auf hohem Niveau vor Cyberattacken gerüstet, und die Grünen betonen: „Wir sind uns den Gefahren bewusst und sensibilisiert.“

Mitunter kommt es sogar vor, dass die Wahlkämpfer selbst zum Mittel der Fake News greifen – und wie im Fall der Jungen Union Bayern dann juristisch ausgebremst werden. Das Landgericht Hamburg hatte am Dienstag den Parteinachwuchs aufgefordert, einen frei erfundenen Tweet von SPD-Chef Martin Schulz zu löschen.

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