Fachkräfteeinwanderung Was ausländische Fachkräfte nach Deutschland lockt – und dann wieder ausbremst

Forscherin der Fakultät für Biotechnologie an der Universität Danzig: Im Gesundheitssektor, Handwerk, in der IT und naturwissenschaftlichen Berufen ist Deutschland auf Einwanderer angewiesen. Quelle: dpa

Es gibt sie doch: Spitzenkräfte im Ausland, die sich für einen Job in der Bundesrepublik interessieren. Als Hürden für ihre Einwanderung erweisen sich die langwierigen Verfahren – und deutsche Unternehmen.

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„Wir brauchen dringend mehr kluge Köpfe und zupackende Hände auch aus dem Ausland für Wachstum und Wohlstand“, sagte Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). „Wir wollen, dass Fachkräfte schnell nach Deutschland kommen und durchstarten können“, ergänzte Innenministerin Nancy Faeser (SPD). „Wir konkurrieren mit anderen Ländern weltweit um Fachkräfte. Wir müssen ihnen deshalb ein attraktives Angebot machen“, gab Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zu.

Brauchen, wollen, müssen – das war der Dreiklang der deutschen Einwanderungspolitik, nachdem die Bunderegierung in dieser Woche die Eckpunkte für ihr neues Einwanderungsgesetz beschlossen hatte. Bis 2035 fehlen dem deutschen Arbeitsmarkt sieben Millionen Fachkräfte, zeigen Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Und die Ampelkoalition will diese wachsende Lücke an Personal künftig auch mit mehr Arbeitskräften aus dem Ausland füllen.

Nur: Die Bundesrepublik gilt unter hochqualifizierten ausländischen Fachkräften nicht unbedingt als Traumarbeitsplatz, wie das Expat-Netzwerk InterNations zusammengetragen hat: Deutschland landete – im Schnitt der fünf in der Rangliste vertretenen Städte Düsseldorf, Berlin, Hamburg, München und Frankfurt am Main – gerade einmal auf Platz 42 von 50. Lieber lebten gut Ausgebildete, die ihre Heimatländer verlassen haben, zum Beispiel in Nairobi, Mexiko-Stadt und Omans Hauptstadt Maskat.

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Dass eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums nun zu dem Ergebnis kommt, dass „Deutschland ein großer Pool hochmotivierter ausländischer Fachkräfte zur Verfügung steht“, hat also mit den Befragten zu tun: Die Teilnehmenden wurden über die Regierungswebseite „Make It In Germany“ und die Auslandsvertretungen gewonnen.

Es handelt sich demnach um Fachkräfte aus dem Ausland, die sich bereits für Deutschland interessieren und aus beruflichen Gründen in die Bundesrepublik kommen wollen. So hat mehr als die Hälfte der Befragten fest vor, nach Deutschland zu ziehen. Vier Fünftel haben sogar schon erste Schritte dafür unternommen.

Interessant ist zunächst, woher die Befragten kommen: Jeder fünfte Antwortende stammt aus Indien (19 Prozent) – Inderinnen und Inder sind auch die mit Abstand größte Gruppe unter ausländischen Arbeitnehmern, die mit einer sogenannten Blauen Karte in Deutschland arbeiten, der europäischen Version der Greencard für hoch Qualifizierte.

An zweiter Stelle stehen Menschen aus Kolumbien (zehn Prozent), gefolgt von der Türkei (neun Prozent). Drei Prozent der Teilnehmenden kommt aus Russland. Zuletzt hatte die Bundesregierung versucht, gezielt russische Fachkräfte nach Deutschland zu locken, die seit dem Angriff auf die Ukraine nicht mehr unter Putins Regime leben wollen oder in ihrer Heimat keine wirtschaftliche Perspektive mehr sehen.

Die Menschen, die den Fragebogen ausgefüllt haben, weisen zudem Eigenschaften auf, wie sie sich ein Land von Einwandernden wünscht: Mehr als 40 Prozent sind zwischen 25 und 44 Jahre alt, haben also noch ausreichend Berufsjahre vor sich. Drei Viertel haben einen Hochschulabschluss und die Mehrheit bringt mindestens fünf Jahre Berufserfahrung mit. Zudem gibt fast die Hälfte der Befragten an, einen Beruf auszuüben, in dem es in Deutschland an Bewerbern und Bewerberinnen mangelt: 15 Prozent sind IT-Spezialisten, knapp ein Viertel ordnen sich dem Ingenieurwesen zu, dazu kommen Handwerker und Ärztinnen.



Warum also zieht es sie nach Deutschland – und nicht in die Schweiz, nach Dubai oder Mexiko? An erster und zweiter Stelle als Kriterien für ihr Traumland steht für die meisten Befragten die Qualität des Bildungssystems, der Gesundheitsversorgung und des Sozialsystems. „Auch eine positive Einstellung gegenüber Einwanderern wird sehr hoch gewichtet, das hat uns überrascht“, sagt Thomas Liebig von der OECD, der die Studie mitverantwortet hat. Zudem waren den Befragten eine gute öffentliche Infrastruktur wichtig sowie die Möglichkeiten, die sich im Zielland für mitziehende Partner und die Familie bieten.

Konkret für Deutschland interessieren sich die Antwortenden wiederum, weil sie sich dort gute Arbeits- und Karrieremöglichkeiten, eine hohe Lebensqualität und Sicherheit erwarten. Auch eine Vorliebe für die deutsche Kultur steht auf den vorderen Rängen.



Im Ausland hält sich also offenbar noch immer das Bild Deutschlands einer offenen Nation, wo man sich ein gutes Leben leisten kann und die Dinge funktionieren. Die Frage ist, wie lange dieses Bild hält, wenn Menschen tatsächlich in die Bundesrepublik einwandern: angesichts von Personalmangel in Kitas und Schulen, einer Bahn, deren Züge zuletzt so häufig verspätet waren wie seit Jahren nicht, einer steigenden Abgabenlast sowie Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, mit denen sich viele Eingewanderte im Alltag auseinandersetzen müssen.

OECD-Wissenschaftler Liebig erwartet außerdem, dass das Thema Verwaltung für die Menschen an Bedeutung gewinnen wird, je weiter sie im Einwanderungsprozess fortschreiten. Liebig und sein Team planen, die Teilnehmenden im Februar und September 2023 erneut zu befragen. Im Hinblick auf Einwanderungsverfahren sagt er: „Es kann sein, dass es dann mehr Klagen geben wird.“



Schon in der ersten Befragungswelle sahen fast 40 Prozent der möglichen Zuwanderer die lange Wartezeit für ein Visum als Hürde, zum Arbeiten nach Deutschland zu kommen. Knapp ein Drittel beklagte die komplizierten und zeitaufwendigen Verfahren.

Fachleute bewerten die Situation im deutschen Zuwanderungsmanagement im internationalen Vergleich längst als peinlich – die Schwierigkeiten, an deutschen Auslandsvertretungen Termine zu bekommen; die schlechte Erreichbarkeit der Ausländerbehörden hierzulande. Allein in Frankfurt am Main hatten deren Beschäftigte zuletzt 6700 Anträge ausländischer Akademikerinnen und Akademiker noch nicht bearbeitet. „Wenn die Infrastruktur fehlt, bringt auch das beste Einwanderungsgesetz nichts“, sagt auch Liebig.



Fast zwei Drittel der an Deutschland Interessierten wünschten sich denn auch Hilfe bei Visabestimmungen und Antragsverfahren, 44 Prozent auch bei der Anerkennung ihrer ausländischen Qualifikation. Dieser Wert könnte in den Folgebefragungen ebenfalls noch einmal deutlich steigen: Denn erst jede und jeder Achte hat ein Verfahren zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen eingeleitet – und die Verfahren beschreiben Betroffene wie Beobachter oft als intransparent und ineffizient.

Wenn ausländische Berufserfahrung stärker wertgeschätzt und die Anerkennung ausländischer Qualifikationen erleichtert würde, könnte dies nach Ansicht von mehr als der Hälfte der Teilnehmenden an der OECD-Studie Abhilfe schaffen.



Worauf es außerdem ankommt? „Ganz klar auf das Jobmatching“, sagt Liebig: Die Schwierigkeit, eine Stelle zu finden, erleben offensichtlich viele ausländische Fachkräfte. Interessant ist auch, was ihnen dabei Probleme bereitet: Neben den fehlenden Informationen, wo Stellenangebote zu finden sind, glaubt ein gutes Viertel der an Deutschland interessierten Fachkräfte, Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen nicht kontaktieren zu können, weil ihre Deutschkenntnisse nicht ausreichen. 15 Prozent der Befragten scheitern zudem bereits daran, dass Jobangebote nur auf Deutsch verfasst sind.

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Und das, obwohl mehr als die Hälfte der Befragten zumindest über Deutsch-Grundkenntnisse verfügt. Unter den Anfängern und jenen, die kein Deutsch sprechen, hat jeder Zweite zumindest sehr gute Englischkenntnisse. Unternehmen vergeben also auch selbst Chancen. Kommunikation auf Englisch: Wer klagt, dass es an Bewerbern und Bewerberinnen mangelt, sollte so viel Internationalität hinbekommen.

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