Fachkräftemangel Arbeit ohne Grenzen: Warum Start-ups auf Remote-Work setzen

Quelle: imago images

Immer mehr junge Techfirmen setzen auf Mitarbeiter im Ausland. Sie fordern weniger Bürokratie und schnellere Verfahren für Visa. Mit einer Start-up-Strategie will die Regierung die Bedingungen verbessern.

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Magdalena Oehl weiß, dass sie bei der deutschen Bürokratie Geduld mitbringen muss. Doch wie lange sie auf das Visum für ihren neuen Mitarbeiter warten musste, hat sie dann doch überrascht: Sieben Monate sollte es dauern, bis der IT-Spezialist aus Delhi ein Visum bekam, um in München für ihr Start-up TalentRock zu arbeiten. So lange konnte die Gründerin nicht warten, schließlich soll ihre Jobvermittlungsplattform schnell wachsen. Also suchte Oehl eine andere Lösung: Der Backend-Entwickler arbeitete zunächst aus Indien heraus für die Firma, bis endlich alle Papiere da waren. „Wir sind froh, dass er nicht zwischendurch abgesprungen ist, denn in anderen Ländern gehen die Verfahren deutlich schneller“, sagt Oehl.

Immer mehr Start-ups müssen auf solche Remote-Work-Modelle setzen, weil der Pool insbesondere an IT-Fachkräften in Deutschland nicht groß genug ist. „Neun von zehn Start-ups haben offene Stellen. Der Mangel an Talenten bremst uns in Deutschland massiv“, sagt Christian Miele, Vorsitzender des Bundesverbands Deutscher Start-ups.

77 Prozent wollen Remote-Work ausbauen

47 Prozent der deutschen Start-ups mit mehr als 25 Mitarbeitern beschäftigen deshalb bereits jetzt ausländische Mitarbeitende im Ausland, die von dort aus für die Unternehmen arbeiten, zeigt eine Umfrage des Verbands unter 300 Start-ups. Und 77 Prozent der Start-ups wollen dieses Remote-Modell künftig noch ausweiten. Die Zahlen zur Remote-Arbeit liegen der WirtschaftsWoche exklusiv vor.

Durch die Coronapandemie ist Remote-Work aus dem Homeoffice heraus zwar selbstverständlicher geworden, dennoch ist das Modell für viele Start-ups eher Zwischen- statt Dauerlösung. Sie wollen die Beschäftigten lieber vor Ort haben, um sie enger ins Unternehmen einzubinden. Doch die Hürden für Anstellungen aus dem Ausland sind nach Mieles Ansicht immer noch zu hoch. „Wir brauchen ein spezielles Visum mit Schnellspur innerhalb von 30 Tagen für IT-Fachkräfte und müssen unsere komplexen Prozesse digitalisieren“, fordert er.

Habeck widmet sich den Start-ups

Am Mittwoch wird sich zeigen, ob und wie viel Beschleunigung künftig möglich sein wird, denn dann wird die Bundesregierung erstmals eine Start-up-Strategie vorstellen. Federführend zuständig ist Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), er leitet am Mittwoch vertretungsweise für den urlaubenden Kanzler Olaf Scholz (SPD) die Kabinettssitzung und dürfte mit der Strategievorstellung zeigen wollen, dass er die Start-ups trotz der Energiekrise nicht vergisst.

Erarbeitet worden ist die Strategie von der Start-up-Beauftragten Anna Christmann (Grüne), sie hatte dafür auch Gründerinnen und Gründer zu Workshops eingeladen. Sie hatten unter anderem die Einführung eines Tech-Visums vorgeschlagen und weniger bürokratische Prozesse gefordert.

Quereinsteiger haben es bisher schwer

Es sei schwierig, Abschlüsse aus dem Ausland in Deutschland anerkennen zu lassen, heißt es im Eckpunktepapier zur Strategie, das im Juni veröffentlicht worden ist. Dabei seien Quereinstiege gerade bei Start-ups üblich, diese würden aber durch komplizierte Regelungen erschwert.

Während andere EU-Staaten wie Spanien, Portugal und die baltischen Staaten zwischen zehn und 30 Tagen für die Visa-Vergabe an IT-Fachkräfte brauchen würden, müssten die Start-ups in Deutschland im Schnitt bis zu drei Monate warten, heißt es vom Start-up-Verband. Bei Talenten aus Afrika und Indien beträgt die Wartezeit sogar bis zu acht Monate – ein Zeitraum, in dem Start-ups wie der Lieferdienst Gorillas nahezu zum Unicorn werden.

Die Bundesregierung arbeitet derzeit an einer Novellierung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes (FEG), das seit 1. März 2020 in Kraft ist. Innenministerin Nancy Faeser und Arbeitsminister Hubertus Heil (beide SPD) hatten kürzlich angekündigt, den Arbeitsmarkt auch für Fachkräfte zu öffnen, die einen Arbeitsvertrag, aber noch keinen hierzulande anerkannten Abschluss haben.

Gründer sind enttäuscht von Lindner

Auch die sogenannte BlueCard-Regel soll erleichtert werden. Jungen Hochschulabsolventen müssen dann nicht mehr genau so viel verdienen wie Berufserfahrene, um mit dem BlueCard-Verfahren einreisen zu können – insbesondere für Start-ups, die in der Wachstumsphase oft nicht so hohe Gehälter zahlen können wie etablierte Konzerne, dürfte das eine Erleichterung sein.

Habeck will die Start-up-Strategie am Mittwoch zusammen mit Finanzminister Christian Linder vorstellen. Die Start-ups waren zuletzt enttäuscht von dem Liberalen und seinen Plänen für ein Zukunftsfinanzierungsgesetz. Sie fordern weitere Nachbesserungen, insbesondere bei der Mitarbeiterkapitalbeteiligung, damit deutsche Start-ups international konkurrenzfähig sind bei der Talentgewinnung.

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Scholz gratuliert SAP

Ob bei der Vorstellung der Start-up-Strategie am Mittwoch auch ein Kabinettsmitglied von SPD-Seite dabei sein wird, ist offenbar noch unklar – am Ende der Woche aber hat Scholz selbst einen seiner seltenen Digitaltermine im Programm: Der Kanzler will beim 50-jährigen Firmenjubiläum von SAP in der SAP-Arena in Mannheim eine zehnminütige Rede halten, es soll auch um Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit gehen.  

Seit der Gründung von SAP 1972 ist kein anderer Softwarekonzern von solcher Größe in Deutschland gewachsen – ob potenziellen Nachfolgern und Konkurrenten die Bedingungen in der Bundesrepublik erleichtert werden, wird die Ampel-Koalition mit ihrer Start-up-Strategie beweisen müssen.

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