Fachkräftemangel Der Harz sei etwas „unterjüngt“, stellt Heil fest

In Zeiten des Fachkräftemangels haben Auszubildende nahezu freie Wahl, vor allem in technischen Berufen Quelle: imago images

Das neue Ausbildungsjahr beginnt – und viele Stellen sind noch offen. Das beschäftigt auch Arbeitsminister Hubertus Heil auf seiner Sommertour. Doch einige Unternehmen haben Lösungen.

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Personal. Material. Energie. „Unsere Herausforderungen sind klar“, sagt Hans-Jürgen Schwarz. Schwarz leitet das Familienunternehmen Ambulanz Mobile in Schönebeck, Sachsen-Anhalt, seine 323 Beschäftigte entwickeln und montieren Rettungs- und Krankentransportwagen, das Unternehmen liefert sie von Bayern bis Neuseeland.

Schwarz‘ Auftragsbücher sind voll wie nie, er braucht besonders Elektriker und Elektronikerinnen, um seinem Geschäft nachzugehen – und sie zu bekommen, sagt er, sei zunehmend ein Problem. Der Gründer und Geschäftsführer ist daher froh, dass es seinem Unternehmen gelungen ist, alle Ausbildungsplätze zu besetzen. 15 junge Menschen werden nun ihre Ausbildung beginnen, außerdem fünf ein duales Studium.

Damit steht Ambulanz Mobile besser da als viele andere Betriebe. Ende Juli hatten Unternehmen noch mehr als 233.000 Ausbildungsstellen bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) als unbesetzt gemeldet – fast 40.000 und damit ein Fünftel mehr als im Vorjahr. Gerade teilte der Verband ostdeutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA Ost) mit, besonders schwierig sei die Situation in technischen Berufsfeldern: In vier von zehn Firmen gebe es dort freie Ausbildungsplätze.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) weiß um solche Zahlen. Heil ist auf Sommertour; auf solchen Reisen sehen Ministerinnen und Minister sich in einer ausgesuchten Region an, was ihre Gesetze und Verordnungen für die bedeuten, die sie betreffen – zum Beispiel Unternehmen wie das von Schwarz.

Lieferkettenprobleme, Gaskrise, Inflation – in diesem Sommer gibt es viele Themen, die Menschen und Betriebe umtreiben, aber über allem steht der Mangel an Fach- und ganz allgemein Arbeitskräften; er steht auch auf Heils Reise im Zentrum. Zuletzt fehlten deutschen Unternehmen mehr als 1,9 Millionen Arbeitskräfte – so viele wie noch nie, ermittelte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Und das ist erst der Anfang: Die geburtenstarken Jahrgänge gehen in Rente, immer weniger Jüngere rücken nach. Allein, weil die Gesellschaft altert, stehen dem Arbeitsmarkt Prognosen zufolge bis 2035 etwa sieben Millionen Menschen weniger zur Verfügung.

In einer Werkshalle von Ambulanz Mobile wird dem Arbeitsminister nun ein junger Mann vorgestellt, der seine Ausbildung zum Mechatroniker bereits absolviert hat und sich derzeit zum Techniker weiterbildet. „Der kann Sie gut gebrauchen“, sagt Heil zu ihm, und bezieht sich auf Schwarz, dessen Chef.

Der junge Mann arbeitet gerade an der Elektronik für einen neuen Notarztwagen. Er hat weitere Pläne für seine Zukunft, will später Elektrotechnik studieren. „Lassen Sie sich bloß ordentlich bezahlen“, rät Heil ihm noch, bevor er weitergeht.

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Dabei ist die Bezahlung das eine. Ambulanz Mobile hält längst auch andere Dinge für nötig, um neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden und Beschäftigte dann zu halten. Bei Azubis beteilige man sich an Tickets für Bus und Bahn oder organisiere Fahrgemeinschaften, sagt Sabine Höpfner, ebenfalls Geschäftsführerin des Unternehmens.

Kommt jemand von außerhalb, helfe man bei der Suche nach einer Wohnung oder am besten einer Wohngemeinschaft, damit junge Menschen auch außerhalb der Firma in der neuen Umgebung Anschluss finden.

Doch es bleibt der Wettbewerb mit Konzernen, mit denen viele Betriebe in der Region sich bei der Suche nach Bewerberinnen und Bewerber in Konkurrenz sehen. Davon berichtet am zweiten Tag von Heils Reise auch der Berliner Tischlermeister Simon Meinberg, der mit einem Geschäftspartner in Benneckenstein im Oberharz im vergangenen Jahr eine Stuhlfabrik übernommen hat – einen Betrieb mit vielen langjährigen Mitarbeitern, der Nachwuchs braucht.

Was nicht einfach ist, wie Meinberg sagt. Die Demographie ist das eine, der Ort hatte einmal mehr als 3000 Einwohner, heute sind es noch 1700. Zuletzt wurden noch neun Kinder eingeschult. Der Harz sei etwas „unterjüngt“, stellt auch Heil fest.

Dazu kommt, dass, wer kein eigenes Auto hat (oder noch keinen Führerschein), als Auszubildender in Meinbergs Betrieb mit dem Bus zwei Stunden in die zuständige Berufsschule fahren muss. „Das senkt die Attraktivität enorm“, sagt der Tischlermeister.

Ein Bewerber habe sich dann doch gegen die Stuhlfabrik und für eine Ausbildung in einer anderen Tischlerei entschieden, von wo aus er besser an die Schule angebunden sei. Ein anderer beginne eine Ausbildung bei Lidl. Der Lebensmittelhändler zahlt Azubis deutlich höhere als marktübliche Gehälter – auch eine Reaktion auf den Arbeitskräftemangel.

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