Fachkräftemangel Deutschlands Rettung in Weiß kommt aus Ungarn

Immer mehr ausländische Ärzte zieht es nach Deutschland. Denn hier werden sie – Stichwort Fachkräftemangel – händedringend gesucht. Doch auch sie können die klaffenden Lücken nicht füllen.

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Immer mehr Ärzte aus dem Ausland suchen in Deutschland eine Perspektive. Quelle: dapd

Düsseldorf In Budapest sah er für sich einfach keine Perspektiven mehr. Und das trotz 20-jähriger Erfahrung als Arzt. „Eingemauerte Hierarchien, Pessimismus, Aussichtslosigkeit“, so beschreibt Peter Sipos das Arbeitsumfeld im Heimatland. Also beschloss der 47-Jährige nach Deutschland zu kommen. Genauer gesagt - nach Gelsenkirchen-Buer, mitten im Ruhrgebiet.

Das war vor eineinhalb Jahren. Seitdem arbeitet er im Sankt Marien-Hospital, erst als Assistenzarzt, schließlich als Oberarzt. „Mit seinem fachlichen und chirurgischen Hintergrund hätte er durchaus Chancen als leitender Oberarzt oder sogar als Chefarzt eingestellt zu werden“, sagt Dr. Frank P. Müller, Chefarzt der Allgemeinen- und Viszeralchirurgie, also Bauchchirurgie. Denn Ärzte aus dem Ausland werden in Deutschland dringend gesucht. Doch da gibt es ein Problem: die Sprachbarriere.

Der Europarat führte 2001 den Gemeinsamen europäischen Referenzenrahmen für Sprachen ein. Für die Approbation der Ärzte aus dem Ausland ist die Stufe B2 Vorschrift. Heißt im Amtsdeutsch, dass ein Arzt „die Hauptinhalte komplexer Texte zu konkreten und abstrakten Themen, und im eigenen Spezialgebiet auch Fachdiskussionen verstehen kann“. Außerdem kann er sich „so spontan und fließend verständigen, dass ein normales Gespräch mit Muttersprachlern ohne größere Anstrengung auf beiden Seiten gut möglich ist“. Soweit die Theorie.

Das in der Praxis sieht das häufig ganz anders aus. Im Internet lassen sich Leidensgeschichten aller Art finden, in denen Patienten von Fehlbehandlungen wegen mangelnder Sprachkenntnisse der Ärzte – häufig aus Osteuropa – berichten. Immer mehr Krankenhäuser erkennen das Problem, wie auch die Klinik in Gelsenkirchen-Buer. Deshalb bietet sie Kurse für ihre Ärzte an.

Krankenhäuser, wie auch die Klinik in Gelsenkirchen erkannten das Problem, sie beauftragten das Goethe-Institut, um ihre Fachkräfte zur nächsten Stufe, auf das sogenannte fortgeschrittene Kompetenzniveau zu verhelfen. Eine solche Schulung besucht auch Sipos, der Arzt aus Ungarn. In sechs Monaten soll er seine Prüfung zum C1-Zertifikat bestehen. Und dann wird es wohl auch mit seiner Karriere an der deutschen Klink weitergehen: „Mein Chef hier ist bereit, meine weitere Zukunft zu planen."


Doch nicht nur Deutschland leidet unter der Mediziner-Flucht

In Deutschland herrscht Fachkräftemangel. Das betrifft auch die Mediziner- und zwar dramatisch. Bleibt das jetzige Versorgungsniveau in Deutschland erhalten, könnten laut einer Studie von Pricewatherhouse Coopers „112 – und niemand hilft“ 2020 bereits 33.000 Stellen unbesetzt bleiben. 2030 wären bereits 76.000 Vollzeitstellen frei. Bis zum Jahr 2030 würden 106.000 Ärzte fehlen.

Es sind vor allem die ländliche Gegenden und unattraktivere, kleinere Orte, aus denen die Doktoren abwandern. Das beantwortet auch die Frage, wie Sipos und Co. – türkische, italienische, griechische und rumänische Ärzte – nach Gelsenkirchen kommen: „Keiner der deutschstämmigen Ärzte will primär hierhin“, erklärt Sipos. Die zöge es mehr in Städte wie München, Hamburg oder Berlin. Aber selbst dort sind längst nicht alle Arztstellen besetzt. Der Grund: Seitdem die Europäische Union die Arbeitszeit der Ärzte streng geregelt hat, sind die Kliniken auf mehr Arbeitskräfte angewiesen. Aber es ist beispielweise auch das Gehalt, weshalb es deutsche Ärzte in skandinavische Länder zieht.

Doch nicht nur Deutschland leidet unter der Mediziner-Flucht: Auch die Niederlande oder Großbritannien bekommen die Abwanderung zu spüren. In England beispielsweise müssen Patienten zum Teil zwei Jahr auf eine Operation warten. Das machen sich wiederum deutsche Kliniken zu Nutze, die sich auf englische Patienten spezialisiert haben, denn ausländische Patienten werden extra budgetierte.

In Ungarn versucht die Regierung schon fast verzweifelt, die Ärzte zum Bleiben zu zwingen. Seit diesem Jahr müssen Absolventen die Zeit ihres Studiums – in der Regel sechs Jahre - im Heimatland abarbeiten – und zwar innerhalb der folgenden 20 Jahre. So will das Land die medizinische Versorgung sichern. Denn allein bis September dieses Jahres waren es 1.600 Ärzte und Pfleger, die ihr Glück im Westen suchen wollten. 2011 waren es 1.900.

Denn was der Arztberuf in Ungarn finanziell bedeutet, zeigen die Zahlen: 90.000 Forints bekommt ein angehender Arzt in Ungarn brutto – rund 315 Euro. Zum Vergleich: In Deutschland sind es circa 2.800 Euro brutto.

Einer von denen, die es aus dem Ausland nach Deutschland verschlagen hat, ist Eftsratios Papatsousos. Der 27-Jährige ist Assistenzarzt hier in Gelsenkirchen-Buer und erst seit kurzem im Team. Es ist vor allem die Chance auf eine Karriere und die finanzielle Absicherung, die Papatsousos nach Deutschland gebracht hat. Denn in seiner Heimat, in Griechenland, ist daran gar nicht zu denken.

Hier, in Deutschland, wird bei der Vergütung kein Unterschied gemacht. „Mediziner einer Klinik bekommen bei gleichem Ausbildungsstatus das gleiche Gehalt, egal ob deutscher oder osteuropäischer Abstammung“, sagt der ungarische Oberarzt. „Auch wenn sie am Anfang wegen der Sprachbarrieren auf die Hilfe der Kollegen angewiesen sind“.

Andrea Lukács war drei Wochen lang zu Gast bei Handelsblatt Online, das sich an dem journalistischen Austauschprojekt „Nahaufnahme“ des Goethe-Instituts beteiligt. Im Rahmen des Programms wechseln Redakteure aus Deutschland und anderen europäischen Ländern für jeweils zwei bis vier Wochen ihren Arbeitsplatz. Im Austausch wird Handelsblatt-Redakteur Lukas Bay Anfang 2013 zwei Wochen für hvg.hu schreiben. Weitere Informationen finden Sie unter: www.goethe.de/nahaufnahme.

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